Trotz allem: Gaudete!
Heute ist der dritte Sonntag im Advent, den wir „Gaudete“ („Frohlocket“) nennen. Eigentlich der Tag, an dem der Ernst eine Pause hat, der Tag, an dem wir die dritte Kerze am Adventskranz anzünden und mit Freude und Staunen erkennen, wohin dieser Weg führt: Hoffnung und Versprechen erfüllen sich in großer Liebe. In diesem Jahr ist es ein Tag, der für viele Menschen neue existenzielle Ungewissheit bringt. Möge Euch der „Gaudete“-Sonntag trotzdem Halt und Hoffnung geben. Bleibt gesund, werdet gesund, passt auf Euch – und aufeinander – auf.
(c) Diana Gabaldon & Barbara Schnell; Auszug aus OUTLANDER Band 9 (nein, es ist noch nicht fertig, aber bald, und nein, es hat noch keinen deutschen Titel). Bitte respektiert das Urheberrecht und verlinkt auf diesen Beitrag, aber kopiert ihn nicht.
ICH FRAGTE MICH, was Roger auf Kapitän Cunninghams Darbietung folgen lassen wollte. Die Gemeinde hatte sich unter den Bäumen verteilt, um eine Erfrischung zu sich zu nehmen, doch jede Gruppe, an der ich vorüberging, redete erregt und hingebungsvoll über das, was der Kapitän gesagt hatte – was nur verständlich war. Auch ich stand noch im Bann seiner Geschichte – erfüllt von Staunen und Hoffnung.
Brianna schien sich das Gleiche zu fragen; ich sah sie mit Roger im Schatten einer großen Gelbeiche diskutieren. Doch er schüttelte den Kopf, lächelte und zupfte ihr die Haube zurecht. Sie hatte sich ihrer Rolle als sittsame Predigersfrau entsprechend gekleidet und strich sich Rock und Mieder glatt.
„Ich gebe ihr zwei Monate, dann kommt sie in Lederhosen zur Kirche“, sagte Jamie, der meiner Blickrichtung folgte.
„Das glaubst du“, sagte ich.
„Möchtest du wetten, Sassenach?“
„Glücksspiel an einem Sonntag? Du wirst geradewegs zur Hölle fahren, Jamie Fraser.“
„Das macht mir nichts aus. Du wirst bestimmt vor mir da sein. Außerdem muss man doch wenigstens ein paar Tage Fegefeuer erlassen bekommen, wenn man dreimal an einem Tag in die Kirche geht.“
Ich nickte.
„Bereit für die zweite Runde?“
Roger küsste Brianna und schritt aus dem Schatten in den sonnenhellen Tag, hochgewachsen, dunkelhaarig, stattlich in seinem besten schwarzen … nun ja, in seinem einzigen schwarzen Anzug. Er kam auf uns zu, dicht gefolgt von Brianna, und ich sah, dass das mehreren Menschen in den umstehenden Grüppchen auffiel und sie begannen, ihr restlichen Brot, ihren Käse und ihr Bier wegzupacken, sich für einen Moment hinter die Büsche zurückzuziehen und Kindern die verrutschten Kleider zu ordnen.
Ich deutete einen Salut an, als Roger zu uns kam.
„Augen zu und durch?“
„Geronimo“, erwiderte er knapp, richtete sich sichtlich auf und wandte sich ab, um seine Schäflein zu begrüßen und sie nach innen zu geleiten.
Im Inneren des Gemeinschaftshauses war es zwar spürbar warm, aber Gott sei Dank noch nicht heiß. Der Geruch nach frischer Kiefer war jetzt weniger scharf, abgedämpft durch das raschelnde Leinen und die schwachen Gerüche nach Küche, Hof und dem Chaos des Alltags mit Kindern, die als angenehm heimeliger Dunst aufstiegen.
Roger wartete einen Moment, bis sie sich niedergelassen hatten, jedoch nicht so lange, dass Gespräche ausbrechen konnten. Er trat ein, Brianna am Arm, ließ sie auf der vorderen Bank zurück, drehte sich um und lächelte die Gemeinde an.
„Ist hier jemand, der mich noch nicht kennt?“, fragte er, und leises Lachen ging durch die Bänke.
„Aye, nun, die Tatsache, dass ihr mich kennt und ihr trotzdem hier seid, ist beruhigend. Manchmal sind es die Dinge, die wir kennen, die große Bedeutung haben, nicht zuletzt, weil wir sie gut kennen und uns ihrer Kräfte bewusst sind. Würdet Ihr wohl aufstehen, dann sprechen wir zusammen das Vaterunser.“
Sie erhoben sich pflichtschuldig und folgten seinem Gebet – manche, so bemerkte ich, auf Gälisch, die meisten jedoch auf Englisch mit einer Vielzahl von Akzenten.
Als wir uns alle wieder setzten, räusperte er sich heftig, und ich begann mich zu sorgen. Ich war mir sicher, dass es seiner Stimme besser ging – dank seiner natürlichen Heilkraft oder dank meiner monatlichen Behandlungen – wenn etwas so Simples und doch so Bemerkenswertes wie Dr. MacEwens Handauflegen diese Bezeichnung verdiente –, doch es war lange her, dass er zuletzt in der Öffentlichkeit gesprochen, geschweige denn gepredigt … geschweige denn gesungen hatte, und er musste mit einigem Erwartungsdruck umgehen.
„Einige von euch kommen, wie ich weiß, von den Inseln – und aus dem Norden. Ihr werdet also wissen, was ein Wechselgesang ist.“
Ich sah, wie Hiram Crombie den Blick die Bank hinunter an seiner gesammelten Familie entlang schweifen ließ und spürte die erwachende Neugier anderer in der Menge, die es in der Tat wussten.
„Für die, die in letzter Zeit aus anderen Gegenden gekommen sind … kein Grund zur Aufregung; es ist nur eine Möglichkeit des Umgangs mit Psalmen und Kirchenliedern, wenn man für alle nur ein Gesangsbuch hat. Oder fast ein ganzes.“ Er hielt sein eigenes, arg mitgenommenes Gesangsbuch hoch, einen Klumpen zerfledderter Seiten ohne Einband, den Jamie in einem Wirtshaus in Salisbury gefunden und für drei Pence und zwei Schweinsfüße gekauft hatte, letztere just beim Kartenspiel erworben.
„Heute werden wir den Psalm 133 singen. Er ist kurz, aber ich mag ihn sehr. Ich werde die erste Zeile singen – oder vielleicht krächzen …“, er lächelte sie an und räusperte sich noch einmal, aber nur kurz, „und dann wiederholt ihr sie. Ich singe die nächste und so weiter, aye?“
Er schlug das Buch auf der markierten Seite auf. Mit einer Stimme, die zumindest so kraftvoll war, dass man sie hörte, und so rhythmisch, dass man ihr folgte, brachte er den ersten Vers heraus:
„Siehe wie gut!“
Eine Sekunde Pause, dann wiederholten mehrere Stimmen selbstbewusst:
„Siehe wie gut!“
Glück stiegt ihm ins Gesicht, und erst jetzt begriff ich, dass er sich nicht sicher gewesen war, ob es funktionieren würde.
„Und wie schön es ist …“
„Und wie schön es ist!“
Mehr Stimmen, das Selbstbewusstsein breitete sich aus, und beim dritten Vers waren wir genau so glücklich wie Roger und fühlten jedes Wort und seine Bedeutung.
Es war ein ziemlich kurzer Psalm, doch alle hatten solche Freude daran, dass er ihn zweimal sang, ehe er schließlich schweißüberströmt und rot vor Hitze und Anstrengung innehielt, während das letzte „Leben bis in Ewigkeit!“ noch nachhallte.
„Das war gut“, sagte er krächzend, und sie lachten, jedoch mitfühlend. „Jamie – würdest du kommen und uns aus dem Alten Testament vorlesen?“
Ich warf einen überraschten Blick auf Jamie, doch er war anscheinend darauf vorbereitet, denn er griff nach seiner kleinen grünen Bibel, die er mitgebracht hatte, und ging zur Vorderseite des Raumes. Er trug den besten seiner beiden Kilts und dazu den einzigen schlichten Rock, den er besaß. Er zog die Brille aus der Tasche, setzte sie auf und blickte streng über die Gläser hinweg zu den Jungen in der letzten Reihe, die augenblicklich aufhörten zu flüstern.
Offenbar zufrieden mit der Wirkung des strengen Blicks öffnete er die Bibel und las aus dem Buch Genesis die Geschichte von den Engeln, die Abraham besuchten und ihm als Gegenleistung für seine Gastfreundschaft versprachen, dass seine Frau Sarah ihm bis zu ihrem nächsten Besuch einen Sohn gebären würde. „… Darum lachte sie bei sich selbst und sprach: Nun, da ich alt bin, soll ich noch Liebeslust erfahren, und auch mein Herr ist alt?“
Bei dieser Textzeile blickte er kurz auf, und seine Augen suchten die meinen. „Mpfm“, sagte er tief in seiner Kehle und endete mit: „Sollte dem Herrn etwas unmöglich sein? Um diese Zeit will ich wieder zu dir kommen übers Jahr; dann soll Sara einen Sohn haben.“
Irgendwo hinter mir hörte ich leises Kichern, doch es ging sofort im letzten Bibelvers unter: „Da leugnete Sara und sprach: Ich habe nicht gelacht –, denn sie fürchtete sich. Aber er sprach: Es ist nicht so, du hast gelacht.“
Jamie schloss das Buch präzise und entschieden, reichte es Roger, setzte sich neben mich und verstaute seine zusammengeklappte Brille.
„Ich weiß nicht, wie irgendjemand meinen kann, Gott hätte keinen hinterlistigen Sinn für Humor“, flüsterte er mir zu.
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