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Über Diana

Liebe Leser,

also, es war alles nur Zufall, ehrlich. Ich hatte es gar nicht darauf angelegt, unter die Schriftsteller zu gehen; ich hatte nicht einmal vor, es jemandem zu zeigen. Ich wollte einfach ein Buch schreiben – irgendein Buch.

Na ja, nicht irgendein Buch. Einen Roman. Wissen Sie, ich kann gut Geschichten erzählen. Darauf kann ich mir nicht viel einbilden – es ist angeboren. Als meine Schwester und ich noch klein waren und ein gemeinsames Zimmer hatten, da blieben wir fast jede Nacht lange auf und erzählten uns enorme, verwickelte Fortsetzungsgeschichten mit Tausenden von Charakteren (wie gesagt, es ist angeboren).

Obwohl ich aber schon seit meiner frühesten Kindheit wusste, dass ich eine geborene Erzählerin war, wusste ich nicht genau, wie ich damit umgehen sollte. Schließlich ist die Schriftstellerei keine klar definierte Laufbahn. Es ist nicht wie Jura, wo man soundsoviele Jahre lang die Schulbank drückt, sein Examen macht und Bing! den Leuten zweihundert Dollar pro Stunde dafür abknöpfen kann, dass sie sich schlaue Vorträge anhören (meine Schwester ist Rechtsanwältin). Schriftsteller sind vor allem Improvisationskünstler, und es gibt keinerlei Garantie dafür, dass ein Buch veröffentlicht wird, wenn man einem bestimmte Prozedere folgt. Es gibt erst recht keine Garantie dafür, dass man davon leben kann.

So erwarb erwarb ich also einen Bachelor of Science in Zoologie, einen Master of Science in Meeresbiologie, einen Doctor of Philosophy in Ökologie und bekam einen schönen Forschungsauftrag an einer großen Universität, komplett mit Zusatzleistungen und Altersversorgungsplan. Das Problem war nur, dass ich immer noch Romane schreiben wollte.

Zu dem Zeitpunkt, als mein Wunsch zu schreiben wieder zum Vorschein kam, war ich an der Arizona State University angestellt und schrieb FORTRAN-Programme zur Analyse des Inhalts der Muskelmägen von Vögeln.

Das kam nun wirklich durch Zufall; mein Auftrag lautete, ein Forschungsprogramm zu entwickeln, das sich mit dem Nistverhalten von Vogelkolonien beschäftigte. Allerdings war ich Mitte der Achtziger die einzige Person in meiner Forschungsabteilung, die (und ich zitiere meinen Vorgesetzten) „Computererfahrung hatte“. Zu dieser Zeit belief sich besagte „Erfahrung“ auf einen FORTRAN-Kursus, den ich am College of Business belegt hatte, um meinem Mann Gesellschaft zu leisten. Allerdings machte mich der Institutsleiter in aller Logik darauf aufmerksam, dass mein Computerwissen damit das sämtlicher anderen Mitarbeiter um hundert Prozent übertraf. Daher wurde ich dazu herangezogen, bei der Analyse von Vogelernährungsdaten aus zehn Jahren zu helfen, wozu mir Lochkarten, Erfassungsbögen und der Großrechner der Uni zur Verfügung standen. (Mit anderen Worten ereignete sich dies lange, bevor der Begriff „Internet“ zum Allerweltswort wurde.)

Nach Abschluss der achtzehnmonatigen Arbeit sagte ich mir: „Also weißt du, wahrscheinlich gibt es zwar auf der ganzen Welt nur fünf andere Menschen, die sich für Vogelmägen interessieren. Wenn diese aber von den Programmen wüssten, die ich geschrieben habe, würde es jedem von ihnen achtzehn mühselige Monate ersparen. Das sind ungefähr siebeneinhalb Jahre überflüssige Arbeit. Warum gibt es keine Möglichkeit für mich, diese fünf Leute zu finden und diese Programme mit ihnen zu teilen?“

Unterm Strich kam bei dieser rhetorischen Frage ein akademisches Periodikum namens SCIENCE SOFTWARE heraus, das ich ins Leben rief und mehrere Jahre lang sowohl redigierte als auch weitgehend verfasste. Als mein Mann dann seine Stelle aufgab, um sich selbständig zu machen, und wir mehr Geld brauchten, war ich demzufolge in der Lage, mich als freie Autorin bei der Computerpresse zu bewerben.

Glücklicherweise war die Mikrocomputer-Revolution gerade so weit aufgeblüht, dass es tatsächlich eine ganze Anzahl technischer und wissenschaftlicher Programme auf dem Markt gab, und als einer von vielleicht einem Dutzend „Experten“ auf dem frisch erfundenen Feld der wissenschaftlichen Computernutzung (es ist nicht besonders schwierig, ein Experte zu sein, wenn es auf der ganzen Welt nur zwölf Leute in dem entsprechenden Betätigungsfeld gibt) bekam ich augenblicklich Aufträge. Im Rahmen eines solchen Auftrags geschah es nun, dass ein Softwarehersteller mir eine Probediskette für CompuServe schickte, weil ich ein Support-Forum erwähnen sollte, das der Hersteller dort für ein von mir besprochenes Produkt betrieb.

Ich verbrachte eine halbe Stunde damit, mich in diesem Forum umzusehen, und da mir noch mehrere Stunden kostenloser Probezeit zur Verfügung standen, machte ich mich daran herauszufinden, was diese faszinierende neue Online-Welt sonst noch zu bieten hatte. Es gab ja noch kein World Wide Web, nur die Online-Dienste, die man abonnieren konnte, wie zum Beispiel eben CompuServe – wo ich auf eine Gruppe namens The Literary Forum stieß.

Dies war eine faszinierende Ansammlung von Individuen, die allesamt ein Faible für Bücher hatten. Das war der einzige gemeinsame Nenner; die Gruppe umfasste Menschen jeder denkbaren Herkunft und Profession – unter ihnen ein paar Schriftsteller, die bereits Bücher veröffentlicht hatten, eine ganze Anzahl aufstrebender Autoren und viele, viele Nichtschreiber, die einfach nur gerne über Bücher und das geschriebene Wort diskutierten. Da mir dieser sympathische Treffpunkt der ideale Freizeitvertreib für eine vielbeschäftigte Mutter mit Kleinkindern zu sein schien – eine Art rund um die Uhr geöffneter elektronischer Cocktailparty –, abonnierte ich CompuServe augenblicklich und begann, mehrmals täglich beim Literary Forum vorbeizuschauen, um die dort postierten Mitteilungen zu lesen und mich mit den gleichgesinnten Forumsteilnehmern auszutauschen.

Ich hatte also eine volle Stelle an der Universität, ich schrieb nebenbei für die Computerpresse, und ich hatte drei Kinder im Alter von sechs, vier und zwei Jahren. Ich weiß auch nicht genau, warum ich dachte, dass ausgerechnet dies der ideale Moment war, um mein langgehegtes Vorhaben zu verwirklichen und einen Roman zu schreiben – durch Schlafmangel ausgelöster Wahnsinn vielleicht –, doch genau das tat ich.
Ich hatte nicht vor, diesen mutmaßlichen Roman einer Menschenseele zu zeigen. Er war nicht zur Veröffentlichung gedacht, sondern zum Üben. Aufgrund meiner Erfahrung war ich zu dem Schluss gekommen, dass man wohl nur vernünftig lernen konnte, wie man einen Roman schrieb, indem man einen Roman schrieb. Schließlich hatte ich auf diese Weise auch gelernt, wissenschaftliche Artikel, Comics und Softwarebesprechungen zu schreiben. Warum sollte es bei einem Roman anders sein? Wenn ich ihn sowieso niemandem zeigen wollte, dann würde es auch keine Rolle spielen, ob er schlecht war oder nicht, also brauchte ich mich beim Schreiben auch nicht befangen zu fühlen, sondern konnte mich einfach nur auf das Schreiben konzentrieren. Und wenn ich ihn nur zu Übungszwecken schrieb, dann brauchte ich mir auch keine übermäßigen Gedanken darüber zu machen, was für eine Art Roman es war. Ich setzte mir nur zwei Regeln: Erstens, ich würde nicht aufgeben, bis ich das Buch vollständig zuende geschrieben hatte, egal wie schlecht ich es fand, und zweitens, ich würde beim Schreiben jederzeit mein Bestes geben.

Nun … was für eine Art Roman sollte es werden? Nach reiflicher Überlegung erschien es mir, als sei vielleicht ein historischer Roman das einfachste, woran ich mich versuchen konnte. Schließlich war ich Forscherin; mir stand eine riesige Universitätsbibliothek zur Verfügung, und ich wusste, wie man sie benutzte. Ich stellte mir vor, dass es einfacher sein würde, Dinge nachzuschlagen als sie zu erfinden – und falls sich herausstellen sollte, dass ich keine Fantasie besaß, so konnte ich geschichtliche Ereignisse stehlen.

Okay. Schön. Wo sollte dieser historische Roman spielen? Ich besitze keine formelle Ausbildung in Geschichte, jede Zeitperiode und jeder Ort passte so gut wie der andere.
Auftritt: der nächste Zufall. Ich sehe selten fern, doch zu diesem Zeitpunkt sah ich mir regelmäßig im Fernsehen die wöchentliche Wiederholung von Doctor Who an (einer britischen Science-Fiction-Serie), weil eine Folge gerade so lange dauerte, wie ich für meine Maniküre brauchte. Während ich also darüber nachdachte, vor welchem Hintergrund mein hypothetischer historischer Roman spielen sollte, sah ich zufällig eine sehr alte Folge von Doctor Who, in welcher der Doktor einen Begleiter hatte – einen jungen Schotten namens Jamie MacCrimmon, den er im Jahr 1745 aufgegabelt hatte. Diese Figur trug einen Kilt, was ich sehr ansprechend fand, und legte – zumindest in dieser Folge – eine Art von sturköpfiger männlicher Ritterlichkeit an den Tag, die es mir schon immer angetan hatte: den starken Drang eines Mannes, eine Frau zu beschützen, selbst wenn ihm möglicherweise klar ist, dass sie in der Lage ist, selbst für sich zu sorgen.

Am nächsten Tag saß ich gerade in der Kirche und dachte müßig über diese Sendung nach (nein, so komisch es ist, aber ich erinnere mich nicht an das Thema der Predigt an diesem Tag), als ich plötzlich zu mir sagte, ach, Mensch! Du willst ein Buch schreiben, du braucht eine geschichtliche Periode, und das Wo oder Wann spielt keine Rolle. Wichtig ist nur, dass du irgendwo anfängst. Okay. Schön. Schottland, achtzehntes Jahrhundert.
Also ging ich nach der Messe zu meinem Auto, kramte einen Papierfetzen unter dem Vordersitz hervor, und so begann ich, Feuer und Stein zu schreiben: kein Entwurf, keine Handlung, keine Figuren – nur Zeit und Ort.

Die nächste Station lag auf der Hand. Es war die Universitätsbibliothek der Arizona State University, die ich am nächsten Tag aufsuchte. Ich begann meine Recherche, indem ich SCHOTTLAND HIGHLANDS ACHTZEHNTES JAHRHUNDERT in den Indexkatalog eingab – und der Rest ergab sich wie von selbst.

Ich hatte nicht die geringste Absicht, meinen elektronischen Bekanntschaften im Litforum mitzuteilen, was ich im Schilde führte. Ich wollte keine Ratschläge, und wenn sie noch so gut gemeint waren; ich wollte einfach nur herausfinden, wie man einen Roman schreibt, und ich war überzeugt, dass ich das ganz allein tun musste – schließlich hatte ich auch nie jemanden danach gefragt, wie man eine Softwarebesprechung oder eine Comicvorlage schreibt, und ich wollte nicht, dass mir jemand Vorschriften machte, bevor ich mir selbst ganz sicher war, was ich da tat.

Also sagte ich nichts. Zu niemandem. Ich schrieb einfach vor mich hin, jeden Tag ein bisschen, wenn ich nicht gerade Windeln wechselte oder mich um Forschungszuschüsse bewarb.
Nach etwa acht Monaten geriet ich eines Abends im Litforum mit einem Herrn in ein Streitgespräch darüber, wie es sich anfühlt, schwanger zu sein. Er versicherte mir, dass er wüsste, wie es sich anfühlte, schließlich hätte seine Frau drei Kinder zur Welt gebracht.
Ich lachte (auf elektronische Weise) und erwiderte: „Schön für dich. Ich habe selbst drei Kinder zur Welt gebracht.“

Worauf er erwiderte: „Dann sag mir doch, wie du meinst, dass es sich anfühlt.“
Nun befand sich unter den Romanfragmenten, die ich bis dato geschrieben hatte, eine kurze Szene, in der eine Frau (Jenny Murray) ihrem neugierigen Bruder (Jamie Fraser) erzählt, wie es sich anfühlt, wenn man schwanger ist. Da diese Szene die Erfahrung mit größerer Eloquenz zu erfassen schien als ich es in einer kurzen Forumsnachricht vermochte, teilte ich meinem Korrespondenten mit, dass ich eine Szene hätte, die das Phänomen erklärte, und dass ich sie in die Bibliothek des Literary Forums stellen würde.
Eine Anzahl von Leuten hatten den Schwangerschaftstreit verfolgt, und als ich jetzt meine Szene in die Bibliothek stellte, gingen sie hin und lasen sie.

Mehrere von ihnen hinterließen mir Mitteilungen die (mehr oder weniger) lauteten: „Das ist toll! Was ist das?“
Worauf ich ungeheuer schlau antwortete: „Ich weiß es nicht.“
„Na gut, wo ist der Anfang?“ fragten sie.
„Den habe ich noch nicht geschrieben“, antwortete ich.
„Na dann … zeig uns mehr davon!“ sagten sie.
Also tat ich das. Dazu muss ich erklären, dass ich nicht nur schreibe, ohne mir einen Entwurf zurechtzulegen, ich schreibe auch nicht geradlinig. Ich schreibe Stückchen und Fetzen, die ich dann zusammenklebe wie ein Puzzle. Jedesmal wenn ich ein Stück fertighatte, das für sich einen Sinn zu ergeben schien, ohne dass ich allzuviel erklären musste, stellte ich es in die Bibliothek. Nach und nach fingen die Leute an, sich über meine Szenen zu unterhalten und mich nach dem Buch zu befragen, das da Gestalt annahm. Und schließlich sagten sie zu mir: „Weißt du, das ist gut, du solltest versuchen, einen Verleger zu finden.“

Also hörte ich mir an, was die Buchautoren erzählten, ich stellte Fragen, und nach mehreren Monaten beiläufiger Recherche glaubte ich, einen Agenten gefunden zu haben, der eine gute Partie war. Sein Name war Perry Knowlton, und er schien im Verlagswesen nicht nur einen guten Ruf zu haben, sondern auch gut bekannt zu sein. Was noch besser war, er schien auch keine Einwände gegen unorthodoxe oder sehr lange Bücher zu haben – und mir dämmerte inzwischen, dass beides auf mein Buch zutraf.
Ein Bekannter aus dem Forum wurde durch Perry vertreten und schickte ihm eine Notiz, die mehr oder weniger besagte, dass es sich lohnen würde, einen Blick auf mich zu werfen.
Perry war so freundlich, mich zurückzurufen, und sagte, er würde meine Auszüge lesen. Ich schickte ihm die diversen Bruchstücke, die ich hatte, zusammen mit einer groben Inhaltsangabe, die das Ganze zusammenhielt – und er nahm mich unter Vertrag, auf der Basis eines unvollendeten Erstlingsromans.

Unterdessen schrieb ich weiter, und sechs Monate später beendete ich das Buch. Ich schickte Perry das Manuskript und erwähnte auch, dass ich in der kommenden Woche auf einer akademischen Konferenz in New York sein würde – vielleicht könnte ich ja vorbeikommen und ihn persönlich kennenlernen?

Auf dem Weg zu Perrys Büro war ich ziemlich nervös, da ich wusste, dass er das Manuskript inzwischen gelesen hatte – aber nicht, was er davon hielt. Es stellte sich heraus, dass Perry selbst ein charmanter Herr war, der sein Bestes tat, um mir die Nervosität zu nehmen, während er mich zu seinem Büro begleitete und über einige seiner anderen Klienten plauderte. Jetzt fand ich heraus, dass Perry – neben meinen elektronischen Bekannten, durch die ich von ihm erfahren hatte – auch so bekannte Autoren wie Brian Moore, Ayn Rand (die zugegebenermaßen tot war, aber dennoch …), Tony Hillerman, Frederick Forsyth und Robertson Davies repräsentierte.
Als reichten diese Offenbarungen nicht, mir das Herz in die Hose sinken zu lassen, hatte er mein Manuskript in meinen eigenen, riesigen orangen Versandkartons auf seinem Schreibtisch stehen. Ich war fest überzeugt, dass er sich irgendwann im Verlauf der Unterhaltung hüstelnd entschuldigen würde und mir mitteilen würde, dass er jetzt, wo er das komplette Werk gesehen hatte, die Befürchtung hätte, es doch nicht verkaufen zu können, und es mir zurückgeben würde.

Doch während ich so dasaß und ihm zuhörte (und mir unterdessen dachte, wenn du den Nerv hast, Robertson Davies „Robbie“ zu nennen, dann hast du mehr Mumm als ich, Kumpel), sagte er statt dessen: „Wissen Sie, es ist so: Freddy Forsyth und Robbie Davies sind beide großartige Erzähler.“ Dann legte er eine Hand auf mein Manuskript, lächelte mir zu und sagte: „Und Sie gehören auch dazu.“
In diesem Moment war es mir fürchterlich egal, ob wir das Buch verkauften oder nicht. Ich war absolut selig. Dennoch war ich so geistesgegenwärtig zu fragen, was er mit dem Buch vorhatte.

„Oh“, sagte er beiläufig, „ich schicke es heute an fünf Lektoren.“ Dann erzählte er mir von der Lektorin, von der er sich am meisten versprach.
„Ach, wirklich“, sagte ich und schluckte. „Und … äh … was glauben Sie, wie lange es dauern könnte, bis Sie wieder von Ihnen hören?“ Wie die meisten aufstrebenden Autoren hatte ich mich im Fachblatt Writer’s Market eingehend über das Verlagswesen informiert und wusste, dass es oft sechs, neun, sogar zwölf Monate dauerte, bis man von einem Lektor hörte.

„Oh“, sagte Perry noch beiläufiger, „ich habe ihnen gesagt, dass ich innerhalb von dreißig Tagen ihre Antwort brauche.“ In diesem Moment kam ich zu dem Schluss, dass ich mir wohl den richtigen Agenten ausgesucht hatte.
Also fuhr ich nach Hause, um – so geduldig wie möglich – dreißig Tage lang zu warten. Doch vier Tage später fand ich beim Nachhausekommen eine Nachricht auf meinem Anrufbeantworter vor. „Hier ist Perry“, sagte eine ruhige Stimme. „Ich rufe nur an, weil ich Sie bezüglich Ihres Manuskriptes auf den neusten Stand bringen möchte.“
Oh je, sagte ich zu mir selbst. Einer von den fünfen hat einen Blick auf den Karton geworfen und gesagt: ‚Ich lese keine Fünf-Kilo-Manuskripte, da haben Sie es wieder.‘ Also rief ich Perry in der Erwartung an, das zu hören zu bekommen.

Stattdessen sagte er: „Also, bis jetzt haben drei von den fünfen, denen ich es geschickt habe, sich mit Angeboten zurückgemeldet.“
„Oh“, sagte ich und verstummte, weil ich mir vorkam, als hätte man mich mit einem stumpfen Gegenstand am Kopf getroffen. „Ah. Das ist doch … äh … gut. Oder?“

Als ich Perry das Buch gab, hatte ich ihm gesagt, dass es so aussah, als würde diese Geschichte noch weitergehen, dass ich mir aber gedacht hatte, ich sollte besser einen Punkt machen, solange ich das Manuskript noch hochheben konnte. Da Perry ein guter Agent ist, handelte er einen Vertrag über drei Bücher für mich aus. Danach … nun, danach ist die Lage außer Kontrolle geraten, und hier sind wir nun, Jahre später.
Und wo genau sind wir? Wie schon gesagt, lege ich mir meine Geschichten vor dem Schreiben nicht zurecht – wenn ich wüsste, was als nächstes kommt, würde es ja keinen Spaß mehr machen, das Buch zu schreiben, oder?

Nun, es wurden zwei und drei Bücher. Während der Enstehung von „Der Ruf der Trommel“ traf ich auf einer Autorenkonferenz meine Lektorin. Während der Preisverleihungsgala beugte ich mich zu ihr hinüber und zischte ihr ins Ohr: „Weißt du was? Es sind fünf.“ Worauf Jackie, eine Frau von großer Geistesgegenwart und Unerschütterlichkeit, antwortete: „Wieso überrascht es mich nicht, das zu hören?“
In Wirklichkeit war es noch schlimmer als ich dachte. Und das wiederum führt uns zu einer Betrachtung dessen, was eigentlich in diesen Büchern vor sich geht. Da mir inzwischen klar war, dass ich tatsächlich eine Schriftstellerin war und es nicht nur mit einem Buch, sondern mit einer Reihe zu tun hatte, verfolgte ich in der Hauptsache zwei Absichten.
Die eine war der Wunsch, die großen Veränderungen des achtzehnten Jahrhunderts nachzuvollziehen. Dies war eine Zeit des gesellschaftlichen und politischen Umbruchs, eine Zeit, die den Übergang der westlichen Welt von den letzten Überbleibseln des Feudalismus‘ in das Zeitalter der Moderne erlebte, und zwar in jeder Beziehung, von der Politik und der Wissenschaft bis hin zu den Künsten und den gesellschaftlichen Umgangsformen. Die Gezeiten der Geschichte wendeten sich, strömten von der Alten in die Neue Welt, getragen auf den Wellen des Krieges, und was konnte es für eine bessere Betrachtungsweise geben als die Augen einer Zeitreisenden?

Nun ist das alles zweifellos ein fantastischer Hintergrund für einen Roman, doch es ist nun einmal so, dass gute Romane von Menschen handeln. Ein Buch, in dessen Vordergrund sich kein fesselndes persönliches Schicksal abspielt, mag ja ein gutes Geschichtsbuch sein oder voller guter Ideen stecken – aber als Roman taugt es nichts. Wie sah es also mit den Persönlichkeiten in dieser Story aus? Ich nicht nur erzählen, wie zwei Menschen zusammenfinden; ich wollte herausfinden, was dazugehört, dass zwei Menschen zusammenbleiben, und zwar fünfzig Jahre lang oder länger. Ich wollte nicht die Geschichte eines Liebeswerbens erzählen, sondern die Geschichte einer Ehe.
Dann und wann sagen die Leute zu mir: „Aber werden Sie es nicht müde, immer wieder über dieselben Figuren zu schreiben?“ Das würde ich mit Sicherheit, wenn es dieselben Figuren wären – aber sie sind es nicht. Sie wachsen, und sie verändern sich. Sie werden älter und ihr Leben wird komplexer. Sie entwickeln mehr Tiefe und neue Facetten. Sie bleiben zwar – so hoffe ich – ihrem grundsätzlichen Charakter treu, doch ich muss sie mit jedem weiteren Buch neu entdecken.

Und das führt mich zu einer anderen Frage, die mir oft gestellt wird: „Ihre Bücher werden von Menschen aller Altersgruppen und Schichten verschlungen. Was glauben Sie, warum?”
Ich bin noch nicht auf die Idee gekommen, nach einer Erklärung dafür zu suchen; ich bin einfach nur dankbar dafür. Doch jetzt, da Sie fragen – die Bücher scheinen so gut wie jeden anzusprechen: Männer, Frauen, jüngere oder ältere Menschen. Hetereosexuelle, Homosexuelle, Bisexuelle (ich habe auch schon sehr nette Fanpost von einem Hermaphroditen bekommen), Soldaten (anscheinend sind die Bücher bei den Truppen im Irak und in Afghanistan sehr beliebt), Ärzte, Krankenschwestern, Naturheiler, Büroangestellte, Lastwagenfahrer (die von den Hörbüchern begeistert sind) … und so weiter.
Wissen Sie, die beste Metapher, die mir für das einfällt, was ich tue, ist die Erschaffung von Kontinenten.

Anfangs hat man nichts vor sich als ein konturloses Meer, das sich bis zum Horizont erstreckt. Doch da! In weiter Ferne beginnt ein unterirdischer Vulkan Rauch und Lavabrocken zu spucken! Dann noch einer – und noch einer!
Wenn dann die Lava an den Bergwänden hinunterrollt und zischend im Meer versinkt, steigen riesige Dampfwolken auf und versperren vorübergehend die Sicht. Doch wenn sich der Regen und der Dampf verziehen, sieht man die Inseln, die um die Vulkane herum entstanden sind – Atolle, Lagune, Inselchen … die Berge werden höher, die Inseln größer, es bildet sich Vegetation, und sie werden von Tieren besiedelt – und während sich das Land hebt und das Wasser zurückweicht, sieht man allmählich die Umrisse und die Form des Kontinentes, der darunter liegt. Hier versinkt der Abhang eines Vulkans im Wasser, dort erhebt sich ein neuer … so dass man allmählich darauf schließen kann, wie das verborgene Land aussehen muss, das zwischen ihnen unter der Wasseroberfläche liegt.
Wenn dann alles fertig ist, hat man Bergketten aus Konflikt und Spannung und Täler voll lyrischer Ruhe. In den Mulden bleiben kleine Seen bestehen – das sind die Tiefen, in denen die Symbolik, die moralischen Fragen und die subtileren Themen des Buches unter der Oberfläche lauern und warten, dass jemand nach ihnen taucht. Und wenn sich der Leser über einen dieser rätselhaften Wasserspiegel beugt … sollte er sich selbst darin sehen.

Ich glaube, dass viele Menschen ihr Spiegelbild in diesen Büchern sehen.
Herzlich
Diana