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Mein Debüt als Drehbuchautorin

Mein Debüt als Drehbuchautorin

Die meisten von Ihnen haben wahrscheinlich schon gehört, dass ich ein Drehbuch für eine Folge der zweiten „Outlander“-Staffel schreibe. Das ist neu und interessant für mich – ich habe ja schon Comic-Skripts für Walt Disney geschrieben (damals Ende der Siebziger), und die Vorlage für eine Graphic Novel („Feuer und Stein“ – der Comic erzählt das erste Drittel des Romans aus Jamies und Murtaghs Blickwinkel in illustrierter Form) – aber ich habe noch nie ein Skript fürs Fernsehen oder einen Film geschrieben.
Allerdings habe ist schon einige gelesen. Im Lauf der Zeit hat die Option für die Filmrechte meiner Romane ja bei diversen Produzenten gelegen, die einen Zwei-Stunden-Film aus „Outlander – Feuer und Stein“ machen wollten (ein absolutes Ding der Unmöglichkeit, trotzdem gab es einige heldenhafte Versuche), und ich habe in diesem Zeitraum diverse Drehbücher gesehen, meistens aus der Feder sehr renommierter Autoren. Sie waren eines wie das andere grauenvoll, aber lehrreich war es trotzdem.
Dann kam Ron D. Moore des Weges und mit ihm eine TV-Serie. Man bekommt zwar einen Tausend-Seiten-Roman  auch nicht in sechzehn Stunden Fernsehen gepresst, aber man kann ihn zumindest viel besser adaptieren. Und wie ich zu Ron sagte, als er mir sein Buch für die erste Folge gezeigt hat: „Das ist das erste Mal, dass ich ein Skript sehe, das auf meiner Arbeit basiert, ohne dass ich entweder weiß werde oder in Flammen aufgehe.“
Zu meinem Glück hat man mich gebeten, eine Beraterfunktion bei der Verfilmung zu übernehmen, was bedeutet, dass ich Drehbuchentwürfe, Drehbücher, überarbeitete Drehbücher … und schließlich das Material sehe, dass tatsächlich gedreht wird. Dieser Prozess ist noch viel lehrreicher, weil ich jetzt sehe, wie oft – und in welchem Ausmaß – sich ein Drehbuch verformt und verändert, ehe die Kamera zu laufen beginnt, und wie es im Film tatsächlich wirkt. (Und dann wird der Film noch geschnitten, aber das ist wieder ein völlig anderer Prozess …)
Bei unserer ersten Begegnung hat mich Ron gefragt, ob ich ein Drehbuch für die Serie schreiben möchte, und ich habe nein gesagt. A) hatte ich so etwas noch nie geschrieben, hatte keine Ahnung, ob ich es kann, und wollte in keiner Weise für das Misslingen der so wichtigen ersten Staffel verantwortlich sein, und B) begann gerade der Endspurt für „Ein Schatten von Verrat und Liebe“ und ich wusste, dass ich kaum Zeit zum Atmen haben würde, geschweige denn, ein anspruchsvolles neues Projekt zu beginnen. Also habe ich dankend abgelehnt – allerdings mit der Anmerkung, dass ich es, FALLS wir eine zweite Staffel bekommen, durchaus gern machen würde.
Da die meisten Menschen weder Drehbücher schreiben noch viele Drehbuchautoren kennen, dachte ich mir, Sie interessieren sich vielleicht dafür, wie das grundsätzlich funktioniert. Zumindest in der „Outlanderworld“.
Als wir übereingekommen waren, dass ich ein Skript schreibe, und Ron die Folge ausgesucht hatte (Folge 211 – die elfte der dreizehn Folgen der zweiten Staffel), war der nächste Schritt für mich, den „Writers Room“ in Pasadena zu besuchen und gemeinsam mit Ron, Maril und einigen der anderen Autoren den grundsätzlichen Fluss der Geschichte zu erarbeiten.
Ein paar von Ihnen haben vielleicht auf Fotos gesehen, wie der Writers Room in unberührtem Zustand aussieht: Gemütliche Sofas vor zwei Wänden mit weißen Magnettafeln. In Aktion sind diese Wände mit wiederbeschreibbaren Magnet“blättern“ vollgeheftet, von denen jedes mit Notizen zu einer Szene, einem Szenchen oder einer Überleitung beschriftet ist. Hier nimmt ein Skript dann Formen an.
Im Vorfeld war das Ausgangsmaterial bzw. das Buch zerlegt worden – buchstäblich. Das Originalbuch wurde Szene für Szene auseinandergenommen, und es wurde eine Liste aller Original-Dialogzeilen erstellt, so dass die Autoren so viel wie möglich davon im Wortlaut verwenden können, auch wenn es möglicherweise in einem anderen Zusammenhang auftaucht.
Dann geht der gesamte „Writers Room“ all diese Einzelteile durch und setzt sie (grob) wieder so zusammen, wie es zu der Anzahl der Folgen der jeweiligen Staffel passt. Da jede Folge plus-minus 57 Minuten hat und jede Folge ihren eigenen Spannungsbogen hat (es ist nicht möglich, eine ganze Folge nur als Einleitung zu benutzen, während man in einem Buch kapitelweise Platz dafür hat. Nicht, dass ich Ihnen empfehlen würde, so zu schreiben, aber möglich ist es), steht schon fest, dass das Material aus dem Buch nicht komplett und problemlos in diese Form passen wird.
Die Chronologie der Geschichte wird also im Prinzip dieselbe bleiben: Die Ereignisse in Paris müssen natürlich vor dem Aufstand in Schottland stattfinden; Jamie muss sich natürlich erst mit Charles Stuart anfreunden, ehe Claire den Affenbiss an der Hand des Prinzen behandeln kann, und Jamie kann sich erst duellieren, nachdem er dem Mann begegnet ist, den er herausfordern wird. ABER … es ist möglich, dass kleinere Handlungsteile, die nicht notwendigerweise linear sind, verschoben oder leicht geändert oder sogar in noch kleinere Teile zerlegt werden, die separat eingefügt werden, um am Ende eine interessante, in sich stimmige Folge zu bekommen, die mehr oder weniger für sich steht. Und um dieses Ziel zu erreichen, kann es auch nötig werden, kleine Stücke und Dialogzeilen neu zu schreiben, um die Original-Stellen mit ihrem neuen Umfeld verschmelzen zu lassen.
Das ist der Grund, warum ich den Leuten (als Reaktion auf die Hysterie im Vorfeld der beiden letzten Folgen der ersten Staffel) gesagt habe, sie sollen das Buch weglegen und die Verfilmung genießen: Eins wird (aus den beschriebenen Gründen) nicht exakt wie das andere sein – doch mit Glück, gutem Willen, Entschlossenheit und Talent (wovor das Produktionsteam nur so strotzt) wird das Ergebnis eindeutig als „Outlander“ zu erkennen sein – und vielleicht sogar ein bezaubernd neues „Outlander“ sein.
So habe ich also einen sehr unterhaltsamen Tag im „Writers Room“ verbracht. Der Stoff lag bereits in Einzelteilen vor, so dass wir zwar wussten, wie viel Material in die elfte Folge gehörte, aber noch nicht, wie es angeordnet werden würde oder was sich verändern oder hinzufügen ließ, um eine spannende, zusammenhängende Struktur zu bekommen.
Die groben Entwürfe für die Folgen zehn und zwölf hingen ebenfalls an der Tafel, dazu eine sehr grobe Skizze von Folge dreizehn. (Ja, ich weiß, wie sie endet. Nein, ich verrate es Ihnen nicht. Alles wird gut. Keine Sorge.) So konnte ich sehen, wie einige der Elemente, mit denen ich zu tun hatte, am Ende von Folge zehn aussehen würden und wie sie am Anfang von Folge zwölf aussehen mussten.
Was folgte, war ein mentales Gruppenpuzzle, bei dem alle mitmachten, Einzelteile hin und her schoben, Neues vorschlugen, darüber diskutierten, hier etwas verwarfen, dort etwas genehmigten und alles zusammenfügten. Die Autoren machten das en masse von der Couch aus, und Richard, der Assistent der Autoren, und Mike, der Skriptmanager, saßen weiter hinten mit ihren Laptops auf Aerosesseln und haben jedes unserer Worte mitgetippt, jeden Vorschlag und jede Schlussfolgerung – und dieses Protokoll wurde mir hinterher zugeschickt.
OK, im nächsten Schritt auf dem Weg zum Drehbuch verfasst der Autor einen Entwurf seiner Folge, indem er das Material aus dem Protokoll weiter ausschmückt und vielleicht noch kreative Kleinigkeiten hinzufügt, so weit sie das vereinbarte Gesamtbild nicht verändern.
Ich hatte bereits eine Menge Drehbuchentwürfe aus der ersten Staffel und einige aus der zweiten gesehen, und dieser Schritt ist ehrlich gesagt nicht sehr schwierig. Ich habe dazu drei Tage im Stop-and-Go-Verfahren gebraucht, also gleichzeitig auch an anderen Dingen gearbeitet. Ein solcher Entwurf hat zehn bis elf Seiten und gibt den linearen Verlauf der Geschichte wieder, während er gleichzeitig bestimmte Dialogzeilen oder Einstellungen betont, die vielleicht wichtig sind.
Der Entwurf ging an Ron und Maril, und ich habe Rons Anmerkungen zurückbekommen, die recht kurz waren und zum großen Teil mit der Logistik beim Dreh zu tun hatten – so war es zum Beispiel nicht möglich, einen Überfall mit zwanzig Soldaten und dreißig Highlandern zu filmen, aber wir könnten es so ähnlich machen wie in der ersten Folge gleich nach Claires Sturz in die Vergangenheit, wo ein solcher Überfall angedeutet wird, aber nur wenige Schauspieler dazu nötig waren.
Ich habe den Entwurf entsprechend geändert, und Ron hat ihn dann „nach oben“ an die Leute bei Sony und Starz weitergegeben, die die Drehbücher genehmigen. Bekam die gesammelten Anmerkungen dieser beiden Häuser (alias „Studio“ und „Netzwerk“) zurück. Auch sie waren glücklicherweise minimal, und wie ich zu Ron sagte: „Das sieht genau so aus wie das, was mir meine Redakteurin an den Rand eines Buchmanuskriptes schreibt. Ich habe sehr viel Übung darin, solche Bedenken anzusprechen und trotzdem zu machen, was ich will.“ (Was Letzteres betrifft, so werden wir ja herausfinden, wie weit ich diesmal komme, denn bei einem Buch bin ich diejenige, die letztlich entscheidet, was hineinkommt, aber bei einem Drehbuch bin ich es ganz und gar nicht.)
Jedenfalls waren die Anmerkungen von Studio und Netzwerk so geringfügig, dass Ron gesagt hat, ich sollte mich ans Drehbuch machen, statt den Entwurf noch einmal zu überarbeiten, also habe ich das getan.
Lassen Sie mich an dieser Stelle abschweifen und anmerken, dass ich viele Schriftsteller kenne, die linear arbeiten und Entwürfe benutzen und einige, denen die Streumethoden der Netzwerk-Denker zu verwirrend geworden sind und die in letzter Zeit angefangen haben, mit Entwürfen zu arbeiten. Alle, die so arbeiten, behaupten hartnäckig, dass ein Entwurf es ihnen leichter macht, das Manuskript auszuarbeiten.
Da haben sie recht – es war ziemlich leicht. Viel, viel weniger interessant als die Teile zusammenzufügen, während man sie erfindet, aber auch jeden Fall leicht – und ich durfte ja den Dialog neu schreiben und amüsante (nun, für mich zumindest) Details einfügen.
Das Schwierigste war tatsächlich der Software-Editor – FinalDraft 9 –, und auch er ist eigentlich nicht kompliziert; ich musste mich nur daran gewöhnen. (Das, und er hat eine wirklich ärgerliche Scrollfunktion, die nie richtig funktioniert hat. Ich weiß nicht, ob es an FD9 oder an mir gelegen hat, aber am Ende einer Seite hat es mir nicht einfach eine neue aufgemacht, auf der ich weiterschreiben konnte, sondern ich musste bei jedem Seitenwechsel und jedem Zurückblättern fürchterlich mit den Cursortasten herumfuchteln.) Ich weiß immer noch nicht, wie man extravagantere Sachen macht wie zum Beispiel die Vorspannseite zu formatieren, aber ich verlasse mich darauf, dass Richard und Mike so nett sein werden, es mir zu erklären.
Nun ist das Drehbuch also fertig. Aber wie immer beim Schreiben und erst recht beim Fernsehen ist das erst der Anfang.
Als erstes lesen Ron und Maril das Drehbuch und schicken mir ihre Anmerkungen zu. Je nachdem, wie komplex diese ausfallen, muss ich das Drehbuch möglicherweise überarbeiten, um ihnen gerecht zu werden, oder ich kann einfach nur hier und da ein bisschen daran schrauben. Sobald Ron damit zufrieden ist, geht es – erneut – an Sony und Starz, die ihrerseits Anmerkungen haben werden, die diverse Veränderungen erfordern werden (vielleicht haben wir ja Glück, und es werden nicht viele. Wer weiß?). Es ist durchaus möglich, dass das Skript drei, vier, fünf Versionen durchläuft, ehe man es für produktionsreif erklärt. Aber das ist noch nicht alles!
Im Vorfeld und während der Dreharbeiten tun sich immer wieder Probleme auf, die Veränderungen am Drehbuch erfordern. Viele davon sind nur geringfügig, andere führen möglicherweise dazu, dass man mehrere Seiten streicht und eine (oder mehrere) völlig neue Szene einfügt.
Und vor allem anderen – kommt es darauf an, wie sich das Drehbuch „spielt “. Können die Schauspieler die Dialoge sprechen, ohne ständig in Gelächter auszubrechen? (Ich habe schon einige Szenen gesehen, bei denen sie es nicht konnten. In einer solchen Serie von Wiederholungsaufnahmen sagt Sam Heughan, nachdem der vierte Versuch in Gekicher endet, „Das wird nie funktionieren“, und man hört den Regisseur entschlossen im Hintergrund sagen: „Oh, doch!“. (Es hat auch funktioniert, aber es hat eine Weile gedauert. Manchmal hilft Hartnäckigkeit, und manchmal ändert der Autor – oder der Schauspieler oder der Regisseur – den Dialog.) Ist die Szene vielleicht auf eine Weise unbeholfen, die erst ersichtlich wird, wenn die Schauspieler damit nicht klarkommen? Ist sie zu lang? Ist ein Dialogstück schlecht formuliert, so dass es gestelzt klingt? Muss man sie aus Rücksicht auf Kameraeinstellungen oder auf den Hintergrund umarrangieren? Mögen die Schauspieler und/oder der Regisseur das Skript, oder haben sie das Gefühl, dass dies oder jenes nicht funktioniert? All diese Dinge müssen „live“ behoben werden – was vermutlich der Grund ist, weshalb der Autor dabei sein muss, wenn sein Drehbuch verfilmt wird.
Ich kann jedenfalls sagen, dass ich schon erlebt habe, dass ein Skipt auch nach der „Produktionsreife“ noch sieben oder acht weitere Versionen durchlaufen hat.
Bis jetzt ist es ein faszinierender Prozess, und ich bin dankbar für die Gelegenheit. Ich werde berichten, wie es weitergeht!
P.S. Kurz nachdem feststand, dass ich ein Drehbuch schreiben würde, habe ich mit George R.R. Martin gefrühstückt und ihm davon erzählt – ich wusste ja, dass er viel für’s Fernsehen geschrieben hat, ehe er Romanautor wurde. Er hat gelacht und gesagt: „Oh, dann wirst du ja jetzt das Große Geheimnis des Drehbuchschreibens erfahren!“
„Vermutlich“, habe ich gesagt. „Und was ist das, George?“ Er hat sich mit Verschwörermiene zu mir herübergebeugt und gesagt: „Es ist VIEL einfacher als einen Roman zu schreiben!“

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