Wie lesen Sie eigentlich?
Ich werde oft gefragt – von Lesern und Journalisten – ob ich eigentlich lese. Meine spontane Reaktion darauf ist immer: „Sind Sie denn verrückt?“, aber die verkneife ich mir meistens anstelle einer diplomatischeren Antwort wie: „Wie kann man denn nicht lesen?“
Natürlich gibt es Leute, die nicht lesen, so erschreckend diese Vorstellung auch ist (mein Mann hatte einmal eine Angestellte, die ihm erzählt hat, dass ihre Tochter ein Buch für die Schule lesen musste und sie es ausgeliehen hat. Ich war schon einmal bei ihr zu Hause gewesen, und mir war aufgefallen, dass sie keine Bücher hatte, was schon gruselig genug war – aber nicht zu wissen, wo sich die Stadtbibliothek befindet?). Aber ganz ehrlich – einen Romanautor zu fragen, ob er Bücher liest?
Okay, ich weiß von anderen Autoren, dass sie sagen, sie könnten keine Bücher ihres eigenen Genres lesen oder sie könnten nicht lesen, während sie aktiv an etwas schreiben, und das kann ich ein Stück weit verstehen (ich lese selbst keine Zeitreiseromane). Aber wenn man nicht liest, wie verfeinert man dann sein Gespür, verbessert seine Technik oder füllt auch einfach nur den eigenen kreativen Brunnen wieder auf, indem man dem lyrischen Gesang der Worte eines anderen lauscht?
Sagen wir es so: Wenn es Romanautoren gibt, die überhaupt nicht lesen, dann möchte ich wahrscheinlich nicht lesen, was sie schreiben
Hin und wieder gibt es eine andere Variante der „Lesen Sie eigentlich?“-Frage, und diese ist ganz interessant: „WIE lesen Sie eigentlich. Ich habe früher immer gern gelesen, aber jetzt bin ich angestellt, habe Kinder, ein Haus usw., und ich habe einfach keine Zeit mehr zum Lesen. Ich weiß, dass Sie auch sehr beschäftigt sind, also wollte ich fragen, wie Sie es schaffen zu lesen?“ Das ist doch nur eine Frage der Logistik, oder? Also habe ich mir genauer angesehen, „wie“ ich tatsächlich lese. Ich lese nämlich so ziemlich immer und konsumiere normalerweise drei bis vier Bücher in der Woche (viel mehr, wenn ich unterwegs bin), das Material, das ich zu Recherchezwecken lese, nicht mitgezählt. Wie funktioniert das also?
Nun, zum ersten habe ich immer mindestens ein Buch in Reichweite. Wenn man gewohnt ist, nur in seinem Lieblingssessel zu lesen, wenn man zwei oder drei Stunden Zeit hat, eine schöne Lampe anmachen und sich einen süßen Tee daneben stellen kann, dann, ja, dann wird die Familie in der Tat zum Hindernis werden. Ich lese überall. Ständig.
Ich habe ein Buch auf der Arbeitsplatte liegen, wenn ich koche: Ich kann (oder sollte) zwar nicht lesen, wenn ich Gemüse häcksele, aber ich lese ganz bestimmt, während ich Salat kleinrupfe, Knoblauch sautiere oder Fleisch anbräune – und wenn das Essen erst auf dem Herd steht oder im Ofen ist, brauche ich ja nur noch anwesend zu sein. Es ist doch kein Problem zu lesen, während ich darauf warte, dass etwas fertig brät, kocht, simmert usw. (ich mache sogar Pushups auf der Arbeitsplatte, wenn ich beim Warten lese. Ich kann die Kommentarseite im Wall Street Journal lesen und schaffe dabei 75 Pushups — allerdings die Sorte für Mädchen; ich habe schwache Handgelenke –, während ich darauf warte, dass die Hunde ihr Frühstück vertilgen. Warum ich auf die Hunde warte? Weil der dicke Hund schneller frisst und seinen Kumpel um das letzte Viertel seiner Mahlzeit bringt, wenn ich nicht aufpasse.) zwar nicht lesen, wenn ich Gemüse häcksele, aber ich lese ganz bestimmt, während ich Salat kleinrupfe, Knoblauch sautiere oder Fleisch anbräune – und wenn das Essen erst auf dem Herd steht oder im Ofen ist, brauche ich ja nur noch anwesend zu sein. Es ist doch kein Problem zu lesen, während ich darauf warte, dass etwas fertig brät, kocht, simmert usw.
Ich habe Hunde; mein Sohn hat Hunde und bringt sie immer mit, wenn er zu Besuch kommt. Ich nehme mir den Rest des Wall Street Journals mit ins Büro, und immer, wenn die Hunde Gassi gehen müssen, nehme ich ein paar Seiten davon mit – oder wenn ich mit der Zeitung fertig bin, nehme ich meinen Kindle mit und lese, was auch immer gerade geladen ist, während die Hunde nach Erdhörnchen buddeln oder im hohen Gras auf Abenteuerjagd gehen.
Ich habe ein Buch im Bad liegen und lese, während ich mir die Zähne putze, meinen Sonnenschutz auftrage oder mich wasche. Ich nehme das Buch mit in meinen begehbaren Kleiderschrank, wenn ich mich anziehe.
Ich versuche, jeden Tag acht Kilometer zu gehen (ungefähr viermal in der Woche schaffe ich das auch; an den anderen Tagen schaffe ich vier oder fünf), mal mit den Hunden, mal ohne sie. Ich habe Hörbücher auf meinem iPod und höre sie beim Gehen (gerade höre ich mir zum dritten mal Patrick O’Brians komplette Aubrey/Maturin-Reihe ann – tolle Bücher, eine meiner absoluten Lieblingsreihen).
Wenn ich Bücher zu besprechen habe (hin und wieder schreibe ich Buchbesprechungen für eine Zeitung) oder einen Kommentar fürs Cover schreiben soll (ich habe immer einen kleinen Stapel Leseexemplare), nehme ich eins mit, wenn ich etwas zu erledigen habe (ich kann Ihnen nur raten, nehmen Sie immer ein Buch mit zum Arzt oder zur Post).
Gedichtbände und Sachbücher, die mir nicht zur Recherche dienen, sondern die ich einfach nur interessant finde – im Moment lese ich Simon Winchesters „Krakatoa“ — liegen im Badezimmer, wo ich sie mir häppchenweise einverleibe. So kann ich alles problemlos verinnerlichen, weil ich nur selten mehr als eine Seite schaffe. „Krakatoa“ liegt jetzt seit ein oder zwei Wochen da; ich bin ungefähr halb durch und weiß jetzt alle möglichen faszinierenden Dinge über tektonische Platten, während „Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks“ und John Mark Eberharts Gedichtsammlung „Night Watch“ darauf warten, dass sie an die Reihe kommen.
Die einzige Zeit, zu der ich (außer auf Reisen) ausschließlich lese, ohne dabei etwas anderes zu tun, ist während mein Mann nach dem Abendessen fernsieht und nachdem ich ihn zu Bett gebracht habe und mich dann mit den Hunden auf das Futonbett lege, um zehn bis dreißig Minuten zu lesen, bevor ich einschlafe.
Eigentlich ähnelt es der Art, wie ich schreibe. Nicht in geballten Vier-bis-fünf-Stunden-Abschnitten (ich kenne Schriftsteller, die sagen, dass sie nur so schreiben können; schön für sie), sondern hier und da eine Stunde und das mehrmals am Tag (wobei es davon abhängt, wo ich mich im Buch befinde; gegen Ende schreibe ich tatsächlich zehn oder zwölf Stunden nonstop, abgesehen von den Pinkelpausen — in denen ich lese — und den Mahlzeiten – ditto –, aber diese Phase dauert zum Glück nicht lange).
Heute: Habe heute Morgen Charlaine Harris‘ neuen Sookie-Stackhouse-Roman beendet (gut wie immer), habe gleich danach zu Anne Perrys „Der Verräter von Westminster“ gegriffen und bin etwa ein Drittel durch, wieder einmal vier Seiten über Subduktionszonen in „Krakatoa“ und etwa 25 Seiten eines Thrillers, den ich als Leseexemplar habe. Dazu allerlei Unterhaltsames aus dem Wall Street Journal über die Krankheiten historischer Figuren und warum die Pille zur Folge hat, dass Frauen weniger maskuline Männer heiraten (und ein guter Kommentar eines britischen Journalisten über die kleinmütige Reaktion seiner Landsleute auf die Tötung von bin Laden).
Vergessen Sie aber nicht, dass ich nicht fernsehe. Das hilft.