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Der dritte Sonntag im Advent: Gaudete

Der dritte Sonntag im Advent: Gaudete

Heute ist der Gaudete-Sonntag – der Tag der Freude, weil Weihnachten jetzt so nah bevorsteht, dass wir in unseren Vorbereitungen (denen unserer Hände und denen unserer Seele) innehalten können und uns auf die Erfüllung des frohen Versprechens freuen können.
Normalerweise zünden wir an diesem Sonntag die hellrote Kerze an unserem Adventskranz an, und wenn ich zu Hause wäre, würde ich sie für Sie fotografieren. Da ich aber in einem Hotelzimmer bin, habe ich nur die Kerze, die ich mich bei der Arbeit begleitet; ich zünde sie jede Nacht an, wenn ich zum Arbeiten nach oben komme, mit einem kurzen „Arbeits“gebet: „Herr, gib, dass ich sehe, was nötig ist; dass ich tue, was getan werden muss.“

Aus: EIN SCHATTEN VON VERRAT UND LIEBE

Mir wurde bewusst, dass Germain neben mir stand. Er hatte den Blick neugierig auf den Herzog gerichtet, der sich inzwischen so weit gefangen hatte, dass er den Blick des Jungen mit hochgezogener Augenbraue erwidern konnte, auch wenn er noch nichts sagen konnte.
„Mm?“, sagte ich, bevor ich mit dem inzwischen automatischen Zählen der Atemzüge fortfuhr.
„Ich dachte nur, Grand-mere, es könnte doch sein, dass man seine Durchlaucht -“, er wies kopfnickend auf Pardloe, „- vielleicht vermisst. Sollte ich nicht jemandem eine Nachricht bringen, damit sie ihm keine Soldaten hinterher schicken? Die Sänftenträger werden doch reden, oder nicht?“
„Ah.“ Das war allerdings keine schlechte Idee. General Clinton wusste mit Sicherheit, dass man Pardloe zuletzt in meiner Begleitung gesehen hatte. Ich hatte keine Ahnung, wer Pardloes Reisebegleiter waren oder ob er sein Regiment selbst befehligte. Falls das so war, war man gewiss längst auf der Suche nach ihm; ein Offizier konnte sich nicht lange unbemerkt von seinem angestammten Platz entfernen.
Und Germain – der wirklich exzellent mitdachte – hatte Recht, was die Sänftenträger betraf. Ihre Nummern bedeuteten, dass sie bei der zentralen Organisation der Sänftenträger Philadelphias registriert waren; es würde die Untergebenen des Generals nur Augenblicke kosten, Nummer Neununddreißig und Nummer Vierzig ausfindig zu machen und herauszufinden, wohin sie den Herzog von Pardloe gebracht hatten.
Jenny, die sich um die gesammelten Teetassen gekümmert hatte, kam jetzt mit der dritten Tasse, kniete sich neben Pardloe und gab mir kopfnickend zu verstehen, dass sie seine Atmung kontrollieren würde, während ich mich mit Germain besprach.
„Er hat die Sänftenträger beauftragt, mich zum King’s Arms zu bringen“, sagte ich zu Germain, nachdem wir uns auf die Veranda zurückgezogen hatten, wo wir ungehört sprechen konnten. „Und begegnet sind wir uns in General Clintons Amtstube im–“
„Ich weiß, wo sie ist, Grand-mere.“
„Dachte ich mir. Hast du eine bestimmte Idee?“
„Tja, ich dachte …“ Er blickte zum Haus zurück, dann sah er mich an, die Stirn nachdenklich gerunzelt. „Wie lange willst du ihn denn gefangen halten, Grand-mere?“
Meine Motive waren Germain also nicht entgangen. Das überraschte mich nicht; zweifellos hatte er von Mrs. Figg alles über die Aufregungen des Vormittags gehört – und da er Jamie kannte, hatte er daraus wahrscheinlich seine Schlüsse gezogen. Ich fragte mich, ob er William wohl gesehen hatte? Falls ja, wusste er wahrscheinlich schon alles. Wenn er es aber nicht wusste, brauchte ich ihm diese kleine Komplikation nicht zu enthüllen, solange es nicht notwendig war.
„Bis dein Großvater zurückkommt“, sagte ich. „Oder vielleicht auch Lord John“, fügte ich hinzu. Ich hoffte aus tiefster Seele, dass Jamie bald zurückkommen würde. Doch es war ja denkbar, dass er außerhalb der Stadt bleiben musste und John mit Neuigkeiten vorschickte. „Sobald ich den Herzog gehen lasse, wird er die ganze Stadt auf den Kopf stellen, um seinen Bruder zu finden. Immer vorausgesetzt natürlich, dass er dabei nicht tot umfällt.“ Und das allerletzte, was ich wollte, war, ein Schleppnetz auszuwerfen, in dem sich Jamie am Ende verfing.
Germain rieb sich nachdenklich das Kinn – eine seltsame Geste für ein Kind, das noch zu jung für Bartstoppeln war, doch er ähnelte dabei seinem Vater so sehr, dass ich lächeln musste.
„Das dauert ja vielleicht nicht lange“, sagte er. „Grand-pere wird auf dem schnellsten Weg zurückkommen; er war gestern ganz wild darauf, dich zu sehen.“ Er grinste mich an, dann blickte er noch einmal durch die offene Tür zurück und spitzte die Lippen.
„Was den Herzog betriff, so kannst du nicht geheim halten, wo er ist“, sagte er. „Aber wenn du einen Brief an den General schicken würdest und vielleicht noch einen an das Wirtshaus und darin schreibst, dass er sich bei Lord John aufhält, würden sie zumindest nicht sofort anfangen, nach ihm zu suchen. Und selbst wenn später jemand vorbeikommt und Fragen stellt, könntest du ihm ja vielleicht etwas verabreichen, damit er still ist, und einfach sagen, er wäre gegangen? Oder ihn vielleicht in die Besenkammer sperren? Geknebelt, falls er bis dahin seine Stimme wieder hat“, fügte er hinzu. Germain war ein ausgesprochen logischer, gründlicher Mensch, das hatte er von Marsali.
„Hervorragende Idee“, sagte ich, ohne weiter darauf einzugehen, was ich von den möglichen Methoden zu Pardloes Ruhigstellung hielt. „Lass mich das schnell tun.“
Nachdem ich einen raschen Blick auf Pardloe geworfen hatte, dem es besser ging, auch wenn er immer noch heftig keuchte, lief ich nach oben und klappte Johns Schreibtisch auf. Es war eine Sache von Sekunden, das Tintenpulver anzumischen und die Briefe zu schreiben. Bei der Unterschrift zögerte ich einen Moment, doch dann fiel mein Blick auf Johns Siegelring auf der Ankleide; er war heute Morgen nicht dazu gekommen, ihn anzuziehen.
Dieser Gedanke versetzte mir einen leisen Stich; inmitten der überwältigenden Freude, Jamie lebend zu sehen, gefolgt von Williams schockierendem Eintreffen, Johns Geiselnahme durch Jamie und schließlich Williams heftigem Abgang – guter Gott, wo mochte William nur sein? -, hatte ich John in meinen Gedanken weit zurückgedrängt.
Dennoch, so sagte ich mir, er war absolut in Sicherheit. Jamie würde nicht zulassen, dass ihm etwas zustieß, und sobald er wieder in Philadelphia war … das Bimmeln der Uhr auf dem Kaminsims unterbrach mich, und ich warf einen Blick darauf: drei Uhr.
„Kinder, wie die Zeit vergeht“, murmelte ich, fabrizierte eine Unterschrift, die Johns Signatur hinreichend ähnlich sah, zündete in der Kaminglut eine Kerze an, träufelte Wachs auf die zusammengefalteten Briefe und drückte den Siegelring mit dem lächelnden Halbmond hinein. Vielleicht war John ja schon zurück, bevor die Briefe auch nur ihre Adressaten erreichten. Und Jamie würde mit Sicherheit bei mir sein, sobald der Schutz der Dunkelheit es zuließ.

© Diana Gabaldon & Barbara Schnell