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Sehet, die erste Kerze brennt …

Sehet, die erste Kerze brennt

Heute ist der erste Sonntag im Advent. Die Sonne geht vor sechs am Nachmittag unter, und die verflixten Moskitos (ja, auch sie sind Gottes Kinder, aber trotzdem …) sind endlich fort. Der Winter kommt näher, und die Welt beginnt, sich zu wenden, fort vom lärmenden Treiben des Thanksgiving-Festes, der gesegneten Stille zu.

Stille?, ruft Ihr aus … wie kann man denn jetzt Stille finden? Weihnachten naht! Hektik, hin und her, Sorgen, Reisen, Stress …!

Aber die Stille ist ein Teil von uns. Sie ist immer da, ob wir ein Ohr dafür haben oder nicht. Diese kurze Zeit zwischen der Hitze und der Kälte, gibt uns die Gelegenheit still zu sitzen — zwei Minuten, fünf, zehn – so lange es dauert, ein Gebet zu sprechen oder auch nur das leise Lied unseres eigenen Herzens zu fühlen. Und wenn wir dann zum Hin und Her des Lebens zurückkehren, tragen wir den Segen der Stille in uns.

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(Auszug aus „Outlander – Feuer und Stein“, (c) Diana Gabaldon & Barbara Schnell)

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Ich folgte Anselm durch den kurzen Mittelgang und beugte hinter ihm das Knie. Bruder Bartholomes schlanke Gestalt kniete mit gesenktem Kopf weiter vorn. Er drehte sich nicht um, als leise Geräusche unser Eintreten verrieten, sondern verharrte bewegungslos im Gebet versunken.

Das Sakrament verschwand beinahe im Prunk des Behälters, der es umfasste. Die riesige Monstranz, eine goldene Sonne von gut vierzig Zentimetern Durchmesser, stand ungerührt auf dem Altar und behütete das bescheidene Stück Brot in ihrer Mitte.

Ein wenig befangen nahm ich den Platz an der Vorderseite der Kapelle ein, den Anselm mir zuwies. Die mit geschnitzten Engeln, Blumen und Dämonen reich verzierten Sitze klappten gegen die hölzernen Rückenlehnen hoch, damit man die Reihen leicht betreten und wieder verlassen konnte. Hinter mit knarrte es leise, als Anselm seinen Sitz herunter klappte.

„Aber was soll ich denn tun?“, hatte ich ihn auf dem Weg zur Kapelle gefragt, leise aus Respekt vor der nächtlichen Stille.

„Nichts, ma chère“, hatte er schlicht erwidert. „Seid einfach nur da.“

Also saß ich da und lauschte meinem eigenen Atem und den schwachen Geräuschen eines Ortes der Stille; den unhörbaren Dingen, die sonst unter anderen Geräuschen verborgen sind. Steine, die sich setzen, knarrendes Holz. Das Zischen der kleinen, unauslöschlichen Flammen. Das leise Krabbeln eines kleinen Tiers, das von seinem angestammten Platz in das Reich des Majestätischen gewandert ist.

Es war friedvoll hier, das musste ich Anselm lassen. Trotz meiner eigenen Erschöpfung und meiner Sorge um Jamie spürte ich, wie ich mich mehr und mehr entspannte, wie mein überdrehter Verstand langsam zur Ruhe kam wie ein Uhrwerk, das zu Ende läuft. Seltsamerweise fühlte ich mich gar nicht müde, trotz der späten Stunde und der Strapazen der vergangenen Tage und Wochen.

Schließlich, so dachte ich, was waren schon Tage und Wochen im Angesicht der Ewigkeit? Und dieses Angesicht war hier, für Anselm und Bartholome, für Ambrose, für alle Mönche bis hin zu ihrem respekteinflößenden Abt Alexander.

Eigentlich war es ja eine tröstliche Vorstellung; wenn sich der Blick auf alle Zeit der Welt auftat, verlor das, was in einem bestimmten Moment geschah, an Bedeutung. Ich konnte durchaus verstehen, wie man hier Abstand nahm und Zuflucht in der Betrachtung eines Wesens suchte, das keinen Anfang und kein Ende kannte — wie auch immer man sich dieses vorstellte.

Das Rot des Ewigen Lichts brannte gleichbleibend ruhig und spiegelte sich im Gold der Monstranz. Die Flammen der weißen Kerzen vor den Statuen des Nothelfers Aegidius und der Mutter Gottes flackerten und zuckten hin und wieder, weil die brennenden Dochte auf kleine Unebenheiten stießen und Wachs oder Feuchtigkeit verspritzten. Doch die rote Lampe brannte heiter und gelassen, und ihr Licht versagte nie.

Und wenn es die Ewigkeit gab, und sei es nur als Idee, dann hatte Anselm vielleicht Recht, und alles war möglich. Und alle Liebe?, fragte ich mich. Ich hatte Frank geliebt, liebte ihn noch. Und ich liebte Jamie, mehr als mein Leben. Doch gefangen in den Grenzen von Zeit und Sein, konnte ich sie nicht beide haben. Jenseits der Grenzen vielleicht? Gab es einen Ort, an dem keine Zeit mehr existierte oder sie zum Stillstand kam? Anselm glaubte das. Ein Ort, an dem alles möglich war. Und nichts notwendig war.

Und gab es dort Liebe? Jenseits der Grenzen von Sein und Zeit … war alle Liebe möglich? War sie notwendig?

Die Stimme meiner Gedanken schien Onkel Lamb zu sein. Meine Familie und alle Liebe meiner Kindheit. Ein Mann, der nie von Liebe gesprochen hatte, der es nicht gebraucht hatte, denn ich wusste, dass er mich liebte, so sicher, wie ich wusste, dass ich lebte. Denn wo alle Liebe ist, sind keine Worte notwendig. Sie ist alles. Sie ist unsterblich. Und sie ist genug.

Die Zeit verrann, ohne dass ich es merkte, und ich war verblüfft, als Anselm plötzlich vor mir auftauchte. Er kam durch die kleine Tür neben dem Altar. Aber hatte er nicht hinter mir gesessen? Als ich mich umschaute, sah ich, wie einer der jungen Mönche, dessen Namen ich nicht kannte, am rückwärtigen Eingang das Knie beugte. Anselm verneigte sich tief vor dem Altar, dann winkte er mich kopfnickend zur Tür.

„Ihr wart fort?“, sagte ich, als wir die Kapelle verlassen hatten. „Aber ich dachte, Ihr dürft das, äh, das Sakrament nicht allein lassen?“

Er lächelte seelenruhig. „Das habe ich ja auch nicht, ma chère. Ihr wart ja da.“

Ich verkniff es mir zu sagen, dass ich nicht zählte. Es gab ja schließlich keine Staatlich geprüften Beter. Man brauchte nur ein Mensch zu sein, und ich ging davon aus, dass ich das noch war, obwohl ich mich manchmal kaum noch so fühlte.

Jamies Kerze brannte noch, als ich an seiner Tür vorüber kam, und ich hörte ihn umblättern. Ich hätte gern angehalten, doch Anselm ging weiter, um mich zur Tür meines Zimmers zu bringen. Dort blieb ich stehen, um ihm eine gute Nacht zu wünschen und ihm zu danken, dass er mich in die Kapelle mitgenommen hatte.

„Es war … erleichternd“, sagte ich. Es fiel mir schwer, das richtige Wort zu finden.

Er nickte und sah mir ins Gesicht. „Oui, madame. Das ist es.“ Als ich mich zum Gehen wandte, sagte er: „Ich habe Euch ja gesagt, dass das Heilige Sakrament nicht allein war, weil Ihr da wart. Doch was ist mit Euch, ma chère? Wart Ihr allein?“

Ich hielt inne und sah ihn einen Moment an, ehe ich antwortete.

„Nein“, sagte ich. „Ich war nicht allein.“

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