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Die Equinox ist da; vielleicht kommt ja auch der Frühling noch :-)

Die Equinox ist da; vielleicht kommt ja auch der Frühling noch 🙂

(Auszug aus „Minervas Geheimnis“, Original „A Fugitive Green“, ab 3.9.2018 in „Im Bann der Steine“ auf Deutsch erhältlich.)

 

Zwischen den Bäumen sah sie etwas Rotes aufblitzen und dachte im ersten Moment, es wäre ein exotischer Vogel, angelockt von der erstaunlichen Fülle ungewöhnlicher Früchte. Dann hörte sie Männerstimmen, die das gesittete Gemurmel der weitgehend weiblichen Gäste übertönten, und in der nächsten Sekunde trat ihr roter Vogel auf die breite Kreuzung der Kieswege hinaus. Ein Soldat in Paradeuniform – in flammendem Rot und Gold mit glänzenden schwarzen Stiefeln und einem Schwert an seinem Gürtel.

Er war nicht besonders groß; eigentlich war er sogar schmächtig mit einem feinknochigen Gesicht, das sie im Profil sah, weil er gerade den Kopf wandte, um etwas zu seinem Begleiter zu sagen. Doch er hielt sich kerzengerade und trug den Kopf erhoben, und er hatte etwas an sich, das sie an einen Kampfhahn erinnerte – etwas zutiefst Leidenschaftliches, gepaart mit angeborenem Stolz, während ihm gleichzeitig jedes Bewusstsein für seine relative Größe fehlte. Gespornt und bereit, es mit jedem aufzunehmen.

Dieser Gedanke amüsierte sie so sehr, dass es einen Augenblick dauerte, bis sie Notiz von seinem Gesprächspartner nahm. Sein Begleiter war nicht wie ein Soldat gekleidet, jedoch ebenfalls kostbar herausgeputzt, in ockerfarbenem Samt mit einer blauen Satinschärpe und einer großen Medaille an seiner Brust – vermutlich irgendein Orden. Allerdings hatte er große Ähnlichkeit mit einem Frosch, breitlippig und bleich mit ziemlich großen Glotzaugen.

Beim Anblick der beiden, Hahn und Frosch, vertieft in eine freundliche Plauderei, musste sie hinter ihrem Fächer lächeln, so dass sie den Herrn, der hinter sie getreten war, erst bemerkte, als er etwas sagte.

„Schwärmt Ihr für Opuntia-Kakteen … Madam?“

„Vielleicht, wenn ich wüsste, was das wäre“, erwiderte sie, und als sie herumfuhr, sah sie einen jüngeren Herrn in einem pflaumenfarbenen Anzug, der sie konzentriert betrachtete. Er räusperte sich und zog die Augenbraue hoch.

„Äh … eigentlich sind mir Sukkulenten lieber“, sagte sie und gab damit das vereinbarte Gegensignal. Sie räusperte sich ebenfalls und hoffte, dass sie das Wort richtig im Kopf hatte. „Vor allem die, ähm, Euphorbien.“

Die Frage in seinen Augen verschwand, und Belustigung trat an ihre Stelle. Er betrachtete Minnie von Kopf bis Fuß auf eine Weise, die unter anderen Umständen wohl ein Affront gewesen wäre. Sie errötete, ohne jedoch seinem Blick auszuweichen, und zog die Augenbrauen hoch.

„Mr. Bloomer, nehme ich an?“

„Wenn Ihr möchtet“, sagte er lächelnd und bot ihr seinen Arm an. „Darf ich Euch denn die Euphorbien zeigen, Miss …?“

Ein Augenblick der Panik: Wer sollte sie sein oder vorgeben zu sein?

„Houghton“, sagte sie und packte Rafes ironischen Spitznamen beim Schopf. „Lady Bedelia Houghton.“

„Natürlich“, sagte er, ohne eine Miene zu verziehen. „Bezaubert, Eure Bekanntschaft zu machen, Lady Bedelia.“

Er deutete eine Verbeugung an, sie nahm seinen Arm, und zusammen schritten sie langsam in die Wildnis hinein.

Sie durchquerten kleine Dschungel aus Philodendren – jedoch von einer Art, die nie ein gewöhnliches Wohnzimmer geschmückt hatte, mit gezackten Blättern, die halb so groß waren wie Minnie. Eine der Pflanzen hatte große, geäderte Blätter von der Farbe grüner Tinte und sah aus wie Seide im Wasser.

„Philodendren sind sehr giftig“, sagte Mr. Bloomer mit einem beiläufigen Kopfnicken. „Ohne Ausnahme. Wusstet Ihr das?“

„Ich werde es mir merken.“

Und dann Bäume – Ficusbäume, wie Mr. Bloomer ihr mitteilte (vielleicht hatte er ja sein Pseudonym doch nicht zufällig gewählt), mit gewundenen Stämmen und dicken Blättern und einem süßlichen Modergeruch, manche von Schlingpflanzen bedrängt, deren kräftige, wurzelähnliche Haare an der dünnen Rinde hafteten.

Und dann, wahrhaftig, die verdammten Euphorbien, wie sie leibten und lebten.

Sie hatte gar nicht gewusst, dass es so etwas gab. Viele davon sahen überhaupt nicht wie Pflanzen aus, und wenn doch, waren es seltsame Zerrbilder des Pflanzenreichs, die dicken nackten Stämme mit grausamen Dornen besetzt; andere ähnelten Salatköpfen – aber verstrubbelte weiße Salatköpfe mit dunkelroten Mustern, die aussahen, als hätte jemand damit Blut vom Boden aufgewischt …

„Euphorbien sind ebenfalls sehr giftig, aber es ist mehr der Saft. Bringt einen zwar nicht um, aber man sollte ihn nicht in die Augen bekommen.“

„Ah, ja.“ Minnie legte die Hand fester um ihren Sonnenschirm, bereit, ihn zu öffnen, sollte eine der Pflanzen auf die Idee kommen, sie anzuspucken; gleich mehrere von ihnen sahen so aus, als würden sie nichts lieber tun.

„Diese Pflanze nennt man ‚Dornenkrone‘“, sagte Mr. Bloomer und wies kopfnickend auf ein besonders grauenerregendes Exemplar, dessen lange schwarze Stacheln in alle Himmelsrichtungen ragten. „Passend.“ An diesem Punkt bemerkte er ihre Miene und lächelte, während er den Kopf in Richtung des nächsten Hauses neigte. „Kommt mit; die nächste Sammlung wird Euch besser gefallen.“

„Oh“, sagte sie leise. Dann, viel lauter: „Oh!“ Das neue Treibhaus war viel größer als die anderen und hatte ein hohes Gewölbedach, das das Innere mit Sonne erfüllte und den – mindestens! – tausend Orchideen Licht spendete, die sich von Tischen erhoben oder sich in Kaskaden aus Weiß, Gold und Purpur und Rot aus Bäumen ergossen.

„Oh.“ Sie seufzte selig, und Mr. Bloomer lachte.

Sie waren nicht die einzigen Bewunderer. Die Treibhäuser erfreuten sich ausnahmslos großer Beliebtheit – es hatte auch bei den stacheligen, den grotesken und den giftigen Pflanzen viele Ausrufe gegeben –, doch im Orchideenhaus wimmelte es von Gästen, und die Luft war von einem Summen des Staunens und Entzückens erfüllt.

Minnie holte Luft und schnupperte nach Herzenslust. Es duftete nach einer solchen Vielzahl von Aromen, dass ihr schwindelig wurde.

„Daran solltet Ihr lieber nicht riechen.“ Mr. Bloomer, der sie von einer Kostbarkeit zur nächsten führte, hielt die Hand schützend vor einen großen Topf voller ziemlich gewöhnlicher grüner Orchideen mit dicken Blütenblättern. „Verwesendes Fleisch.“

Sie schnupperte vorsichtig und fuhr zurück.

„Und warum in aller Welt möchte eine Orchidee nach Verwesung riechen?“, wollte sie wissen.

Er warf ihr einen etwas seltsamen Blick zu, lächelte aber.

„Blumen legen genau die Farben und Düfte an, die sie brauchen, um die Insekten anzulocken, die sie befruchten. Unser Freund Satyrium hier“, er wies kopfnickend auf die grünen Pflänzchen, „ist auf die Dienste von Aasfliegen angewiesen. Kommt, diese hier duftet nach Kokosnüssen – habt Ihr schon einmal eine Kokosnuss gerochen?“

 

(c) Diana Gabaldon & Barbara Schnell. Bitte verlinkt auf diesen Beitrag, aber kopiert ihn nicht.