dianagabaldon.com dianagabaldon.com

Zurück zu Darsteller

Urs Rechn – Gerhard Mueller

Urs Rechn ist Gerhard Mueller

>>

Sie sind tot«, sagte er. »Mein Mädchen. Mein Kind.« Tränen quollen plötzlich in den blutunterlaufenen Augen auf und rollten ihm langsam durch die wettergegerbten Furchen seines Gesichtes. Das Elend in seinen Augen war so unmittelbar, dass ich seine große, von der Arbeit gezeichnete alte Hand in die meine nahm.
»Ich weiß«, sagte ich. »Es tut mir leid.«
Er nickte erneut, und sein alter Mund arbeitete dabei. Er ließ sich von mir zu der Bank neben der Tür führen, wo er sich so plötzlich hinsetzte, als wäre ihm jegliche Kraft aus den Beinen gewichen.
Die Tür ging auf, und John Grey kam heraus. Er hatte seine Pistole in der Hand, ließ sie aber sofort in sein Hemd gleiten, als ich den Kopf schüttelte. Der alte Mann hatte meine Hand nicht losgelassen; er zog daran und zwang mich, mich neben ihn zu setzen.
»Gnädige Frau«, sagte er, drehte sich unvermittelt und umarmte mich. Er drückte mich fest an seinen schmutzigen Rock. Tonloses Weinen schüttelte ihn, und obwohl ich wusste, was er getan hatte, legte ich meine Arme um ihn.
Er roch fürchterlich, sauer, nach Alter und Trauer, dazu Bier und Schweiß und Schmutz, und irgendwo unter all den anderen Gerüchen lag der Gestank getrockneten Blutes. Ich schüttelte mich, gefangen in einem Netz aus Mitleid, Schrecken und Abscheu, doch ich konnte mich nicht zurückziehen.
Schließlich ließ er los und sah auf einmal John Grey, der neben uns stand und sich nicht sicher war, ob er eingreifen sollte oder nicht. Bei seinem Anblick fuhr der alte Mann zusammen.
»Mein Gott!«, rief er im Tonfall des Entsetzens aus. »Er hat Masern!« Die Sonne sank schnell und tauchte den Eingang in blutiges Licht. Sie traf Grey voll ins Gesicht, hob die dunklen Flecken in seinem Gesicht hervor und überzog seine Haut mit Rot.
Mueller drehte sich zu mir hin und nahm wie wild mein Gesicht zwischen seine großen, schwieligen Hände. Seine Daumen schabten über meine Wangen, und ein Ausdruck der Erleichterung zeigte sich in seinen eingesunkenen Augen, als er sah, dass meine Haut immer noch glatt war.
»Gott sei Dank«, sagte er, ließ mein Gesicht los und begann, in seinem Rock herumzukramen. Dabei sagte er etwas auf Deutsch, so drängend und so leise, dass ich nur ab und zu ein Wort verstehen konnte.
»Er sagt, er hatte Angst, zu spät zu kommen, und ist froh, dass es nicht so ist«, sagte Grey, als er meine Bestürzung sah. Er betrachtete den alten Bauern mit skeptischer Abneigung. »Er sagt, er hat Euch etwas mitgebracht – irgendeinen Talisman. Er wird den Fluch abwenden und Euch vor der Krankheit schützen.«
Der alte Mann zog einen in Stoff gewickelten Gegenstand aus den Tiefen seines Rockes und legte ihn mir in den Schoß, wobei er weiter auf Deutsch vor sich hin brabbelte.
»Er dankt Euch für die Hilfe, die Ihr seiner Familie geleistet habt – er meint, Ihr seid eine gute Frau, die ihm nicht weniger am Herzen liegt als seine Schwiegertöchter – er sagt, dass …« Mueller faltete den Stoff mit zitternden Händen auseinander, und die Worte erstarben in Greys Kehle.
Ich öffnete meinen Mund, tat aber keinen Laut. Ich muss mich unwillkürlich bewegt haben, denn der Stoff rutschte plötzlich auf den Boden und gab das weißmelierte Haarbüschel frei, an dem immer noch eine kleine Silberverzierung hing. Daneben lag ein Lederbeutel, und die Spechtfedern waren blutbefleckt

<<