(Etwas verspätet) Zum Totensonntag, im Gedenken an die, die wir lieben …
Jamie hockte sich neben Jenny, streckte einen Finger aus und legte ihn sacht auf die etwas unebenen kleinen Perlen; der Rosenkranz bestand aus schottischen Perlen, so wie die Kette, die er Claire geschenkt hatte. „Woher hatte Mama ihn, weißt du das? Ich bin nie auf die Idee gekommen, sie zu fragen, als ich klein war.“
„Warum hättest du das auch tun sollen? Wenn man klein ist, sind Mama und Papa einfach Mama und Papa, und alles ist, wie es immer gewesen ist.“ Sie ließ die Perlen auf ihre Handfläche gleiten und schob sie zu einem kleinen Häuflein zusammen. „Aber ich weiß, woher er ist; Papa hat es mir erzählt, als er ihn mir geschenkt hat. Meinst du, diese Ziege wird bockig?“ Abrupt richtete sie den Blick mit zusammengekniffenen Augen auf eine der Milchziegen, die den Kopf gehoben hatte und ein langes, durchdringendes Meckern ausstieß. Jamie betrachtete das Tier.
„Aye, vielleicht. Sie wedelt mit dem Schwanz. Aber vielleicht riecht sie auch nur den Hirschbullen dort in den Bäumen.“ Er wies mich dem Kinn auf einen Ahornhain, der schon halb rot gefärbt war, obwohl er noch keine Blätter verloren hatte. „Es ist früh für die Brunft, aber wenn ich ihn riechen kann, kann sie es auch.“
Seine Schwester hob das Gesicht in den schwachen Wind und atmete tief ein. „Aye? Ich rieche nichts, aber ich glaube es dir. Pa hat immer gesagt, du hättest eine Nase wie ein Trüffelschwein.“
Er prustete.
„Aye, natürlich. Also, was hat Pa denn zu dir gesagt? Über Mamas Rosenkranz?“
„Aye, nun ja. Er war eifersüchtig, hat er gesagt. Sie hat sich nämlich geweigert zu sagen, wer ihr die Halskette geschickt hatte.“
„Oh, aye – weißt du es?“
Sie schüttelte den Kopf, und ihre Miene war neugierig. „Du denn?“
„Ja. Ein Mann namens Marcus MacRannoch – einer ihrer Verehrer aus Leoch, ein echter Kavalier; er hatte die Kette für sie gekauft, weil er hoffte, dass sie ihn heiraten würde, aber sie hat Pa gesehen und war schon mit ihm durchgebrannt, ehe MacRannoch sie ansprechen konnte. Er hat gesagt – also, Claire sagt, er hat gesagt“, verbesserte er sich, „er hätte sie sich so oft an ihrem hübschen Hals vorgestellt, dass er sie sich nirgendwo anders vorstellen könnte, also hat er sie ihr als Hochzeitsgeschenk geschickt.“
Jenny spitzte fasziniert die Lippen.
„Oh, so ist das also. Nun, Pa wusste, dass es ein anderer Mann war, und wie gesagt, er war eifersüchtig – sie waren ja noch nicht lange verheiratet, und vielleicht war er sich nicht sicher, ob sie meinte, es gut getroffen zu haben, indem sie ihn gewählt hat. Also hat er ein gutes Feld verkauft – an Geordie MacCallum, aye? –, und das Geld hat er Murtagh gegeben, damit er Mama ein Schmuckstück kauft. Er wollte es ihr schenken, wenn das Baby geboren war – Willie, aye?“ Sie hob das Kreuz und küsste es sanft, um ihren Bruder zu segnen.
„Weiß Gott, woher Murtagh ihn hat …“ Sie ließ den Rosenkranz leise klickernd von einer Hand in die andere gleiten. „Aber die Worte auf der Medaille sind französisch.“
„Murtagh?“ Jamie betrachtete die Perlen und runzelte die Stirn ein wenig. „Aber Pa muss doch gewusst haben, was er für sie empfunden hat … für Mama.“
Jenny nickte und rieb mit dem Daumen über das Kruzifix und den schön gearbeiteten, gepeinigten Christuskörper. Jenseits des Ahornhains erscholl leise der Ruf des Buntspechts.
„Er konnte sehen, dass ich das auch gedacht habe – wie konnte er Murtagh mit einem solchen Auftrag losschicken? Aber er hat gesagt, das hätte er gar nicht vorgehabt, er hätte Murtagh nur erzählt, was ihm vorschwebte, und Murtagh hätte ihn darum gebeten. Pa hat gesagt, er hat ihn nicht gern gehen lassen, aber er konnte ja kaum selber gehen und Mama kurz vor dem Platzen allein lassen, erst recht nicht ohne ein festes Dach über dem Kopf – er hatte das Fundament gelegt und mit den Schornsteinen angefangen, mehr aber noch nicht. Und …“ Sie zog die Schulter hoch. „Er hat Murtagh auch geliebt – mehr als seinen eigenen Bruder.“
„Gott, wie mir der alte Schurke fehlt“, sagte Jamie impulsiv. Jenny sah ihn an und lächelte reumütig.
„Mir auch. Manchmal frage ich mich, ob er jetzt bei ihnen ist. Bei Mama und Pa.“
Diese Vorstellung verblüffte Jamie – daran hatte er noch nie gedacht –, und er lachte und schüttelte den Kopf. „Nun, wenn ja, dann dürfte er wohl glücklich sein.“
„Ich hoffe, dass es so ist“, sagte Jenny und wurde jetzt ernst. „Ich habe mir immer gewünscht, er hätte bei ihnen begraben werden können – bei der Familie – in Lallybroch.“
Jamie nickte. Seine Kehle war plötzlich zugeschnürt. Murtagh lag bei den Gefallenen auf den Feld von Culloden, verbrannt und in einer namenlosen Grube auf dem stillen Moor verscharrt, seine Gebeine mit den anderen vermischt. Kein Grabhügel, zu dem die, die ihn geliebt hatten, gehen konnten, um ihre Liebe auszudrücken.
Jenny legte ihm eine Hand auf den Arm, warm durch den Stoff seines Hemds.
„Mach dir keine Gedanken, a brathair“, sagte sie leise. „Er ist einen guten Tod gestorben, und du bist ja am Ende bei ihm gewesen.“
„Woher willst du wissen, dass es ein guter Tod war?“ Er war so aufgewühlt, dass seine Worte rauer klangen als er es wollte, doch sie blinzelte nur kurz, dann kam ihr Gesicht wieder zur Ruhe.
„Du hast es mir selbst erzählt, Idiot“, sagte sie trocken. „Mehrere Male sogar. Weißt du das etwa nicht mehr?“
Einen Moment lang starrte er sie verständnislos an.
„Ich habe es dir erzählt? Ich weiß doch gar nicht, was geschehen ist.“
Jetzt war es an ihr, überrascht zu sein.
„Du hast es vergessen?“ Sie sah ihn stirnrunzelnd an. „Aye, nun ja … natürlich warst du gute zehn Tage durch das Fieber außer dir. Ian und ich haben abwechselnd bei dir gewacht – vor allem, um den Arzt daran zu hindern, dass er dir das Bein abnimmt. Du kannst dich bei Ian dafür bedanken, dass du es noch hast“, fügte sie hinzu und wies mit einem scharfen Kopfnicken auf sein linkes Bein. „Er hat den Arzt fortgeschickt; er hat gesagt, er weiß, dass du lieber sterben würdest.“ Ihre Augen füllten sich abrupt mit Tränen, und sie wandte sich ab.
Er fasste sie bei der Schulter und spürte ihre Knochen durch ihr Schultertuch, fein und leicht wie die eines Turmfalken.
„Jenny“, sagte er leise. „Ian hat sich den Tod nicht gewünscht. Glaub mir. Ich ja, aye … aber er nicht.“
„Oh, anfangs doch“, sagte sie und schluckte. „Aber du hast ihn nicht sterben lassen, hat er gesagt – und er würde dich auch nicht sterben lassen.“ Sie wischte sich heftig mit dem Handrücken über das Gesicht. Er ergriff ihre Hand und küsste sie, ihre Finger kalt in den seinen.
„Und du meinst, es hat nicht auch an dir gelegen?“, fragte er. Er erhob sich und lächelte auf sie hinunter. „Bei ihm und bei mir?“
„Hmpf“, sagte sie, doch in ihrer Miene lag bescheidene Freude.
Die Ziegen hatten sich ein Stück entfernt, er sah ihre glatten braunen Rücken zwischen den Grasbüscheln. Eine von ihnen hatte eine Glocke; er konnte das leise Scheppern hören, wenn sie sich bewegte. Auch die Spechte waren weitergezogen; er sah es rot aufblitzen, als einer von ihnen flach über dem Feld dahinflog und in der schwarzen Mündung des Weges verschwand.
Er ließ einen Moment verstreichen, zwei, dann stellte er sich von einem auf das andere Bein und stieß einen kleinen, drohenden Kehllaut aus.
„Aye, aye“, sagte Jenny und verdrehte die Augen. „Natürlich erzähle ich es dir. Ich musste doch nur erst meine Gedanken ordnen.“ Sie zog ihre Röcke zurecht und setzte sich aufrechter hin. „Aye, also. So ist es gewesen. Zumindest hast du es mir so erzählt …“
© Diana Gabaldon & Barbara Schnell. Auszug aus Band 9 der Highland Saga. Bitte verlinkt auf diesen Beitrag, aber kopiert ihn nicht.