Dreiundsiebzig!
Ich hätte nie gedacht, dass ich so weit kommen würde, aber es freut mich sehr, dass es so ist.
Wie das damals war mit meinem Geburtstag, könnt Ihr hier nachlesen:
Und mein nachträgliches Geburtstagsgeschenk für Euch:
Aus OUTLANDER BUCH ZEHN (noch ohne Titel), (c) Diana Gabaldon & Barbara Schnell
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Jamie schaffte es bis zu der Quelle, die sie Wounded Lady nannten. Dort rief er nach dem Hund und setzte sich auf den großen Stein, deutlich abrupter als beabsichtigt.
„A Màthair Dhè.“ Eine Weile saß er still und atmete, und sein Knie pochte im Rhythmus seines Herzschlags. Er war aus dem Haus entwischt, ehe Claire entdeckte, dass er ohne hindernde Schienen und Verbände umher ging – und ohne Stock, Gott behüte. Er hätte einen Stock mitnehmen sollen, und er wünschte, er hätte es getan, aber er hatte sich trotzig gefühlt und war die Gebrechlichkeit leid gewesen.
„Aye, nun ja, ich gebe zu, dass es nicht so schlimm ist wie gekreuzigt zu werden“, sagte er entschuldigend zur Mutter Gottes, an die er sich gerade gewandt hatte. „Außerdem werden wir den Großteil des Weges reiten; es wird schon gehen“, murmelte er wenig überzeugend vor sich hin. Er packte den papierweißen Stamm der großen Espe, zog sich hoch, pfiff nach dem Hund, biss die Zähne zusammen und stieg weiter bergauf, während er sich fragte, warum er Ian kein Land gegeben hatte, das näher an seinem eigenen Haus lag.
Mit dem Schmerz in seinem Knie beschäftigt, hatte er nicht mehr nach dem Jungen Ausschau gehalten. Überrascht stellte er fest, dass Rachel allein war, als er in Rufweite der Blockhütte kam. Sie hatte nach Ian Ausschau gehalten, und zwar schon seit einiger Zeit; das verriet ihre angespannte Miene, die sich noch verstärkte, als sie Jamie und Skènnen sah.
„Platz, du Tier“, sagte sie zu dem Welpen, der sie nicht beachtete. „Ist dir Ian auf dem Weg begegnet?“, fragte sie.
Etwas beunruhigt schüttelte Jamie den Kopf.
„Ich habe keine Spur von ihm gesehen, Kleine, auf dem ganzen Weg vom Haupthaus bis hier. Von den Jungen auch nicht“, fügte er hinzu und kam so ihrer nächsten Frage zuvor. „Sàmchair, a cù“, fügte er an Skènnen gewandt hinzu. Dieser überlegte eine halbe Sekunde, ob er den Befehl beachten sollte, dann ergab er sich brav und legte sich zu Rachels Füßen nieder.
„Warum macht er das nicht, wenn ich es ihm sage?“, wollte sie von Jamie wissen. „Ich spreche mit ihm, bin mir sicher, dass ich Gälisch mit ihm spreche, und er lacht mich einfach aus.“ Skènnen verbreiterte sein Hundegrinsen und ließ die Zunge heraushängen, als applaudierte er ihrem Witz.
„Er glaubt nicht, dass du es ernst meinst“, sagte Jamie und warf dem Hund einen strengen Blick zu. „Und er weiß, dass ich es tue. Nicht wahr, a cù?“ Er stupste dem Hund die Zehen unter die Rippen, woraufhin sich Skènnen auf den Rücken drehte, mit den Pfoten in der Luft ruderte und wild mit dem Schwanz wedelte.
Rachel räusperte sich.
„Möchtest du etwas Buttermilch, Jamie? Oder vielleicht eingelegte Knoblauchgürkchen?“
Allmählich bekam er zwar Hunger von seinem Aufstieg, doch er lehnte das freundliche Angebot ab und nahm stattdessen einen Becher kaltes Wasser. Ebenso lehnte er den Schaukelstuhl ab, den Rachel ihm anbot, und ließ sich vorsichtig auf der Kante der Veranda nieder.
„Setz dich, Kleine“, sagte er und bemerkte den Binsenkorb. „Ich mache die Erbsen für dich fertig.“
Sie lachte, setzte sich und schob die gelbe Schale mit dem nackten Fuß in seine Richtung.
„Wie sagt man auf Gälisch ‚wie der Vater so der Sohn‘?“
„Eigentlich sagt man das nicht, aber du könntest sagen, coltach ri dà phòna ann am pod. Wie zwei Erbsen in einer Schote. Heißt das, du hast William gesehen?“ Er blickte nicht zu ihr auf, sondern drückte mit dem Daumennagel auf die Naht der Schote und holte die Erbsen mit geübtem Finger heraus.
„Ja. Er hat mir ein wenig von seiner Situation erzählt – und von … John Greys …“ Er hörte das kurze Zögern in ihrer Stimme und sah sie scharf an. Sie zog ihre dunkle Augenbraue hoch. „Ich nehme an, du bist hier, um mir mehr zu erzählen?“
Jamie erzählte es ihr. Alles, nach einem Moment des Zögerns. Rachel war bereits im Bilde über Williams Abstammung, und da der Rest von Fraser‘s Ridge in Kürze ebenfalls informiert sein würde, gab es nichts zu verbergen. Und was Lord John Greys persönliche Umstände betraf …
„Weißt du, dass seine Lordschaft –“, begann er zögernd.
„Das ist, was allgemein als Sodomit bekannt ist?“, unterbrach sie. Sie hatte einen Hocker ins Freie geholt und setzte sich damit neben ihn. „Ja, zumindest habe ich es vermutet. Denny hat mir gesagt, dass er glaubte, es sei so.“
„Und woher sollte dein Bruder so etwas wissen?“, fragte Jamie überrascht. Gewiss, Denzell Hunter war Arzt, aber …
Rachel zog eine Schulter hoch.
„Als wir in Philadelphia gelebt haben, hatte Denny eine Weile einen … es hört sich falsch an, es Freundschaft zu nennen, weil es … nun, weil es das nicht war.“ Sie lächelte ihn an. „Aber er hatte einen Bekannten, der regelmäßig ein Molly-Haus in der Nähe besuchte. Bei einer dieser Gelegenheiten geriet der Mann in eine Prügelei und wurde ernst verwundet – er war betrunken und verlor das Gleichgewicht, während er nach einem anderen Mann ausholte, fiel mit dem Gesicht gegen das Kaminsims und brach sich die Nase, drei Zehen – er hatte versucht, seinen Gegner zu treten, verfehlte ihn aber und traf einen massiven Eichentisch – und den linken Arm, der außerdem voller Brandblasen war, weil gerade ein Feuer brannte, als er sich am Marmorsims bewusstlos schlug und in den Kamin stürzte.“
„Oh. Aye?“
„Aye, in der Tat“, versicherte sie ihm. „Seine … man würde sie wohl Freunde nennen?“
„Aye, nun ja, Interessensgenossen …“, murmelte Jamie. Sein Gesicht fühlte sich warm an.
„Nun denn. Seine Freunde also haben nach Denny gerufen, der hingegangen ist und seinem Bekannten die Nase wieder zusammengesetzt, den Arm gerichtet und die Zehen geschient hat. Das hat sämtliche Zuschauer – darunter auch der Betreiber des Hauses – so beeindruckt, dass Denny de facto ihr Hausarzt wurde.“
Jamie war – gegen seinen Willen – fasziniert.
„Hast … du …?“, begann er, dann brach er ab.
„Ich habe Denny nie in das Haus begleitet“, versicherte sie ihm. „Aber eine Anzahl der … Gäste? … haben uns hin und wieder in der Not aufgesucht. Ich bin einigen leicht beschädigten Sodomiten begegnet. Sie sind im Großen und Ganzen weitgehend wie andere Männer.“
„Abgesehen von –“
„Nun ja. Daher wohl auch die Gefahr für Seine Lordschaft. Ich gehe davon aus, du meinst, der Mann, der ihn festhält, hat ihn nicht nur körperlich in seiner Gewalt, sondern bedroht außerdem sein …“
„Sein Leben“, beendete Jamie. Seine Stimme war schroff, und er räusperte sich. „In jeder Hinsicht.“
Sie nickte, ihr Gesicht voll Sorge.
„Was wirst du tun?“
Jamie setzte sich gerade hin, reckte seinen Rücken und streckte dabei vorsichtig die Beine aus.
„Aye, das ist die Frage, mit der wir ringen, seit wir gehört haben, was William zu sagen hatte. Das erste ist natürlich, John Grey zu finden und zu befreien.“
„Ich fürchte, ihn zu befreien könnte der einfachere Teil sein.“
„Ich auch, Liebes.“
Sein Knie fühlte sich nicht länger an, als stäche jemand immer wieder mit einem Taschenmesser darauf ein, doch es pochte noch immer im Takt mit seinem Herzschlag. Er berührte es nicht, warf jedoch einen verstohlenen Blick darauf und auf das andere. Das schlimme Knie war ganz leicht rot gefärbt.
„Nun, wir haben zwei Ausgangspunkte“, sagte er. „Schiffshäfen und einen Mann namens Denys Randall.“
Rachels dunkle Augenbrauen hoben sich.
„Ich – das heißt wir – kenne einen Mann namens Denys Randall“, sagte sie. „Meinst du, es könnte zwei davon geben?“
„Nein“, sagte Jamie verblüfft. „Aber nur um sicher zu gehen – ist der Mann, den du und Denny kennt, Soldat? Und wird er manchmal Denys Randall-Isaacs genannt?“
Einen Moment sah sie ihn an, und ihre Hand ruhte sanft auf ihrem Bauch.
„Ja“, sagte sie langsam, „und ja. Das ist er, und das wird er.“
Vielleicht hätte sie noch mehr gesagt, aber ein Ruf auf dem Weg ließ sie abrupt aufstehen. „Mama! Mama!“
Jamie erhob sich sofort und winkte sie zurück.
„Setz dich, Kleine, ich kümmere mich darum.“
Sie warf ihm einen raschen Blick zu, und ihre hochgezogene Augenbraue deutete an, dass er das nicht ernst meinen konnte.
„Das ist Totis“, sagte sie und war mit einem Fuß schon auf der oberen Stufe. „Irgendetwas stimmt nicht.“
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