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Lesereise(n) für Anfänger

Lesereise(n) für Anfänger

Das Autorendasein hat mein Leben verändert – und es unter anderem um das regelmäßige Erlebnis von Lesereisen bereichert. Wenn sich eine solche Reise länger hinzieht, werden meine Kommentare, die ich im CompuServe Books & Writers Forum poste (oder auch meine Antworten auf Interview-Fragen), manchmal schnippischer, und die Leute fangen an, mir Arroganz nachzusagen. Aber es gibt einen Grund für mein gelegentliches Genervt-Sein.
Wenn Sie das nächste mal ein langes Wochenende haben, können Sie es ja selbst mal ausprobieren, nur so zum Spaß. Versuchen Sie Folgendes:
Stellen Sie Ihren Wecker auf 4:30 Uhr morgens. Sie brauchen nicht unbedingt Ihre Koffer zu packen, aber lassen Sie sich von einem Taxi abholen und zum Flughafen bringen. Sie müssen auch keinen Flug buchen und sich von der Security abtasten lassen, aber setzen Sie sich zwei Stunden irgendwo hin und lassen Sie sich von Leuten umströmen, die Ihnen auf die Füße treten oder in ihre Handys brüllen, wenn sie neben Ihnen sitzen. Dann schließen Sie sich für drei Stunden auf dem Klo ein – Sie dürfen ein Buch und einen kleinen Snack mitnehmen –, um den Flug zu simulieren. (Sogar Business Class. So viel Fußfreiheit!). Jetzt fahren Sie nach Hause … aber Ihr Tag als professioneller Autor hat gerade erst angefangen! 🙂
Für Phase zwei brauchen Sie ihr einen Assistenten – am besten zwei oder drei, aber ein Ehemann, Mitbewohner oder Freund reicht auch. Die Aufgabe der Assistenten ist es, eine Reihe verrückter Fragen vorzubereiten — (“Was hatten Sie gestern zum Abendessen?” “Warum das und keinen Hotdog?” “Drei- oder vierlagiges Toilettenpapier?” “Warum nicht vier?” “Wie viele Kinder haben Sie?” “Welches haben Sie du am liebsten?” “Warum?” “Wie lange sind Sie schon verheiratet?” “Wieviel Zeit haben Sie in der letzten Woche mit Einkaufen verbracht?” “Beschreiben Sie Ihren Alltag”) — und sie Ihnen zu stellen. Sie müssen jede Frage beantworten. Jedesmal. Und dabei lächeln. Clevere Antworten werden gern genommen, sind aber nicht notwendig.
Ihre Assistenten wiederholen diesen Vorgang halbstündlich … hm, sagen wir drei Stunden lang. (Sie können ihn variieren, indem sie Sie auf dem Handy anrufen, statt Sie direkt zu fragen. Dafür sollten Sie sich aber in der Waschküche einschließen, wärend die Waschmaschine läuft, um ein Interview im fahrenden Auto zu simulieren. Am Telefon müssen Sie zwar nicht unbedingt lächeln – aber Sie sollten es. Man hört es Ihrer Stimme an.)
Dann setzen Sie sich ins Auto und fahren zwei bis drei Stunden durch die Gegend. Wenn es in Ihrer Gegend Buchhandlungen gibt, können Sie ja tatsächlich dorthin fahren, sonst fahren Sie einfach herum. Wenn Sie in einer Buchhandlung sind, fragen Sie, ob das neueste Buch des Autors X vorrätig ist. Wenn man Sie zu einem Tisch mit einem Stapel dieses Buchs bringt, bedanken Sie sich, und dann stellen Sie sich hin und nehmen jedes Buch in die Hand, starren etwa zehn Sekunden auf die erste Seite (so lange dauert es, eins zu signieren, wenn Sie lesbar schreiben), schließen das Buch und legen es zurück. Fahren Sie zum nächsten Buchladen und fangen Sie von vorne an. (Keine Sorge. Dort ist man Verrückte gewohnt. Keiner wird die Polizei rufen, solange Sie nicht anfangen, mit den Büchern um sich zu werfen.)
Jetzt ist es fast Abend. Zeit, sich für die Hauptveranstaltung fertig zu machen. Fahren Sie nach Hause, nein, nicht zum Abendessen! Wo denken Sie hin!? Haben Sie nicht im Flugzeug gegessen? Ziehen Sie sich Ihre beste Garderobe an, machen Sie sich die Haare und schminken Sie sich. Gehen Sie zu einer Sportveranstaltung (das ist das einzige mit einer begeisterten, jubelnden Menschenmenge, was mir einfällt), stellen Sie sich in eine Ecke, wo Sie nicht erdrückt werden, und lesen Sie etwa eine halbe Stunde laut aus Ihrem Lieblingsbuch vor. (Nehmen Sie ruhig Ihre Assistenten mit, damit diese Sie eine weitere Viertelstunde mit Fragen bombardieren können).
Wieder nach Hause, und suchen Sie sich ein Telefonbuch (nein, es wird sich noch nicht umgezogen oder gegessen. Wir arbeiten!). Schreiben Sie Ihren Namen ein- oder zweimal auf jede Seite. Mindestens dreihundertmal, gerne öfter, wenn Ihre Finger mitmachen. Ihr Assistent dokumentiert das Ganze mit seiner Handykamera.. Sie müssen ihn natürlich breit anlächeln (und dabei stillhalten), wärend er beliebige Kommentare von der folgenden Liste abliest: “Oh Mist, die Batterie ist leer!”, “Verdammt, wie funktioniert dieses Ding?”, “Ich hab keine Ahnung, wie das funktioniert.”, “Sekunde … Sekunde … eine Sekunde … nur noch eine Sekunde.”, “Hat’s funktioniert?”, “Mach du das!”, “Was ist los mit diesem Ding?”, “Hat’s geblitzt?”, “Wie speicher ich?”, bevor Sie weiter signieren.
(Wir unterschreiben hier nur, und brauchen uns nicht mit Namen oder Personalisierungen zu befassen. “Das schreibt man G-E-A-N-N-E-E. Und können Sie schreiben “Für meinen größten Fan – Jamie hat Dich am liebsten! Und er sagt, du bist besser im Bett als Claire”?).
OK. FERTIG! Es ist Mitternacht. Sie können sich den Schlafanzug anziehen, fernsehen und etwas essen. Aber vergessen Sie nicht, Ihren Wecker zu stellen! Denken Sie dran, Sie müssen um 4:30 Uhr aufstehen und von vorne anfangen!
Versuchen Sie das drei Tage lang – jeden Tag derselbe Ablauf –, und dann sehen wir, was zuerst den Geist aufgibt, Ihr Verstand oder Ihre Geduld. Multiplizieren Sie das mit zehn, und Sie werden verstehen, warum ich in dieser Zeit nicht immer die pure Nächstenliebe ausstrahle.
Es ist einfach so, dass es drölf Millionen Menschen gibt, die meine Bücher lesen und lieben, und ich danke Gott für jeden davon. Aber mich gibt es nur einmal. Auch nur mit einem Bruchteil meiner Leser annähernd persönlich zu interagieren, ist … schwer. Unmöglich ohne das Internet. Aber der Wunsch nach direktem Kontakt ist trotzdem da – und ich liebe es, mit meinen Lesern zu sprechen. Ich freue mich über ihre Gesellschaft und ihre Kommentare (selbst die sturköpfigen und perversen 😉 ), und es macht mir großen Spaß, sie zu unterhalten. Aber der persönliche Kontakt ist nur ein Bruchteil solcher Promotions-Reisen. Und allein der Reiseaufwand, um zu den Orten zu kommen, wo er möglich ist, ist überwältigend.
Das hier – das Forum – ist zwar öffentlich, befindet sich aber nicht ganz so auf dem Präsentierteller wie andere Internetseiten. Und es ist jetzt schon seit 25 Jahren meine Online-Zuflucht. Ich habe viele Freunde hier, die mich schon die ganze Zeit begleiten, und einen Haufen neuer, aber genau so wichtiger Freunde. Und eine Menge liebenswerter, intelligenter Menschen, die vielleicht noch keine Freunde sind, aber die ich einfach mag. Alle hier genießen das Privileg meiner Ehrlichkeit über meine Gedanken und Gefühle. Ich bin im Grunde gar kein netter Mensch 🙂 . Ich bin sarkastisch, arrogant und aufbrausend. Ich versuche zwar, das zu ändern, und manchmal klappt es und manchmal nicht.
Aber im Gegenzug bitte ich um den Gefallen, mich als menschliches Wesen zu sehen, nicht als Göttin mit einer unermüdlichen nuklearen Kraftquelle.

–Diana
P.S.: Das Forum ist zwar eine englischsprachige Community, aber es hat auch einige deutsche Dauergäste, die Sie gern willkommen heißen.
P.P.S.: Das hier ist die Beschreibung eines typischen Tages auf einer Lesereise in den USA. Lesereisen in Deutschland sind im Vergleich damit beinahe wie Urlaub 🙂