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Outlander #4 – warten auf den Staffelstart: Ein Caithris in Eden

Outlander #4 – warten auf den Staffelstart: Ein Caithris in Eden

»Ach, was für eine Schande.« Duncan Innes war inzwischen völlig betrunken. Er saß zusammengesunken an der Wand und hielt die armlose Shulter höher als die andere, was ihm das seltsame Aussehen eines Buckligen gab. »Dass ein anständiger Mann wie Gavin ein solches Ende finden musste!« Er schüttelte tieftraurig den Kopf und ließ ihn über dem Alebecher hin- und herschwingen wie den Klöppel einer Totenglocke.

»Keine Familie, die ihn betrauern könnte, allein in einem fremden Land gestrandet – wie ein Verbrecher gehängt und um ein Haar in ungeweihter Erde vergraben. Und jetzt bekommt er nicht einmal ein ordentliches caithris!« Er hob den Becher und fand unter Schwierigkeiten seinen Mund. Er trank in tiefen Zügen und stellte ihn mit einem gedämpften Geräusch ab.

»Was soll’s, wir werden die Totenklage halten!« Er funkelte Jamie, Fergus und Ian herausfordernd an. »Warum nicht?«

Jamie war nicht betrunken, doch er war auch nicht mehr völlig nüchtern. Er grinste Duncan an und hob seinen eigenen Becher zum Salut.

»Warum nicht, genau«, sagte er. »Du wirst aber singen müssen, Duncan. Keiner von den anderen hat Gavin gekannt, und ich kann nicht singen. Ich kann aber mitbrüllen.«

Duncan nickte gebieterisch und sah uns mit blutunterlaufenen Augen an. Ohne Vorwarnung warf er den Kopf zurück und gab ein furchtbares Geheul von sich. Ich fuhr auf meinem Sitz zusammen und verschüttete einen halben Becher Ale in meinem Schoß. Ian und Fergus, die offenbar schon öfter gälische Totenklagen gehört hatten, verzogen keine Miene.

Überall im ganzen Raum wurden Bänke gerückt, als die Männer alarmiert aufsprangen und nach ihren Pistolen griffen. Die Bedienung lehnte sich mit großen Augen aus der Küchendurchreiche. Rollo erwachte mit einem empörten »Wuff!« und starrte mit gefletschten Zähnen wild um sich.

»Tha sinn cruinn còmhla gus ar caraid Gabhann Hayes a chaoidh«, donnerte Duncans rauher Bariton. Ich verstand gerade genug Gälisch, um das zu übersetzen. »Wir haben uns zusammengefunden, um zu weinen und dem Himmel den Verlust unseres Freundes Gavin Hayes zu klagen!«

»Éist ris!«, stimmte Jamie ein.

»Rugadh e do Sheumas Immanuel Hayes agus Louisa NicIllFhaolain ann am Baile Chille-Mhàrtainn, ann an sgìre Dhùin Dhòmhaill, anns a’ bhliadna seachd ciad diag agas a h-aon!« Er wurde geboren als Sohn von James Emmanuel Hayes und Louisa Maclellan, im Dorf Kilmartin im Pfarrbezirk Dodanil, im Jahr unseres Herrn siebzehnhundertundeins!

»Éist ris!« Diesmal fielen Fergus und Ian in den Refrain ein, den ich mir in etwa mit »Hört ihn an!« übersetzte.

Rollo schien weder Strophe noch Refrain übermäßig zu gefallen. Er hatte seine Ohren flach an den Schädel gepresst und die gelben Augen zu Schlitzen verengt. Ian kratzte ihn beruhigend am Kopf, und er legte sich wieder hin und brummte Wolfsflüche vor sich hin.

Da das Publikum begriff, dass keine Gewalt drohte, und ihm die minderwertige Stimmakrobatik der betrunkenen Sänger in der Ecke wohl sowieso langweilig geworden war, ließ es sich gemütlich nieder, um die Darbietung zu genießen. Als Duncan so weit gediehen war, dass er die Namen der Schafe aufzählte, die Gavin Hayes besessen hatte, bevor er seine Kate verlassen hatte, um seinem Herrn nach Culloden zu folgen, sangen viele der Gäste an den umliegenden Tischen begeistert den Refrain mit, brüllten »Éist ris!«, knallten ihre Becher auf den Tisch – und hatten glücklicherweise keine Ahnung, wovon eigentlich die Rede war.

Betrunkener denn je fixierte Duncan die Soldaten am Nebentisch mit hasserfülltem Blick, während ihm der Schweiß über das Gesicht lief.

»A Sasannaich na galla, ’s olc a thig e dhut fanaid air bàs gaisgich. Gun toireadh an diabhal fhéin leis anns a’ bhàs sibh, dìreach do dh’Ifrinn!« Hinterlistige Sassenach-Hunde, die totes Fleisch essen! Übel steht es euch an, euch über den Tod eines beherzten Mannes zu freuen! Möge der Teufel selbst in eurer Todesstunde über euch kommen und euch zur Hölle befördern!

An diesem Punkt wurde Ian etwas blass, und Jamie warf Duncan einen scharfen Blick zu, doch beide brüllten tapfer »Éist ris!« mit dem Rest der Menge.

Einer Eingebung folgend, stand Fergus auf und ließ seinen Hut herumgehen, und außer sich vom Bier und vor Begeisterung, zahlten die Leute fröhlich Kupferstücke dafür, dass sie über sich selbst herziehen durften.

Mein Kopf vertrug zwar nicht weniger als so mancher Männerschädel, doch meine Blase war viel kleiner. Da mir vor Krach, dicker Luft und Alkohol ganz schwindelig war, erhob ich mich und bahnte mir vorsichtig einen Weg hinter dem Tisch hervor, durch das Gedränge und hinaus in die frische Luft des frühen Abends.

Es war immer noch heiß und drückend, obwohl die Sonne schon lange untergegangen war. Aber hier draußen gab es viel mehr Luft und viel weniger Leute, die sie teilten.

Nachdem ich meinem inneren Druck Erleichterung verschafft hatte, setzte ich mich mit meinem Zinnbecher auf den Hackklotz des Wirtshauses und holte tief Luft. Die Nacht war klar, und ein leuchtender Halbmond lugte silbern über den Hafenrand. Unser Wagen stand in der Nähe, nur ein Umriss im Licht der Kneipenfenster. Gavin Hayes’ ordentlich eingewickelte Leiche lag wohl darin. Ich hoffte, dass ihm sein caithris Freude gemacht hatte.

Drinnen war Duncans Gesang verstummt. Zitternd vom Alkohol, aber dennoch wohlklingend sang jetzt eine klare Tenorstimme eine vertraute Melodie, die trotz des Stimmengewirrs gut zu hören war.

»To Anacreon in heav’n, where he sat in full glee,

A few sons of harmony sent a petition,

That he their inspirer and patron would be!

When this answer arrived from the jolly old Grecian:

›Voice, fiddle and flute,

No longer be mute!

I’ll lend you my name and inspire you to boot.«

Bei »voice, fiddle and flute« schwankte die Stimme des Sängers gefährlich, doch er sang trotz des Gelächters aus dem Publikum tapfer weiter.

Ich lächelte ironisch vor mich hin, als er bei den beiden letzten Zeilen des ausgelassenen Trinkliedes angelangte:

»And, besides, I’ll instruct you like me to entwine,

The Myrtle of Venus with Bacchus’s vine!«

Ich hob meinen Becher in Richtung des Leichenwagens und wiederholte leise die Melodie der letzten Zeilen des Sängers. Doch ich wählte den anderen Text, ohne mich daran zu stören, dass weder das Amerika mit dem »sternenbesäten Banner« noch der Text seiner Nationalhymne zu diesem Zeitpunkt schon existierte:

»Oh, say, does that star-spangled banner yet wave

O’er the land of the free and the home of the brave?«

Ich leerte meinen Becher. Dann saß ich still da und wartete, bis die Männer herauskamen.

 

(Aus: Outlander Bd. vier, „Der Ruf der Trommel“, erschienen im Knaur Verlag.)