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Der erste Advent: Warten auf das Licht

Der erste Advent: Warten auf das Licht

Heute ist der erste Sonntag im Advent. Dies ist der Beginn unserer Wache in der Dunkelheit, unseres Wartens auf die Rückkehr des Lichts und die Gewissheit der Liebe. Wenn Ihr möchtet, nehmt Euch einen Moment und lauscht, was Euch die Stille zu sagen hat …

 

(Aus: „Outlander – Feuer und Stein)

ES BEREITETE MIR keine Probleme, zu meiner Verabredung mit Anselm zu erwachen, weil ich ja eigentlich gar nicht geschlafen hatte – ebensowenig wie Jamie. Wann immer ich denn Kopf in den Korridor steckte, konnte ich durch seine halb geöffnete Tür das Kerzenlicht flackern sehen und hören, wie er umblätterte und gelegentlich leise aufstöhnte, wenn er die Lage wechselte.

Da ich ohnehin keine Ruhe fand, hatte ich mir auch nicht die Mühe gemacht, mich umzuziehen, und so war ich bereit, als ein Klopfen an meiner Tür Anselms Gegenwart verkündete. Das Kloster war still, wie alle großen Institutionen in der Nacht still werden; der eilige Pulsschlag des geschäftigen Tages hat sich verlangsamt, doch das Herz schlägt weiter, allmählicher, sanfter, aber ohne Ende. Irgendjemand ist immer wach, bewegt sich lautlos durch die Korridore, hält Wache, hält alles am Leben. Und jetzt war es an mir, die Wache zu übernehmen.

In der Kapelle war es dunkel bis auf das rote Leuchten des Ewigen Lichts und einige weiße Votivkerzen, deren Flammen sich vor den dunklen Heiligenschreinen in die reglose Luft erhoben.

Ich folgte Anselm durch den kurzen Mittelgang und beugte hinter ihm das Knie. Bruder Bartholomes schlanke Gestalt kniete mit gesenktem Kopf weiter vorn. Er drehte sich nicht um, als leise Geräusche unser Eintreten verrieten, sondern verharrte bewegungslos im Gebet versunken.

Das Sakrament verschwand beinahe im Prunk des Behälters, der es umfasste. Die riesige Monstranz, eine goldene Sonne von gut vierzig Zentimetern Durchmesser, stand ungerührt auf dem Altar und behütete das bescheidene Stück Brot in ihrer Mitte.

Ein wenig befangen nahm ich den Platz an der Vorderseite der Kapelle ein, den Anselm mir zuwies. Die mit geschnitzten Engeln, Blumen und Dämonen reich verzierten Sitze klappten gegen die hölzernen Rückenlehnen hoch, damit man die Reihen leicht betreten und wieder verlassen konnte. Hinter mit knarrte es leise, als Anselm seinen Sitz herunter klappte.

„Aber was soll ich denn tun?“, hatte ich ihn auf dem Weg zur Kapelle gefragt, leise aus Respekt vor der nächtlichen Stille.

„Nichts, ma chère“, hatte er schlicht erwidert. „Seid einfach nur da.“

Also saß ich da und lauschte meinem eigenen Atem und den schwachen Geräuschen eines Ortes der Stille; den unhörbaren Dingen, die sonst unter anderen Geräuschen verborgen sind. Steine, die sich setzen, knarrendes Holz. Das Zischen der kleinen, unauslöschlichen Flammen. Das leise Krabbeln eines kleinen Tiers, das von seinem angestammten Platz in das Reich des Majestätischen gewandert ist.

Es war friedvoll hier, das musste ich Anselm lassen. Trotz meiner eigenen Erschöpfung und meiner Sorge um Jamie spürte ich, wie ich mich mehr und mehr entspannte, wie mein überdrehter Verstand langsam zur Ruhe kam wie ein Uhrwerk, das zu Ende läuft. Seltsamerweise fühlte ich mich gar nicht müde, trotz der späten Stunde und der Strapazen der vergangenen Tage und Wochen.

Schließlich, so dachte ich, was waren schon Tage und Wochen im Angesicht der Ewigkeit? Und dieses Angesicht war hier, für Anselm und Bartholome, für Ambrose, für alle Mönche bis hin zu ihrem respekteinflößenden Abt Alexander.

Eigentlich war es ja eine tröstliche Vorstellung; wenn sich der Blick auf alle Zeit der Welt auftat, verlor das, was in einem bestimmten Moment geschah, an Bedeutung. Ich konnte durchaus verstehen, wie man hier Abstand nahm und Zuflucht in der Betrachtung eines Wesens suchte, das keinen Anfang und kein Ende kannte — wie auch immer man sich dieses vorstellte.

Das Rot des Ewigen Lichts brannte gleichbleibend ruhig und spiegelte sich im Gold der Monstranz. Die Flammen der weißen Kerzen vor den Statuen des Nothelfers Aegidius und der Mutter Gottes flackerten und zuckten hin und wieder, weil die brennenden Dochte auf kleine Unebenheiten stießen und Wachs oder Feuchtigkeit verspritzten. Doch die rote Lampe brannte heiter und gelassen, und ihr Licht versagte nie.

Und wenn es die Ewigkeit gab, und sei es nur als Idee, dann hatte Anselm vielleicht Recht, und alles war möglich. Und alle Liebe?, fragte ich mich. Ich hatte Frank geliebt, liebte ihn noch. Und ich liebte Jamie, mehr als mein Leben. Doch gefangen in den Grenzen von Zeit und Sein, konnte ich sie nicht beide haben. Jenseits der Grenzen vielleicht? Gab es einen Ort, an dem keine Zeit mehr existierte oder sie zum Stillstand kam? Anselm glaubte das. Ein Ort, an dem alles möglich war. Und nichts notwendig war.

Und gab es dort Liebe? Jenseits der Grenzen von Sein und Zeit … war alle Liebe möglich? War sie notwendig?

Die Stimme meiner Gedanken schien Onkel Lamb zu sein. Meine Familie und alle Liebe meiner Kindheit. Ein Mann, der nie von Liebe gesprochen hatte, der es nicht gebraucht hatte, denn ich wusste, dass er mich liebte, so sicher, wie ich wusste, dass ich lebte. Denn wo alle Liebe ist, sind keine Worte notwendig. Sie ist alles. Sie ist unsterblich. Und sie ist genug.

 

(c) Diana Gabaldon & Barbara Schnell. Bitte verlinkt auf diesen Eintrag, aber kopiert ihn nicht.