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Friedenslicht

Friedenslicht

Heute ist der vierte (und letzte) Sonntag im Advent. Das Warten ist fast vorbei, aber noch können wir Vorfreude genießen. Die letzte Kerze wird Friede genannt.

Friede ist eines dieser Dinge, die man eigentlich nicht definieren kann (nicht, dass die Menschen es nicht tun, aber der Begriff hat – wie die Liebe – seine Tiefen und schimmernde Bedeutungsfacetten), aber man erkennt ihn, wenn man ihn erlebt. Daher das Bibelzitat vom „Frieden Gottes, der allen Verstand übersteigt“. Oft kommt der Friede und findet uns mitten im Geschehen (wenn man zum Beispiel gerade begreift, dass man in zwei Stunden für das Weihnachtsfest in eine andere Stadt aufbricht und man die Geschenke noch nicht eingepackt hat, die man auf dem Weg bei FedEx aufgeben muss …), und oft merken wir das gar nicht, weil wir den Frieden zu jeder Zeit in uns tragen.

Friede ist Teil unserer Natur, so wie wir Teil der Natur sind.

Ich bin ja studierte Biologin, und dazu bin ich (wie mein Vater wirklich sehr sehr oft missbilligend gesagt hat) eine Traumtänzerin. (Als ob das etwas Schlechtes wäre …). Jawohl. Dabei hat mein Blick auch Bodenhaftung.

Immer wieder kommen Steine zu mir, und ich kehre nur selten von einem Spaziergang zurück, ohne einen Stein in der Tasche zu haben. So war ich vor ein paar Tagen mit der Dackeldame Lucy unterwegs, für die „Gassi gehen“ gleichbedeutend ist mit „alles in Sichtweite beschnüffeln und hin und wieder stehen bleiben, um es anzupinkeln“, und ließ wie immer den Blick über den Boden schweifen, auf dem wir unterwegs waren. Da es ein Wüstenvorgarten in Scottsdale war, bestand er zum Großteil aus Granitschotter. Aber mitten in dieser Schicht aus rötlichem Gestein lag der kleine graue Besucher auf dem Foto.

Das ist der winzige Überlebende einer Vulkanexplosion, die sich meilenweit entfernt zugetragen hat. Es ist eindeutig ein Stein – aber einer, der einiges hinter sich hat. Die Hitze des Erdkerns hat ihn geschmolzen, und dann wurde er weit fort geschleudert, und diese kleinen Löcher sind die Narben der Gase, die ihn vorwärts katapultiert haben.

Was könnte weniger friedvoll sein?

Und doch ist er da. Liegt unter Fremden und wärmt sich in der Sonne.

Was auch immer ihm zugestoßen ist, er bleibt, was er ist. Er trägt Frieden in sich, weil der Friede seine Natur ist – so wie er auch die unsere ist. Wartet also und lauscht, wie der Friede, der in Euch lebt, Euren Namen flüstert.

Frohe Weihnachten!

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Auszug aus OUTLANDER Buch zehn, noch ohne Titel, © Diana Gabaldon & Barbara Schnell

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William wusch sich das Gesicht – es war voller Bartstoppeln, doch ohne Spiegel oder Seife hatte es keinen Zweck zu versuchen, es zu rasieren – und ging die Treppe hinunter.

Schon oben traf ihn der Geruch des Essens und zog ihn hinunter wie einen Moskito, der Blut riecht und in seinem Heißhunger nur ein Ziel kennt. Und das war auch gut so, begriff er beim Betreten der Küche. Er hatte solchen Hunger, dass er keinen Gedanken daran verlor, wie man ihn empfangen würde.

Tatsächlich drehte sich zwar jeder am Tisch zu ihm um, aber alle Gesichter trugen ein Lächeln, ob schüchtern oder breit, und er verbeugte sich vor ihnen und lächelte ebenfalls.

„Guten Morgen“, sagte er, und das kleinste der Mädchen – Amanda, das war ihr Name – kicherte und zeigte mit ihrem Löffel auf ihn.

„Dein Bart sieht aus wie Opas!“

Eine kleine Welle unterdrückter Belustigung lief um den Tisch herum, doch ehe ihm eine Erwiderung einfiel, erhob sich Mutter Claire, nahm ihn beim Ärmel und führte ihn zu einem Platz auf der Bank neben Frances, die schüchtern zu ihm aufblickte.

„Ich hoffe, du hast gut gefl-schlafen?“, sagte sie. Ihre Wangen waren gerötet, doch sie blickte ihn geradewegs an, und er empfand einen kleinen Stoß; ihre Augen waren so sehr wie Janes.

„Immens gut, danke“, versicherte er ihr. Vor ihm erschien ein Tranchierbrett, auf dem sich Toast und Speck türmten, und Amandas Bruder – James? Nein, Jeremiah, Jem, das war es, ein hochgewachsener, rothaariger Junge, dünn wie ein Eichenschössling – schob ein Töpfchen Erdbeermarmelade über den Tisch.

„Wie nennen wir ihn?“, fragte der Junge und wandte sich seinem Großvater zu. „Onkel Billy?“

William verschluckte sich sacht an dem Schluck Bier, den er gerade zu sich genommen hatte. Frances, Claire und die drei Mädchen kicherten alle, und er dachte, dass Fraser das wohl auch getan hätte, wäre er zu einem solchen Geräusch im Stande. So jedoch verzog Fraser fast keine Miene und antwortete: „Nur, wenn er euch darum bittet. Bis dahin könnt ihr ihn Mr. Ransom nennen, aye?“

William räusperte sich.

„Ihr könnt mich erst einmal William nennen, wenn ihr möchtet“, sagte er zu Jem. „Ich habe noch nicht viel Übung darin, Onkel zu sein.“

„Sei deinem Onkel nicht lästig“, sagte Mutter Claire und stellte einen Teller mit saftigen, glänzenden Würstchen vor William hin, die nach Salbei und Zwiebeln dufteten. „Lass ihn essen.“

Er aß wie ein hungriger Wolf. Dabei lauschte er mit einem Ohr der Unterhaltung, machte aber keine Anstalten, sich anzuschließen. Sein Becher wurde – wiederholt – mit sehr gutem Bier gefüllt, und am Ende der Mahlzeit war er satt – nun ja, gestopft wie eine Gans – und fragte sich, ob er sich einen Baum suchen sollte, unter dem er ein wenig schlafen konnte.

„Ich werde heute in Fraser‘s Ridge unterwegs sein und meine Pächter versorgen“, sagte Fraser zu ihm und strich sich die Krümel vom Schoß. Er reichte der großen Coonhündin, die geduldig zu seinen Füßen gewartet hatte, ein Stück Toast und stand auf. „Möchtest du mit mir kommen?“

„Ich – ja. Glaube schon“, erwiderte William, verblüfft über die Einladung. Er erinnerte sich, dass Mac, der Stallknecht, „versorgen“ gesagt und damit das Putzen und Füttern der Pferde bezeichnet hatte, aber vermutlich meinte Fraser einfach nur, dass er vorhatte, seinen Pächtern zu sagen, dass er eine Weile fort sein würde, und die Zahlung der Pacht an einen Faktor zu arrangieren.

Fraser nickte.

„Aye, gut. Ich werde sagen, dass du mein Sohn bist, obwohl die meisten von ihnen es nach gestern schon wissen werden.“ Er zog fragend die Augenbraue hoch. War William damit einverstanden?

Das ließ seinen vollen Magen noch ein paar Zentimeter tiefer rutschen, doch er nickte.

„Natürlich. Darf ich mir die Zeit nehmen, mich zu rasieren?“

„Aye. Nimm die Seife und die Schüssel in meinem Zimmer. Es ist das erste auf der linken Seite, wenn du nach oben gehst.“

Das Zimmer war groß und freundlich, das Fenster zum Lüften geöffnet, aber mit Musselin abgeschirmt, um Insekten fern zu halten, und das diffuse Licht verlieh dem Raum eine angenehme, ruhige Atmosphäre, als wäre man im Inneren einer Wolke, trotz des gedämpften Lärms unten aus der Küche. William ertappte sich dabei, dass er flach atmete, weil ihm der fremde, intime Geruch des Zimmers bewusst war. Das Bett war noch nicht gemacht, und die zurückgeworfene Bettwäsche war zwar sauber, doch ihr haftete der schwache, verstörende Moschus gerade erst verschwundener Körper an.

War die Intimität des Schlafzimmers der Frasers schon verstörend, so war es die Intimität, Mr. Frasers Rasierseife zu benutzen, um so mehr. Es war weiche weiße Kastilienseife, die nach Olivenöl duftete, aber auch nach Basilikum und etwas, was er für Majoran hielt, und … konnte das etwa ein Geranienblatt sein? Er hatte keine Geranie mehr gesehen oder gerochen, seit er England verlassen hatte, und ganz kurz fühlte er sich lebhaft an einen anderen Ort versetzt, das Konservatorium seiner Tante Minnie, das von den Aromen fremder Blumen und verschlungenen exotischen Grüns erfüllt war. Dieser Gedanke schenkte ihm etwas von seiner inneren Ruhe zurück. Ganz gleich, was in der Zukunft wartete, er hatte noch eine Vergangenheit und eine Gegenwart, und diese mussten ihn in Fassung halten für das, was kommen mochte.

Erfrischt und glatt rasiert kam er die Treppe hinunter, bereit zu sehen, was genau es mit diesem „Versorgen“ auf sich hatte.

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