Anfänge, Enden und Buch Zehn
Ja, Buch Zehn ist schon in weiten Teilen geschrieben, aber a) da ich nicht linear schreibe, sind viele der vorhandenen Teile (noch) nicht mit anderen Stücken verbunden, die wichtige Strukturen oder Inhalte herstellen, und b) wenn sie es wären, würde ich sie ohnehin nicht posten, weil ich nichts Wichtiges preisgeben möchte. Das hier ist also (offensichtlich) ein kleines Stück vom Anfangsteil des Buches, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass ihr es (oder das meiste davon) noch nicht gesehen habt.
Kontext/Hintergrund: Im Oktober werde ich (wieder!) bei der Surrey Writers Conference lehren (Surrey in Britisch Kolumbien, nicht in England), und die beiden Themen, die ich behandeln werde, sind „Anfänge“ und „Enden“. Ich glaube, ich werde diese beiden aufeinander folgenden/zusammenhängenden Szenen als Beispiel für eins oder beides benutzen.
[Enden sind wichtig – aber in einem Buch gibt es viele Enden, abgesehen von dem auf der letzten Seite. Absätze haben Enden; Szenen haben Enden, Kapitel haben Enden etc. Ich werde also morgen eine kommentierte Version anfügen und erklären, was die diversen Enden sind, warum und wie sie funktionieren – und vielleicht ein paar Anmerkungen zum Thema Fokus (wie lenkt man den Leserblick auf die gewünschte Stelle?). Aber das kommt morgen; es ist schon spät, und die letzten Tage waren ziemlich aufregend.]
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AUSZUG aus BUCH ZEHN (ohne Titel), © Diana Gabaldon & Barbara Schnell
[In welchem Jamie zu Ian geht, um ihn über Williams Ankunft und seine Neuigkeiten über Lord John ins Bild zu setzen.]
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Jamie bahnte sich zwischen den Überresten der gestrigen – und nächtlichen – Hochzeitsfeierlichkeiten langsam seinen Weg bergauf. Die meisten, die unter Büschen und Bäumen geschlafen hatten, hatten es vermutlich geschafft, bei Tagesanbruch aufzustehen und heimzugehen, um ihre Tiere und Kinder zu füttern, aber er kam an einem großen blühenden Hartriegel vorbei, dessen duftende Blüten auf ein säumiges Paar Füße gefallen waren, ihres Zeichens nackt und haarig, die Sohlen sauber, aber voller Schwielen.
Der Größe der Füße nach vermutete er, dass ihr Besitzer entweder Sean MacHugh war oder John Quincy Myers, und da er sich keine Lebenslage vorstellen konnte, in der MacHughs Frau diesen nicht längst an den Ohren zum Frühstück und zur Arbeit gezerrt hätte, trat er näher und ging in die Hocke, um Myers‘ Schuhe und Hose für ihn zu finden, ehe er den Mann weckte.
Diese freundliche Absicht wurde durch Schnarchgeräusche unter dem Hartriegel unterbrochen. Zweierlei Schnarchgeräusche.
Mit sehr viel vorsichtigeren Bewegungen kam er im Entengang ein wenig näher und bückte sich, um unter das Laub zu blinzeln. Myers‘ Begleiterin lag friedlich neben ihm zusammengerollt. Außerdem war sie nackt. Und haarig.
„Also, du kleines Frauenzimmer!“, sagte er. Bluebell regte sich, hob ihre lange Nase von Myer‘s mit einem Hemd bekleideten Bauch, gähnte ausgiebig und rollte ihre lange rosa Zunge zusammen. Sie reckte sich und kam mit langsam wedelnder Rute auf ihn zu. Zu seiner großen Überraschung hatte sie noch einen weiteren Begleiter, der hinter ihrer beträchtlichen bläulich gefleckten Körpermasse gelegen hatte, jetzt aber mit einem schläfrig-fragenden „Wauf?“ aufblickte.
„Und was um Himmels Willen machst du hier?“, wollte Jamie wissen.
„Schlafen“, sagte Myers und öffnete ein verquollenes Auge. „Zumindest bis Ihr angefangen habt zu reden.“
„Nicht Ihr, a charaidh“, sagte Jamie und streckte die Hand aus, um Myers das Hemd anständig hinunter zu ziehen. „Er.“ Er zeigte auf den großen grauen Welpen. Skènnen war fast so groß wie Bluebell, dabei war er noch kein Jahr alt. Der Hund, der jetzt hellwach war, rappelte sich auf seine enormen Füße hoch und sprang hervor, um sich die Ohren kraulen zu lassen.
„Mmm. Ich erinnere mich, dass sich mitten in der Nacht jemand Warmes neben mich gelegt hat. Hat mich nicht besonders interessiert, wer es war, so lange er nicht reden wollte.“ Myers wand sich langsam unter den Ästen des Hartriegels hervor und setzte sich. Er rieb sich mit der Hand durch sein grau gesträhntes Haarnest, dann kratzte er sich meditativ. „Ihr kennt den Kleinen, oder?“
„Ja.“ Jamie zog den Hund näher an sich und untersuchte ihn auf Verletzungen. „Er gehört dem kleinen Oggy – Ians Jungen, aye?“
„Oh. Dann ist er wohl mit der Familie herunter gekommen und hat sich auf dem Rückweg verlaufen.“
„Aye, vermutlich.“ Der Hund war unverletzt und leckte Jamie begeistert das Gesicht. „Aus, a cu – aus, sage ich!“ Mit Skènnen war alles in bester Ordnung, aber irgendetwas stimmte hier nicht. Die Sonne stand hoch. Warum suchten Rachel und Oggy nicht nach dem Hund?
„Habt Ihr gesehen, ob – oh, nein, das kann wohl nicht sein. Madainn mhath Euch, a charaidh.“ Er erhob sich und klopfte sich auf den Oberschenkel, um die Hunde zu rufen. „Geht zum Haus und frühstückt etwas, aye? Ich bringe den Kleinen hier nach Hause.“
[Ende der Szene]
Er begegnete seiner Schwester eine halbe Meile vor der Hütte der Murrays. Ihre Miene war besorgt, erhellte sich aber, als sie ihn sah, und noch weiter, als sie den Hund erspähte.
„Da bist du ja, du kleiner Dummkopf!“ Der Welpe bellte fröhlich bei ihrem Anblick und stürmte bergauf. Jenny gebot ihm Einhalt, ehe er mit seinen schmutzigen Pfoten an ihrem Rock hochspringen konnte, und drückte ihn entschlossen nieder, dann packte sie ihn am Genick und rieb ihm das Ohr, während er sich vor Entzücken wand und versuchte, ihr die Hände zu lecken. „Was machst du denn mit ihm?“, fragte sie den Hund und winkte in Jamies Richtung. „Und was hast du mit seinem Herrn gemacht, hm?“
„Sein Herr? Du meinst Ian?“
„Ja.“ Sie reckte den Hals, um hinter ihn zu blicken, in der offensichtlichen Hoffnung, dass Ian dort war. „Er ist noch nicht heimgekommen. Rachel spuckt sich die Eingeweide aus dem Leib vor Morgenübelkeit, und Oggy wollte seinen kleinen cu, also dachte ich, der Hund muss bei Ian sein, und ich gehe am besten hinunter und grabe sie da aus, wo sie letzte Nacht geschlafen haben.“
Jamie spürte ein beklommenes Kribbeln zwischen seinen Schultern.
„Genau das hatte ich auch vor. Ich habe den Hund schlafend bei Myers gefunden, aber von Ian keine Spur.“
Jenny zog ihre schmale schwarze Augenbraue hoch. „Wo hast du ihn zuletzt gesehen?“
Jede Frau, die er kannte, sagte das, wenn etwas verloren gegangen war. Er warf Jenny einen Blick zu, der andeuten sollte, dass er das kein bisschen hilfreicher fand als die letzten tausend Male, die er es gehört hatte. Doch er antwortete.
„Gestern nach der Hochzeit. Er hat mit Silvia Hardman und Patience getanzt – Higgins meine ich. Vielleicht eine Stunde vor …“ Er hielt abrupt inne. Er war im Begriff gewesen, „vor William“ zu sagen, doch er wollte jetzt nicht in ein Gespräch über William abgelenkt werden. Jenny, Rachel und Oggy hatten das Fest früh verlassen; Rachel fühlte sich nicht gut, und seine Schwester musste ihre Ziegen melken. Hatte die Neuigkeit sie erreicht?
Nein, dachte er und war sich der Augen seiner Schwester bewusst, die neugierig auf sein Gesicht geheftet waren. Wenn sie von ihm wüsste, wäre es das erste, was sie zu mir gesagt hätte.
Und er schloss: Und sie wird mich umbringen, wenn ich es ihr jetzt nicht erzähle.
„Mein Sohn ist hier“, sagte er abrupt. „William.“
Eine Sekunde verlor ihr Gesicht jeden Ausdruck, dann lief ein solcher Ansturm der Gefühle darüber hinweg, dass er gar nicht folgen konnte. Doch das Ende war eine Miene reinen Glücks, und er bekam einen Kloß im Hals. Sie lachte laut auf, und er lächelte, zu schüchtern, seine eigenen Gefühle preiszugeben.
„Ist er bewaffnet gekommen?“, fragte sie mit einem Hauch von Skepsis in der Stimme.
„Aye, aber nicht meinetwegen“, versicherte er ihr. „Er … ähm … will meine Hilfe. Sagt er.“
„Wozu?“, fragte sie argwöhnisch. „Um eine Braut zu stehlen?“
Die Sachlichkeit der Frage brachte ihn zum Lachen.
„Ich wünschte, es wäre so“, sagte er. „Nein, sein – ich meine, Lord John – wurde entführt, und William will meine Hilfe, um ihn heil zurückzuholen.“
„Ach, deshalb suchst du also Ian.“ Sie blickte auf Skènnen hinunter, der flach auf dem Boden unter einem großen Berglorbeer herumschnüffelte. „Ich glaube zwar, der kleine Schnüffler ist kein großer Spurenleser – zumindest noch nicht –, aber du könntest ihn mitnehmen. Wenn du irgendwie in Ians Nähe kommst, wird der Kleine zu ihm laufen.“
Sie wandten beide die Köpfe, um einen Blick zur Sonne zu werfen. Halb zwei vielleicht. Noch reichlich Tageslicht.
„Kann ich es Rachel sagen?“, fragte Jenny, und er konnte sehen, wie sehr sie es sich wünschte, während die Neuigkeit in ihr zu sprudeln begann. „Ihr liegt doch so an ihm. An William.“
„Das mache ich, und ja, das kannst du“, sagte er lächelnd und schnalzte mit der Zunge in Richtung des Hundes. „Komm mit, a cu.“
[Ende der Szene]
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