Frohe Ostern!
Liebe Leser,
mit der folgenden Szene aus dem kommenden Band der Highland-Saga möchte ich Ihnen ein frohes Osterfest wünschen. Sie enthält allerdings ein dickes Überraschungs-Ei. Falls Sie nicht zu viel darüber erfahren möchten, wie die Geschichte weiter geht, habe ich Sie hiermit gewarnt.
Viel Freude und schöne Feiertage wünscht
–Diana
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Roger kämpfte sich mühsam zum Gipfelpunkt des Bergpasses empor und flüsterte dabei (wie schon seit ein paar Meilen) immer wieder vor sich hin:
„Hätt’st diese Straße geseh’n, bevor sie entstand,
Segnen würd’st General Wade mit erhobener Hand.“
Der irische General Wade hatte zwölf Jahre damit zugebracht, in ganz Schottland Kasernen, Brücken und Straßen zu bauen, und falls dieser bewundernde Vers nicht schon irgendwo auf einer seiner Straßen in Stein gemeißelt war, wurde es höchste Zeit, dachte Roger. Er war in der Nähe von Craig na Dun auf eine der Straßen des Generals gestoßen, und sie hatte ihn bis ein paar Meilen vor Lallybroch geführt, so schnell ihn seine Füße trugen.
Diese letzten paar Meilen hatten jedoch nicht das Augenmerk des Generals genossen. Ein steiniger Pfad voller sumpfiger Stellen, der dicht mit Heidekraut und Ginster überwuchert war, führte den steilen Pass hinauf, der Lallybroch überblickte – und beschützte. Weiter unten waren die Berghänge mit Buchen, Erlen und kräftigen kaledonischen Kiefern bewaldet, doch hier oben gab es weder Schatten noch Windschutz, und je höher er kam, desto mehr plagte ihn ein kräftiger, kalter Wind.
Hätte Jem so weit kommen können, falls er entwischt war? Roger und Buck hatten die Umgebung von Craig na Dun abgesucht, weil sie hofften, dass Cameron nach der Mühsal der Passage vielleicht Rast gemacht hatte, doch sie hatten keine Spur gefunden – nicht einen Abdruck eines Turnschuhs Größe 36 irgendwo im Matsch. Dann hatte Roger seinen Weg allein fortgesetzt, so schnell er konnte, und an die Tür jeder Kate auf seinem Weg gehämmert – nicht, dass es viele davon gegeben hätte –, aber er war gut voran gekommen.
Sein Herz schlug heftig, und das nicht nur von der Anstrengung des Aufstiegs. Cameran hatte allerhöchstens einen Tag Vorsprung. Wenn Jem aber nicht entkommen und nach Hause gelaufen war … würde Cameron mit Sicherheit nicht nach Lallybroch gehen. Aber wohin sonst? Der guten Straße folgen, die jetzt zehn Meilen hinter ihm lag, und vielleicht nach Westen auf das Gebiet der MacKenzies zuhalten – aber warum?
„Jem!“, rief er hin und wieder im Gehen, doch die Berge waren verlassen bis auf das Rascheln der Kaninchen und Wiesel, stumm bis auf das Krächzen der Raben und das gelegentliche Kreischen einer Möwe, die hoch über ihm dahinflog und von der fernen See zeugte.
„Jem!“, rief er, als könnte er aus purer Not eine Antwort heraufbeschwören, und in dieser Not bildete er sich manchmal auch ein, einen leisen Ruf als Antwort zu hören. Doch wenn er stehen lieb, um zu lauschen, war es der Wind. Nur der Wind, der ihm in den Ohren heulte, ihn betäubte. Er hätte drei Meter an Jem vorüber gehen und ihn übersehen können, und das wusste er.
Trotz seiner Sorgen hob sich sein Herz, als er den Gipfel des Passes erreichte und Lallybroch unter sich sah, dessen weiß gekälkte Gebäude im verblassenden Licht aufleuchteten. Alles lag friedlich vor ihm, die letzten Kohlköpfe und Rüben ordentlich im Inneren der Gartenmauern aufgereiht, sicher vor grasenden Schafen – auf der Wiese hatte sich eine kleine Herde schon für die Nacht niedergelassen wie Eier aus Wolle in einem Nest aus Gras, wie das Osterkörbchen eines Kindes.
Dieser Gedanke ließ ihn schlucken, denn er weckte Erinnerungen an das fürchterliche Zellophangras, das sich überall verteilte, an Mandy, das Gesicht – und alles im Umkreis von anderhalb Metern – mit Schokolade verschmiert, an Jem, der sorgfältig mit weißem Wachsmaler „Papa“ auf ein hart gekochtes Ei schrieb und sich dann stirnrunzelnd den Eierfarben zuwandte, weil er überlegte, ob Blau oder Violett besser zu Papa passte.
„Herr, gib, dass er hier ist!“, murmelte er und hastete den zerfurchten Pfad hinunter, so schnell, dass er auf den losen Steinen halb ins Rutschen kam.
Der Hof vor dem Haus war ordentlich, die große gelbe Kletterrose für den Winter gestutzt und der Eingang sauber gefegt. Plötzlich war ihm, als bräuchte er nur die Tür zu öffnen und ins Haus zu gehen, um sich in seinem eigenen Hausflur wiederzufinden, wo Mandy ihre kleinen roten Gummischuhe mit Schwung unter den stummen Diener geworfen hatte, an dem Briannas unsäglicher Duffelcoat hing, der mit getrocknetem Schlamm verkrustet war und nach seiner Besitzerin roch, nach Seife und Moschus und dem schwachen Geruch ihres Mutterseins: saure Milch, frisches Brot und Erdnussbutter.
„Verflixt“, murmelte er, „gleich fange ich noch vor der Haustür an zu heulen.“ Er hämmerte an die Tür, und ein riesiger Hund kam um die Hausecke galoppiert und bellte wie der Hund von Baskerville. Das Tier kam rutschend vor ihm zum Halten, bellte aber weiter und bewegte den Kopf hin und her wie eine Schlange, die Ohren gespitzt für den Fall, dass er eine falsche Bewegung machte, die es dem Hund gestattete, ihn guten Gewissens zu verschlingen.
Er wagte keine Bewegung; er hatte sich an die Tür gepresst, als der Hund auftauchte, und jetzt rief er: „Hilfe! Ruft den Hund zurück!“
Er hörte innen Schritte, und im nächsten Moment öffnete sich die Tür, so dass er fast in den Flur gepurzelt wäre.
„Halt die Schnauze, Hund“, sagte ein hochgewachsener, dunkelhaariger Mann in geduldigem Ton. „Kommt herein, Sir, und stört Euch nicht an ihm. Er frisst Euch nicht; er hatte sein Futter schon.“
„Freut mich, das zu hören, Sir, vielen Dank.“ Roger zog den Hut ab und folgte dem Mann in den Schatten des Flurs. Es war sein eigener, vertrauter Flur mit denselben Steinplatten, auch wenn sie nicht annähernd so abgenutzt waren, und die dunkle Holzverkleidung der Wände war mit Bienenwachs auf Hochglanz poliert. In der Ecke stand tatsächlich ein stummer Diener, allerdings natürlich ein anderer als seiner; es war ein stabiles Gestell aus Schmiedeeisen, und das war auch gut so, denn er trug eine schwere Last aus Jacken, Schultertüchern, Umhängen und Hüten, unter denen jedes weniger robuste Möbelstück zusammengebrochen wäre.
Dennoch lächelte er bei dem Anblick, und dann erstarrte er, als hätte man ihm einen Fausthieb vor die Brust versetzt.
Die Holzverkleidung hinter der Garderobe glänzte friedlich und unbeschadet. Keine Spur von den Säbelspuren, die frustrierte Rotröcke dort hinterlassen hatten, als sie nach der Schlacht von Culloden nach dem gesetzlosen Herrn von Lallybroch suchten. Die Kratzer waren jahrhundertelang sorgsam erhalten worden, waren immer noch da, mit der Zeit nachgedunkelt, aber immer noch deutlich zu sehen, als er dieses Haus besessen hatte – wenn er, so verbesserte er sich mechanisch, es besitzen würde.
„’Wir lassen es für die Kinder so’“, hatte Brianna ihren Onkel Ian zitiert. „Wir sagen ihnen, ’so sind die Engländer‘.“
Ihm blieb keine Zeit, über seinen Schreck hinweg zu kommen; der dunkelhaarige Mann hatte mit einer strengen gälischen Ermahnung an den Hund die Tür geschlossen und wandte sich ihm jetzt lächelnd zu.
„Willkommen, Sir. Esst Ihr mit uns zu Abend? Meine Kleine ist fast fertig damit.“
„Aye, gerne, ich danke Euch.“ Roger verneigte sich schwach, während er seine Manieren aus dem achtzehnten Jahrhundert zusammensuchte. „Ich … mein Name ist Roger MacKenzie. Aus Kyle of Lochalsh“, fügte er hinzu, denn kein Mann, der etwas auf sich hielt, hätte es versäumt, auf seine Herkunft hinzuweisen, und Lochalsh war so weit entfernt, dass es unwahrscheinlich war, dass dieser Mann — wer war er? Er benahm sich nicht wie ein Dienstbote – die Einwohner des Ortes kannte.
Er hatte gehofft, dass die spontane Antwort lauten würde: „MacKenzie? Dann müsst Ihr der Vater des kleinen Jem sein!“ Doch das tat sie nicht; der Mann erwiderte seine Verneigung und bot ihm die Hand an.
„Brian Fraser aus Lallybroch, Euer Diener, Sir.“
© Diana Gabaldon & Barbara Schnell