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Und wieder ist es Advent …

Und wieder ist es Advent …

Heute ist der erste Sonntag im Advent. Wir zünden ein Feuer an, behaglich und warm, und beginnen die Zeit der Besinnlichkeit, voll Zuversicht, dass wir das Licht, das uns leuchtet, immer finden werden.

Wir hatten auf unserer neuen Eingangsveranda zu Abend gegessen. Wir hatten zwar noch keinen Tisch und keine Bänke für die Küche, aber zur Feier des Tages hatte ich heute Morgen Melasseplätzchenteig gemacht und ihn beiseite gestellt. Jetzt trotteten alle ins Haus und rollten ihre diversen Schlafgelegenheiten aus – Jamie und ich hatten ein Bett, aber alle anderen würden auf Strohsäcken vor dem Feuer schlafen – und ließen sich nieder, um voller Vorfreude zu beobachten, wie ich die Plätzchen auf mein Backblech setzte und den kühlen schwarzen Eisenteller in die glühende Wärme des Ziegelofens schob.
„Wie lange, wie lange, wie lange noch, Oma?“ Mandy stellte sich hinter mir auf die Zehenspitzen, um besser zu sehen. Ich drehte mich um und hob sie hoch, so dass sie das Blech und die Plätzchen im flackernden Schatten des Backfachs in der Wand des gewaltigen Kamins sehen konnte. Das Feuer, das wir bei Tagesanbruch angezündet hatten, war den ganzen Tag geschürt worden, und die Ziegeleinfassung strahlte Wärme aus – und würde das die ganze Nacht tun.
„Siehst du die Kugeln aus Teig? Und du kannst ja fühlen, wie heiß der Ofen ist – steck ja niemals die Hand in den Ofen – aber durch die Hitze laufen die Kugeln auseinander und werden flach, und wenn sie braun sind, sind die Plätzchen fertig. Es dauert ungefähr zehn Minuten“, fügte ich hinzu und stellte sie wieder hin. „Aber der Ofen ist neu, also muss ich immer wieder nachsehen.“
„Toll, toll, toll, toll!“ Sie hüpfte begeistert auf und ab, dann warf sie sich in Briannas Arme. „Mama! Liest du mir etwas vor, bis die Plätzchen fertig sind?“ Brianna zog die Augenbrauen hoch und sah Roger an. Er lächelte und zuckte mit den Schultern.
„Warum nicht?“, sagte er und ging zu dem Gepäckstapel an der Küchenwand, um darin herumzukramen.
„Ihr habt ein Buch für die Kinder mitgebracht? Großartig“, sagte Jamie zu Brianna. „Woher habt ihr es?“
„Gibt es überhaupt Bücher für Kinder in Mandys Alter?“, fragte ich und blickte auf die Kleine hinunter. Brianna hatte gesagt, sie könnte schon ein bisschen lesen, aber ich hatte bis jetzt in keiner Druckerei des achtzehnten Jahrhunderts etwas gesehen, was den Eindruck machte, als könnte eine Dreijährige es verstehen, geschweige denn interessant finden. „Nun ja, mehr oder weniger“, sagte Roger und zog Briannas großen Leinenrucksack aus dem Stapel. „Das heißt, es gab – gibt, meine ich – ein paar Bücher, die für Kinder gedacht sind. Obwohl mir im Moment nur Kinderlieder zum Zeitvertreib, Goody Two-Shoes und Beschreibungen von dreihundert Tieren einfallen.“
„Was denn für Tiere?“, fragte Jamie mit neugieriger Miene.
„Keine Ahnung“, gestand Roger. „Ich habe noch keins dieser Bücher gesehen; habe nur die Titel auf einer Liste gelesen.“
„Hast du in Edinburgh keine Bücher für Kinder gedruckt?“, fragte ich Jamie, der den Kopf schüttelte. „Was hast du denn dann in der Schule gelesen?“
„Als Kind? Die Bibel“, sagte er, als müsste sich das von selbst verstehen. „Und den Almanach. Nachdem wir das ABC gelernt hatten, meine ich. Später haben wir dann ein bisschen Latein gelesen.“
„Ich will mein Buch“, sagte Mandy entschlossen. „Gib es mir, Papa. Bitte?“, fügte sie hinzu, als sie sah, wie ihre Mutter den Mund öffnete. Brianna schloss den Mund und lächelte, und Roger blinzelte in den Rucksack, dann zog er ein leuchtend oranges Buch hervor, bei dessen Anblick ich die Augen zukneifen musste.
„Was?“, sagte Jamie und beugte sich vor, um es genauer zu betrachten. Er sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. Ich zuckte mit den Schultern; er würde es bald herausfinden.
„Lesen, Mami!“ Mandy schmiegte sich an die Seite ihrer Mutter und drückte Brianna das Buch in die Hände.
„Okay“, sagte Brianna und schlug es auf. „Magst du grünes Ei mit Speck? Ganz und gar nicht, Jetzt-kommt-Jack!“
„Was?“, sagte Fanny ungläubig und kam zu Brianna, um ihr über die Schulter zu blicken, dicht gefolgt von Germain.
„Was ist das?“, fragte Germain fasziniert.
„Jetzt-kommt-Jack!“, sagte Mandy gereizt und zeigte mit dem Finger auf die Seite. „Steht auf dem Schild!“
„Ah, oui. Und was ist dann das andere Wesen? Ein Geh-doch-weg?“
Das brachte Fanny, Jemmy und Roger zum Lachen, was Mandy zur Weißglut brachte. Sie mochte zwar das rote Haar nicht haben, dachte ich, aber mit dem Temperament der Frasers war sie reichlich gesegnet.
„Sei still, sei still, sei still!“, kreischte sie. Sie rappelte sich auf und steuerte auf Germain zu, unübersehbar in der Absicht, ihm die Eingeweide herauszureißen.
„Moment!“ Roger schnappte sie sich zielsicher und hob sie auf. „Beruhige dich, Schätzchen, er hat es doch nicht so …“
Ich hätte ihm sagen können – aber wenn er es nach Jahren des Zusammenlebens mit mehreren Frasers nocht nicht wusste, würde es auch nichts nützen, es ihm jetzt zu sagen –, dass „beruhige dich“ das Letzte war, was man zu einem von ihnen sagen sollte, wenn er in vollem Gange war. Es war, als wollte man brennendes Öl auf dem Küchenherd löschen, indem man ein Glas Wasser darauf kippte.
„Hat er wohl!“, brüllte Mandy und wand sich heftig im Griff ihres Vaters. „Ich hasse ihn, er hat es versaut, alles versaut! Lass los, ich hasse dich auch!“ Sie fing an zu treten und kam seinen Weichteilen gefährlich nah. Instinktiv hielt er sie in einigem Abstand vor sich hin.
Jamie streckte die Hände aus, schlang ihr einen Arm um die Taille, zog sie an sich und legte ihr seine große Hand in den Nacken.
„Schsch, a nighean“, sagte er, und sie verstummte. Sie schnaufte wie eine kleine Dampfmaschine, ihr Gesicht war rot und verheult, aber sie hörte auf.
„Wir gehen einen Moment nach draußen, ja?“, sagte er zu ihr und nickte dem Rest der Anwesenden zu. „Niemand fasst ihr Buch an, solange wir fort sind. Habt ihr gehört?“
Auf ein schwaches Murmeln der Zustimmung folgte absolute Stille, als Jamie und Mandy in der Nacht verschwanden.
„Die Plätzchen!“ Weil es kräftig danach roch, als stünde etwas kurz vor dem Anbrennen, hastete ich zum Ofen, riss das Blech heraus und kippte die Plätzchen schnell auf den großen Teller, der im Moment unser einziges Geschirrteil aus Keramik war, auf den aber mühelos ein kleiner Truthahn gepasst hätte.
„Kann man sie noch essen?“ Jem, der keinen Gedanken an Mandys unmittelbare Zukunftsaussichten verschwendete, kam herbeigelaufen, um nachzusehen.
„Ja“, beruhigte ich ihn. „Etwas braun an den Rändern, aber absolut essbar.“ Fanny war auch gekommen, doch ihr stand der Sinn weniger nach Völlerei.
„Wird Mr. Fraser sie verprügeln?“, flüsterte sie mit ängstlicher Miene.
„Nein“, versicherte ihr Germain. „Sie ist noch zu klein.“
„Oh nein, das ist sie nicht“, widersprach Jemmy und warf einen argwöhnischen Blick auf seine Mutter, deren Gesicht deutlich errötet war, wenn auch nicht ganz so rot wie Mandys.
Alle Kinder drängten sich jetzt rings um mich, aus Interesse an den Plätzchen oder aus Selbsterhaltungstrieb. Ich zog eine Augenbraue hoch und sah Roger an, der sich neben Brianna setzte. Ich wandte mich ab, um ihnen ein wenig eheliche Zurückgezogenheit zu gewähren, und schickte Fanny und Jem ins Freie, um den großen Milchkrug zu holen, der momentan im Brunnen hing – und ich hoffte, dass keiner der ortsansässigen Frösche beschlossen hatte, sich zu bedienen, obwohl ich ein mit Steinen beschwertes Tuch über die Öffnung des Kruges gelegt hatte.
„Es tut mir leid, Oma“, sagte Germain leise und drängte sich dicht an mich. „Ich wollte wirklich keinen Streit.“
„Ich weiß, Schatz. Alle wissen das, außer Mandy. Und Opa wird es ihr erklären.“
„Oh.“ Er entspannte sich auf der Stelle, da er unerschütterlich an die Fähigkeit seines Großvaters glaubte, alles und jeden zu beschwören, von ungezähmten Pferden bis hin zu tollwütigen Igeln.
„Geht die Becher holen“, sagte ich zu ihm. „Gleich sind alle wieder da.“ Wir hatten die Blechbecher nach dem Essen gespült, und sie standen kopfüber zum Trocknen auf der Veranda; Germain lief hinaus und vermied es dabei sorgsam, Brianna anzusehen.
Germain glaubte, dass sie auf ihn wütend war, doch ich hatte den Eindruck, dass sie bestürzt war, nicht wütend. Kein Wunder, dachte ich mitfühlend. Sie hatte sich so lange so sehr darum bemüht, dass Jem und Mandy in Sicherheit waren – und zufrieden. Glücklicherweise besaß Roger ziemlich gute eheliche Instinkte; er hatte den Arm um sie gelegt, den Kopf an ihrer Schulter, und er murmelte auf sie ein, zu leise, als dass ich es hätte verstehen können, aber sein Ton drückte Liebe aus und war beruhigend, nicht herablassend, und allmählich glätteten sich die Konturen ihres Gesichtes.
Auch aus der anderen Richtung hörte ich leise Stimmen durch die offene Küchentür kommen – Jamie und Mandy, die sich offenbar gegenseitig ihre Lieblingssterne zeigten. Ich lächelte und legte die Plätzchen auf dem Teller zurecht. Wahrscheinlich konnte er einen tollwütigen Igel zur Ruhe beschwören, dachte ich.
Jamie, der seinerseits einen guten Instinkt besaß, wartete, bis sich die Meute wieder versammelt hatte, und schnüffelte erwartungsvoll an den warmen Plätzchen. Dann trug er Mandy wieder herein und setzte sie kommentarlos bei den anderen Kindern ab.
„Siebenundzwanzig?“, sagte er mit einem einzigen abschätzenden Blick auf mein Arrangement.
„Ja. Wie machst du das?“
„Och, das ist doch nicht schwer, Sassenach.“ Er beugte sich über den Teller, schloss die Augen und atmete selig ein. Wenn man wissen will, wie viele Ziegen man hat, zählt man einfach die Beine und teilt durch vier.“
Die erwachsenen Mitglieder des Publikums stöhnten, und Germain und Jem, die schon dividieren konnten, kicherten.
„Das …“, begann Fanny und hielt stirnrunzelnd inne.
„Hinsetzen“, sagte ich energisch. „Jem, bitte verteil die Milch. Und wie viele Plätzchen bekommt dann jeder, Mr. Neunmalklug?“
„Drei!“, riefen die Jungen im Chor. Mandy, die abweichend meinte, jeder sollte fünf bekommen, wurde ohne weitere Zwischenfälle zum Schweigen gebracht, und das ganze Zimmer ging entspannt zu einer Orgie kalter, sahniger Milch und süß duftender Krümel über.
„Also“, sagte Jamie und hielt inne, um sich sorgfältig die Krümel vom Hemd auf die Handfläche zu streichen und sie abzulecken. „Also“, wiederholte er. „Amanda sagt mir, sie kann ihr Buch selber lesen. Würdest du es uns vielleicht vorlesen, a leannan?“
„Ja!“
Und nach einer kurzen Unterbrechung, um ihr die klebrigen Hände und das Gesicht abzuwischen, saß sie wieder in den Armen ihrer Mutter – doch diesmal hatte sie das leuchtend orange Buch selbst auf dem Schoß. Sie schlug es auf und funkelte ihr Publikum an.
„Seid alle still“, sagte sie entschlossen. „Jetzt lese ich.“

© Diana Gabaldon & Barbara Schnell. Auszug aus Band 9 der Highland Saga. Bitte verlinkt auf diesen Beitrag, aber kopiert ihn nicht.