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Noch 15 Tage: Leseprobe „Zeit der Stürme“

Noch 15 Tage: Leseprobe „Zeit der Stürme“

Am 16. September erscheint in Deutschland der Kurzgeschichtenband „Zeit der Stürme“. Die restliche Wartezeit möchte ich Ihnen gern mit einigen Textauszügen aus den vier Storys verkürzen, die Sie unter „Bücher & mehr“ genauer beschrieben finden. Den Anfang machen Michael Murray und Joan MacKimmie auf der Reise nach Paris.
Viel Vergnügen wünscht
–Diana

„Die Stille des Herzens“

„Wie viele Nonnen heißen denn Maria?“, fragte sie neugierig. „Es ist doch ein verbreiteter Name, oder?“
„Oh, aye, Ihr sagt ja, Ihr habt noch nie eine Nonne gesehen.“ Doch er machte sich jetzt nicht mehr über sie lustig. „Ungefähr die Hälfte der Nonnen, denen ich je begegnet bin, scheinen Schwester Maria Irgendwie zu heißen – Ihr wisst Schon, Schwester Maria Polycarp, Schwester Maria Joseph … in der Art.“
„Und Ihr begegnet also sehr vielen Nonnen, während Ihr Euren Geschäften nachgeht, ja?“ Michael Murray war der jüngere Teilhaber von Fraser et Cie, eines der größten Wein- und Spirituosenhändler in Paris – und dem Schnitt seiner Kleider nach erging es ihm dabei nicht schlecht.
Sein Mund zuckte, doch er antwortete ernst.
„Nun, das tue ich, in der Tat. Nicht jeden Tag, aber die Schwestern kommen oft in mein Geschäft – oder ich gehe zu ihnen. Fraser et Cie beliefert die meisten Klöster und Konvente in Paris mit Wein, und manchmal schicken sie zwei Nonnen vorbei, um eine Bestellung aufzugeben oder etwas Besonderes mitzunehmen – ansonsten liefern wir es natürlich. Und selbst die Orden, die selbst keinen Wein trinken – und die meisten Häuser in Paris trinken ihn; es sind schließlich Franzosen, aye? — brauchen Messwein für ihre Kapellen. Und die Bettelorden klopfen mit schönster Regelmäßigkeit an und bitten um Almosen.“
„Tatsächlich?“ Sie war so fasziniert, dass sie nicht länger versuchte, ihre Unwissenheit zu verbergen. „Ich wusste gar nicht … ich meine … die verschiedenen Orden haben also verschiedene Aufgaben, ist es das, was Ihr sagen wollt? Was für Orden gibt es denn sonst noch?“ Er warf ihr einen kurzen Blick zu, wandte sich dann aber wieder um und kniff die Augen zum Schutz vor dem Wind zusammen, während er überlegte.
„Nun … es gibt Nonnen, die die ganze Zeit beten – kontemplative Orden nennt man sie, glaube ich. Man sieht sie zu jeder Tages- und Nachtzeit in der Kathedrale. Es gibt aber mehr als nur einen solchen Orden; einer trägt graue Kutten und betet in der Josephskapelle, und ein anderer trägt Schwarz; man sieht sie vor allem in der Kapelle Unserer lieben Frau der Meere.“ Er warf ihr einen neugierigen Blick zu. „Wollt Ihr eine solche Nonne werden?“
Sie schüttelte den Kopf, froh, dass der beißende Wind ihr Erröten verbarg.
„Nein“, sagte sie nicht ohne Bedauern. „Das sind vielleicht die heiligsten unter den Nonnen, aber ich habe einen Großteil meines Lebens damit verbracht, im Hochmoor vor mich hin zu sinnieren, und es hat mir nicht besonders gefallen. Ich glaube, ich habe nicht die richtige Seele dafür, selbst wenn ich es in einer Kapelle täte.“
„Aye“, sagte er und wischte sich die wehenden Haarsträhnen aus dem Gesicht. „Ich weiß, wie es im Hochmoor ist. Nach einer Weile geht einem der Wind nicht mehr aus dem Kopf.“ Er zögerte einen Moment. „Als mein Onkel Jamie – Euer Pa meine ich – Ihr wisst doch, dass er sich nach der Schlacht von Culloden in einer Höhle versteckt hat?“
„Sieben Jahre lang“, sagte sie ein wenig ungeduldig. „Aye, jeder kennt diese Geschichte. Warum?“ Er zuckte mit den Achseln.
„Nur so ein Gedanke. Ich war damals noch ein kleines Kind, aber hin und wieder bin ich mit meiner Mutter zu ihm gegangen, um ihm etwas zu essen zu bringen. Er hat sich zwar gefreut, uns zu sehen, aber er hat nicht viel geredet. Und seine Augen haben mir Angst gemacht.“
Joan spürte, wie ihr ein kleiner Schauder über den Rücken lief, der nicht von der steifen Brise her rührte. Sie sah – sah es plötzlich, in ihrem Kopf – einen hageren, schmutzigen Mann, dessen Gesicht nur Haut und Knochen war und der in den feuchten, kalten Schatten der Höhle hockte.
„Pa?“, sagte sie spöttisch, um zu überspielen, dass sich ihre Arme mit Gänsehaut überzogen. „Wie kann man denn vor ihm Angst haben? Er ist doch ein freundlicher, gütiger Mann.“ Michaels breiter Mund zuckte.
„Das kommt wahrscheinlich ganz darauf an, ob man ihn schon einmal kämpfen gesehen hat. Aber–“
„Habt Ihr das denn?“, unterbrach sie ihn neugierig. „Ihn einmal kämpfen gesehen?“
„Das habe ich, aye. Aber–“, sagte er, denn er wollte sich nicht vom Thema abbringen lassen, „ich habe ja auch nicht gemeint, dass er mir Angst gemacht hat. Ich hatte nur das Gefühl, dass er nicht ganz von dieser Welt war. Dass er die Stimmen im Wind hörte.“
Das ließ ihr den Speichel im Mund vertrocknen, und sie bewegte ihre Zunge ein wenig und hoffte, dass man es ihr nicht ansah. Sie hätte sich keine Sorgen zu machen brauchen; er sah sie gar nicht an.
„Mein eigener Pa hat gesagt, es läge daran, dass Jamie so viel Zeit allein verbrachte, dass ihm die Stimmen in den Kopf krochen und er sie nicht aussperren konnte. Wenn er sich sicher genug fühlte, um ins Haus zu kommen, hat es manchmal Stunden gedauert, bis er wieder anfing, uns zu hören – wir durften ihn erst ansprechen, wenn er etwas gegessen und sich aufgewärmt hatte.“ Er lächelte ein wenig bedauernd. „Mama meinte, vorher wäre er kein Mensch – und rückblickend glaube ich, dass sie das ganz wörtlich gemeint hat.“
„Nun“, sagte sie, hielt dann aber inne, weil sie nicht wusste, wie sie fortfahren sollte. Sie wünschte von ganzem Herzen, sie hätte das eher gewusst. Ihr Pa und seine Schwester würden später auch nach Frankreich kommen, doch es war möglich, dass sie sie nicht sehen würde. Vielleicht hätte sie mit Pa sprechen können, ihn fragen können, wie sich die Stimmen in seinem Kopf anhörten – was sie sagten. Ob sie Ähnlichkeit mit den Stimmen hatten, die sie hörte.

(c) Diana Gabaldon & Barbara Schnell