Buch … Film … beides? Ein paar Gedanken über das Prequel.
Auszug aus EIN VOGEL IN DER HAND: Buch eins der Outlander-Prequels (ja, es wird – mindestens – ein Buch über Brian und Ellen geben, alles zu seiner Zeit), © Diana Gabaldon & Barbara Schnell 2025
.
Ellen McKenzie, ältestes Kind des Jacob Ranald Grant MacKenzie, Oberhaupt des MacKenzie-Clans – nun, ehemaliges Oberhaupt, wenn auch erst seit ein paar Augenblicken, aber darüber würde sie später nachdenken –, packte Eilidh Watt von hinten und zerrte sie aus dem Zimmer. Sie schlug ihr eine Hand vor den triefenden Mund, um ihre Schreie zu ersticken.
„Still, du Dummerchen“, zischte sie der Küchenmagd ins Ohr. „Willst du sterben?“
Die junge Frau erstarrte, und Ellen konnte spüren, wie ihr ein Schrei aus dem Bauch in die Kehle stieg. Sie ließ Eilidhs Taille los, legte die Hände um besagte Kehle und drückte zu. Der abgewürgte Schrei tropfte Eilidh aus der Nase wie die Geräusche eines Dudelsacks, dem die Luft ausgeht, nur – Jesus und Seiner Mutter sei Dank – leiser.
Es war möglich, dass niemand den ganz ähnlichen Laut gehört hatte, den ihr Vater ausgestoßen hatte, als er vor ein paar Minuten auf Eilidh liegend gestorben war. Ellen betete jedenfalls, dass dem so war. Sie war außer sich die Turmtreppe hinaufgerannt, um dem Alten die Meinung zu sagen, und war unterwegs niemandem begegnet, doch hier kamen den ganzen Tag und die halbe Nacht Menschen entlang, und ihr blieb vielleicht so viel Zeit, wie es dauern würde, ihre Strümpfe anzuziehen, um diese verwirrte kleine Hure außer Sicht zu bringen.
Unter dem Sprechzimmer ihres Vaters befanden sich an dieser Treppe zwei weitere Zimmer: das Schlafzimmer ihrer Eltern – wenigstens hatte der alte Narr es nicht im Bett ihrer verstorbenen Mutter getan – und darunter Ned Gowans Gemach. Sie war im Begriff, in das Schlafzimmer zu gehen, hörte aber die Stimmen von Hausmägden darin. Also griff sie stattdessen neu zu, beförderte Eilidh wie eine zusammengerollte Matratze die Treppe hinunter und schob sie in das Zimmer des Anwalts.
Ned saß am Fenster und las. Er blickte auf, als Ellen mit einem Tritt die Tür öffnete, kniff aber nur die Augen zusammen und hob seine schütteren Augenbrauen, als sie die Magd hinein schubste und die Tür hinter ihnen beiden zu zog.
Eilidh war nackt und rollte sich jetzt auf dem Boden zusammen, eine Hand am Kopf, während die andere versuchte, ihre Brüste zu bedecken. Sie stieß atemlose keine Quietschgeräusche aus.
Ned stand ohne Eile auf, ging zum Bett und zog eine Decke herunter. Er legte sie über die junge Frau, die verstummte wie ein zugedeckter Papagei, und blickte Ellen an. „Mein Vater ist tot“, sagte sie und brach in Tränen aus.
* * *
Durch ihre Tränen sah sie, wie Neds blassblaue Augen hinter seiner Brille groß wurden. Er senkte den Blick auf das zitternde Häufchen am Boden, richtete ihn wieder auf Ellens Gesicht, und dann war er bei ihr, ihre kalten Hände in seinen warmen, und bot ihr Zuflucht, gab ihr Kraft.
„Es wird alles gut“, sagte er und drückte ihre Hände. „Es wird alles gut.“ Es war die Art von Dingen, die die Leute sagten, wenn ihnen nichts besseres einfiel; Ellen nickte, weil ihr nichts besseres einfiel. Doch sie hörte den Schock unter seinen Worten und etwas, wovon sie dachte, dass es womöglich Panik war.
Er zog ihre Hände auf sich zu, und sie folgte. Dann stellte er sich auf die Zehenspitzen – Ned war ein kleiner Mann; sie war auf Strümpfen zwanzig Zentimeter größer als er – und zischte in ihr Ohr: „Ist er zum Ende gekommen?“
„Was?“ Im ersten Moment hatte sie keine Ahnung, was er meinte, doch dann erinnerte sie sich an seinen kurzen Blick auf die Dienstmagd. Weniger Zeit als eine Uhr benötigte, um eine Sekunde anzuzeigen, aber genug für den Abakus, der in Ned Gowans Kopf wohnte, um ratternd und klickend zu einem Überblick über die Situation zu kommen und im nächsten Augenblick die wichtigste Frage zu stellen.
„Was im Namen der Mutter Maria glaubt Ihr, woher ich so etwas wissen sollte?“, fuhr sie ihn an und riss ihre Hände aus den seinen.
Ein Glitzern seiner Brille, das vielleicht Belustigung war, doch sie hoffte es nicht, denn sie wollte sich nicht entscheiden müssen dazwischen, seine Hilfe in Anspruch zu nehmen und ihn in die Weichteile zu treten.
„Colum hat gesagt, Ihr seid noch Jungfrau“, sagte er mit einem Unterton der Anerkennung – für Colum, da war sie sich sicher.
„Und was geht ihn das an oder Euch, Ihr hinterlistiger kleiner Schwätzer?“ Sie sah ihn von oben herab an und wischte sich mit dem Handrücken Feuchtigkeit von den Wangen. Sie wusste zu gut, was er und Colum dachten, was sie etwas anging und warum, und plötzlich hätte sie ihn am liebsten gezwungen, es zuzugeben. Stattdessen ging er zu dem Häufchen unter der Decke hinüber und stieß es sacht mit der Zehenspitze an. Es erschauerte und murmelte etwas, was wie ein Gebet gegen die Pocken klang.
„Wie heißt die Kleine?“
Im ersten Moment konnte sie sich nicht erinnern – die Magd war neu –, doch dann fiel es ihr wieder ein.
„Eilidh. Sie stammt aus Cromarty. Sie ist noch nicht länger als eine Woche in der Burg.“ Unwillkürlich legte sie den Kopf zurück und warf einen bösen Blick zur Zimmerdecke. Geiler alter Bock. Dennoch schmerzte ihr Herz, und sie zog die Nase hoch, um nicht wieder zu weinen.
„Eilidh?“ Ned hockte neben der aufgewölbten Decke. Auch er zog die Nase hoch, doch es hatte nichts mit Tränen zu tun.
„Was macht Ihr da, Ned?“, fragte Ellen. Sie atmete wieder normal und hatte aufgehört zu schluchzen. Sie zitterte noch vor Schreck und Zorn, aber die halben Gedanken, die ihr in den Kopf geschossen waren, während sie Eilidh die Treppe hinunter bugsierte, wurden jetzt klar.
Was war es, was die Engländer riefen, wenn ein König starb? „Der König ist tot! Lang lebe der König!“
Das war vielleicht eine Art, die Sache geordneter zu regeln; die Krone an den ältesten Sohn zu übergeben und fertig. Aber dem wenigen nach, was sie über englische Könige wusste, schien diese Methode keine Garantie für einen guten König zu sein. Man brauchte sich nur die beiden Söhne ihres Vaters anzusehen …
Und das, so begriff sie, war es, woran Ned dachte, schon seit sie mit der verängstigten, nackten Magd in sein Zimmer geplatzt war. Der Magd, die in der Tat wie ein toter Eber stank, obwohl das Ellen anfangs nicht aufgefallen war, ganz zu schweigen davon, dass sie daran gedacht hätte, was es bedeuten konnte. War es möglich, dass die junge Frau die Saat ihres Vaters in sich trug – dass sie in diesem Moment vor ihren Augen ein Kind empfing?
Der Häuptling ist tot? Wer soll von nun an Häuptling sein?
* * *
Okay. Ihr könnt sehen, dass die Geschichte sowohl im Buch als auch im Film in etwa an derselben Stelle beginnt (dem Tod des Roten Jacob MacKenzie), dass sie aber völlig andere Schwerpunkte setzt und völlig anders erzählt wird. Ich (oder jeder andere Autor) kann im Buch Dinge tun, die ein Film nicht kann, zumindest nicht so einfach – während man im Film manches besser kann als in einem Buch. Diejenigen von euch, die die erste Folge von „Blood of My Blood“ angeschaut haben, haben eine Abfolge eindrucksvoller Bilder gesehen – die Vorbereitungen für das Begräbnis des Roten Jacob MacKenzie, während die Familienmitglieder vorgestellt wurden und – beizeiten – den Hauptkonflikt, der einen guten Teil der Geschichte beherrschen wird: Der Machtkampf unter Jacobs Kindern um die Kontrolle über den Clan (und seine Besitztümer).
Die Bilder transportieren die Geschichte, lassen den Zuschauer aber auch sofort in die Welt der Geschichte eintauchen: Schottland, Burgen, Tartanstoffe, Uhren, eine Clanzusammenkunft etc.. Die Geschichte wird von der Art der Präsentation bestimmt – in der ersten Hälfte der Folge tauchen wir mehr oder weniger in die Atmosphäre ein und bekommen die Figuren vorgestellt. Das Erzähltempo ist langsam, aber die Bilder sind eindrucksvoll und interessant; sie sorgen dafür, dass man weiter schaut.
Beim geschriebenen Wort ist man darauf angewiesen, dass die Leser die visuellen Details aus den Worten und ihrer eigenen Vorstellungskraft zum Leben erwecken – aber man hat den Vorteil, dass man nicht auf das Sichtbare und das Hörbare beschränkt ist; man kann alle fünf Sinne benutzen. Ein Text kann jederzeit die Perspektive wechseln und preisgeben, was die Menschen denken – ein Film ist weitenteils auf Dialoge angewiesen, um die Handlung voran zu bringen.
Ich sage nicht, dass eine der beiden Erzählformen besser ist – beide können großartig sein. Aber es ist interessant zu sehen, wie sie funktionieren. Die Schriftform bedient sich der Fantasie des Lesers, während der Film dem Publikum die Fantasie des Filmemachers präsentiert. Außerdem ist die Textversion nicht durch ein Budget beschränkt und kann viel schneller viel mehr Informationen liefern – das ist der Grund, warum Filmadaptionen normalerweise nur einen Bruchteil einer geschriebenen Geschichte verwenden; es ist immens viel Arbeit, und es ist immens teuer, eine Geschichte in Bildern zu erzählen – und das Erzähltempo ist viel langsamer.
Ich hoffe, Ihr habt Freude an der TV-Serie und (wenn es so weit ist) am Buch.
.