Reisebericht: Vilnius (Litauen), Teil 1
Also, normalerweise fliege ich nur dann Business Class, wenn es jemand anders bezahlt 🙂 oder wenn die Umstände die zusätzlichen Kosten zu rechtfertigen scheinen. In diesem Fall traf Letzteres zu.
Vilnius ist einer dieser Orte, die man nicht auf einfachem Wege erreichen kann. Von hier aus benötigt man mindestens drei Flüge (und 22 Stunden), um dorthin zu kommen, und zwei Wochen vor meiner Abreise hat sich die freundliche Person, die meine Reise organisierte, für ihre Langsamkeit entschuldigt – es sei minus 30 Grad, „so kalt, dass einfach nichts mehr geht“. Todesmutig habe ich mir Handschuhe und Wollmütze in die Taschen meines dicken Daunenmantels gesteckt, mir drei neue Bücher in den Kindle geladen (NO MARK UPON HER von Deborah Crombie, A PERFECT BLOOD von Kim Harrison und BLEIB NICHT ZUM FRÜHSTÜCK! von Susan Elizabeth Phillips – all drei übrigens wirklich gute Bücher), mir drei Kokoscreme-Ostereier und eine Haarbürste zu meinem Leseexemplar von Louise Pennys THE BEAUTIFUL MYSTERY für die Starts und Landungen in die Büchertasche gepackt und mich auf die Reise in die große weite Welt begeben.
Das Abenteuer begann typisch – was bedeutet, dass der erste Flug dieses sorgfältig arrangierten Mammut-Trips ausfiel (womit auch alle Anschlussflüge dahin waren). Wenn man sich so oft auf derartigen Reisen befindet, muss man einfach eine gewisse philosophische Einstellung entwickeln, also habe ich ein Osterei gegessen (mit Cola Light, ohne Kaffeinquelle übersteht man es auch nicht) und in aller Seelenruhe dreieinhalb Stuinden im Flughafen von Phoenix gesessen („Biz Class“ zu fliegen hilft natürlich bei der philosophischen Grundeinstellung, weil man sich in solchen Situationen in der Lounge der Fluggesellschaft aufhalten kann, wo die Toiletten gepflegter sind und man mit Tageszeitungen, Snacks und Alkohol versorgt wird) und NO MARK UPON HER gelesen, bevor ich nach Newark geflogen bin (statt nach Washington Dulles wie ursprünglich vorgesehen). Habe THE BEAUTIFUL MYSTERY angefangen, das sehr gut ist, allerdings etwas anders als Pennys sonstige Bücher, denn es geht zwar um Chief Inspector Gamache, doch die Handlung spielt nicht in dem märchenhaften Örtchen Three Pines. Habe dann aber NO MARK weitergelesen, weil ich mit dem Leseexemplar nicht zu schnell durch sein wollte – mir standen ja noch reichlich Starts und Landungen bevor.
Nun ja. In Newark hätte ich ohnehin nur 40 Minuten Zeit bis zum nächsten Flug – nach Frankfurt – gehabt, was schon gewagt war, wenn man bedenkt dass es zehn Minuten dauert, überhaupt aus dem verflixten Flieger zu kommen, bevor man dann zum nächsten Gate rennt (und Newark hat ungefähr 175 Gates). Aber das Flugzeug musste in die Wartschleife, und als wir endlich gelandet und meilenweit gerollt waren, war meine Anschlusszeit auf neun Minuten geschrumpft, und ich hatte mich schon damit abgefunden, die Nacht in Newark zu verbringen, wieder alles umzubuchen und von meinem iPad eine E-Mail nach Vilnius zu schicken, dass ich mich etwas verspäten würde.
DOCH was sahen meine verwunderten Augen in dem Moment, als ich aus der Fluggastbrücke kam? Einen freundlichen jungen Mann mit Anzug und deutschem Akzent (eigentlich war es ein Lufthansa-Flug, wenn auch in einer Contintal-Maschine), der mich am Arm nahm, mich in ein wartendes Elektrowägelchen setzte und – nachdem er mir versichert hatte, dass man schon dabei sei, meinen Koffer auszugraben und hinterherzuschicken – mit mir eine wilde Jagd durch das Terminal begann, während die junge Dame am Steuer mit eiserner Lunge „MIEEEP-MIEEEP-MIEEEP!“ rief, um die ahnungslosen Fußgänger zu warnen, die dem Tod zum Teil nur durch gewagte Hüpfer entkamen.
Als ich in den Flieger gehastet kam, stand das gesamte Kabinenpersonal mit ungeduldigen Blicken auf seine Armbanduhren im Eingang, und dreißig Sekunden, nachdem ich in meinen Sitz geplumpst war (nach einem Satz über meine Sitznachbarin hinweg, die bereits ihre Schlafmaske aufgesetzt hatte und der Länge nach unter ihrer Decke lag), starteten wir Richtung Frankfurt. Ein weiterer Vorteil der Business Class ist es, dass man nonstop Alkohol angeboten bekommt, und das ist auch gut so. Weißwein passt zwar eigentlich nicht zu Ostereiern, aber wissen Sie was – egal!
Lufthansa ist wirklich so ziemlich meine Lieblings-Airline – soweit man überhaupt an das Wort „Airline“ denken kann, ohne eine Gänsehaut zu bekommen. Das Essen war hervorragend, das Personal freundlich und schnell (eine der kleinen Annehmlichkeiten die ich neben dem Alkohol und den warmen Nüssen an der „Biz Class“ liebe, sind die Servietten, die aus schneeweißem Stoff sind und an einer Ecke ein Knopfloch haben, so dass man sie an seiner Bluse festknöpfen kann, statt sie sich auf den Schoß zu legen und sich Rucola und glasierte Walnüsse ins Decollete zu krümeln oder sie sich in den Kragen zu stecken und auszusehen wie ein Depp) und die Sitze wirklich cool: Jeder befand sich in seinem eigenen Kunststoff-Kokon, in dem man ihn in alle Richtungen verstellen konnte, ohne dass es eine Rolle spielte, ob sich der Vordermann zurücklehnt.
Ich bin so ans unregelmäßige Schlafen gewöhnt, dass ich gar nicht erst versuche, meinen Rhythmus umzustellen, wenn ich fliege; ich nehme einfach nur homöopathische „No-Jet-Lag“-Pillen und schlafe, wenn ich müde bin. Zu diesem Zeitpunkt war ich nicht müde, also habe ich einen Blick auf das Filmprogramm geworfen – alles mehr oder weniger neue Filme, aber eine ziemlich traurige Auswahl – und mir den ersten Teil von „Harry Potter und die Heiligtümer des Todes“ angesehen. So wirr, dass es langweilig war, wenig inspirierte Schauspieler und gute Spezialeffekte. Sagen wir einfach, dass mich nichts dazu drängt, mir Teil zwei anzusehen. Ich habe ja das Buch gelesen, ich weiß, wie es endet.
Erstaunlicherweise sind wir so zeitig gelandet, dass ich meinen usprünglich geplanten Flug von Frankfurt nach Vilnius bekommen habe, obwohl ich in Frankfurt durch die Passkontrolle musste und von einem Ende des Flughafens zum anderen musste. Ich konnte mir sogar unterwegs für den Wucherpreis von drei Euro eine kleine Flasche Cola kaufen (da ich so oft verreise, habe ich immer kleine Summen in allen möglichen Währungen zur Hand, die ich zu Hause aus meinen Taschen hole, und habe bei der Landung immer genug für einen Snack und ein Taxi, bevor ich Geld wechseln muss – wirklich hilfreich, wenn man nachts auf einem kleinen Flughafen landet. Frankfurt ist übrigens alles andere als ein kleiner Flughafen. Er ist ungefähr so groß und komplex wie O’Hare, aber viel, viel besser geführt. Zu dem Zeitpunkt streikte das Bodenpersonal – das war der Grund, warum mein erster Flug gestrichen wurde; das Flugzeug, das ich nehmen sollte, saß in Frankfurt fest — , aber sie kümmerten sich zügig um die Leute, und es gab keinen Aufstand. Oder vielleicht lässt man dort einfach nicht zu, dass die Fluggäste unfreundlich oder handgreiflich gegen das Personal werden).
Und so bin ich ziemlich pünktlich in Vilnius gelandet, wo das Thermometer gestiegen, der Schnee matschig und der Himmel grau war – also in etwa so wie Februar in Flagstaff (wo ich aufgewachsen bin), wie ich meinen bedauernden Gastgebern immer wieder versichert habe – und wo ein großes Poster in der Gepäckausgabe der Welt kundtat, dass Vilnius „Europas Hauptstadt der Gleichberechtigung von Mann und Frau“ ist.
Und es ward Morgen, und es ward Abend, und es ward Morge