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„Outlander“ Staffel 3: Das Nennen der Namen

Outlander“ Staffel 3: Das Nennen der Namen

Brooke Corso hat diese außergewöhnliche Besprechung der dritten „Outlander“-Staffel für popwrapped.com geschrieben. Wir danken ihr herzlich für die Erlaubnis, ihren Text zu übersetzen und hier zu veröffentlichen.

Das Nennen der Namen

„Berge zerrannen, Meere versiegten, Städte stürzten ein. Dennoch hatten sich die Erdenmenschen im Stillen schuldig gefühlt, diese uralten Hügel und Täler neu zu benennen. Doch der Mensch  braucht Symbole und Bezeichnungen. Die Namen wurden gegeben.“

Ray Bradbury, „Das Nennen der Namen“, 1949

In den ersten Momenten der dritten Outlander-Staffel scheint für die Highlander auf dem Schlachtfeld von Culloden alles verloren zu sein; ein tragischer Überlebender, James Fraser (Sam Heughan) liegt stundenlang zwischen den verkohlten Überresten eines Traumes, eines Ziels. Er versucht zu verleugnen, was seine Sinne ihm sagen: dass das Leben trotz des Alptraums weitergeht und dass seine Zeit noch nicht zu Ende ist. Durch einen Ozean und zwei Jahrhunderte von ihm getrennt, wandert Claire Randall Fraser Randall (?) durch die Flure und Zimmer eines Hauses, das hoffentlich ein „richtiges Zuhause“ für sie werden wird, für sie, ihren Ehemann Frank (Tobias Menzies) und das Kind in ihrem Bauch, das Frank als ihr gemeinsames Kind aufzuziehen bereit ist. Fast wird sie erdrückt von den leeren Räumen und Regalen, die für eine Zukunft stehen, in der sich Gegenstände und Bilder ansammeln werden, Bücher, Urkunden und Kinderbilder. Genau wie Jamie seine Welt ringsrum zusammenbrechen sieht und seine Identität allmählich schwindet, so steht Claire vor dieser beängstigenden Leere, die es zumindest um des Kindes willen zu füllen gilt. Im Lauf der weiteren Folgen begegnen wir dieser Parallele immer wieder, während Jamie und Claire darum ringen, ohne einander zu leben, und sie doch nie ohne den anderen sind, sei es aufgrund äußerer Einflüsse oder Erinnerungen, sei es in der Natur oder unter Menschen,sei es im Geschmack einer Schneeflocke oder der zögernden Nervosität körperlicher Berührung. Der Schatten des Teils, der immer fehlt, färbt sowohl die Segnungen als auch die Bürden der Jahre ihrer Trennung, und diese Staffel ist ein Balanceakt, der beide Hauptfiguren gleichermaßen als Gegenstände wie als Ursachen des Wandels in Szene setzt.
Dieser Balanceakt kommt am stärksten in den Namen zum Ausdruck, die Jamie und Claire tragen, weil Gewohnheit, Gerüchte, die Vorurteile oder Erzählungen anderer oder sie selbst so wollen, oder weil man sie dazu zwingt; wenn neue Figuren hinzukommen, sehen wir auch sie mit Symbolen oder Attributen kämpfen, die rassistisch, irreführend oder einschränkend sind. Patriot, Held, Hochverräter oder „Jakobitenabschaum“, all diese Attribute können für ein- und dasselbe Individuum verwendet werden, je nachdem, wer es beschreibt. In einer Szene wird Jamie im Abstand von Sekunden erst als „dreckiger Schurke“ und dann als „illustrer Gefangener“ bezeichnet, weil sein Gegenüber plötzlich begreift, dass er nicht nur „den Roten Jamie von den Flugblättern“ vor sich hat, sondern auch James Alexander Malcolm MacKenzie Fraser, der seinem Bruder das Leben gerettet hat. Es ist zwar letztere Bezeichnung, die ihn vor der Exekution bewahrt, doch erstere verbannt ihn in ein Gefängnis ohne Mauern, denn er muss untertauchen, um sich vor den Rotröcken zu verstecken, die Schottland und seine Bevölkerung in rechtloses Eigentum des britischen Empires verwandeln. Doch die Bezeichnungen, die man Jamie anheftet, verleihen ihm einen immer romantischeren Ruf, und seine Einsamkeit als Dunbonnet lässt ihn schließlich zur Legende werden, auch wenn er selbst nicht mehr ist als eine leere Hülle.
Claire prallt ihrerseits mit den Machtstrukturen zusammen, die ihren Mann in Harvard umgeben, mit den gesellschaftlichen Erwartungen an ihre Rolle als Ehefrau und Mutter, mit der Perspektive anderer Ehefrauen und mit der allgemeinen Verachtung, die ihrer Entwicklung als Frau, als Akademikerin und als Ärztin entgegenschlägt. Männer ignorieren sie oft und wenden sich im Gespräch stattdessen an Frank, und auf ihr Selbstbewusstsein reagieren sie bei gesellschaftlichen Anlässen mit einer Mischung aus belustigter Herablassung und Angst vor ihrer unverblümten Art. Nachdem sich Claire und Frank bei Briannas Geburt noch einig waren, beginnen sie nun, auseinanderzudriften: Claire ergreift zunehmend die Initiative, während Frank immer öfter nur noch reagiert. Frank schreckt vor der amerikanischen Vorliebe für alles Neue zurück, während Claire nach all dem Trauma die Chance für einen Neuanfang sieht, die Chance, nicht mehr bei jeder Bewegung an das Leben erinnert zu werden, das sie hinter sich gelassen hat. Wenn sie sich schon auf Franks Bedingung einlässt und die Vergangenheit aufgibt, fängt sie am liebsten gleich wieder ganz bei Null an. Als sie vorschlägt, sich um die amerikanische Staatsbürgerschaft zu bewerben, ist Frank schockiert. Entrüstet zählt er die Namen auf, die das Land repräsentieren, für das er gekämpft hat: Stuarts, Plantagenets, Tudors. Man beobachte Claires Gesicht, während er das sagt: Sie ist Königen und Prinzen persönlich begegnet und hat die Menschen hinter den Balladen und Geschichtsbüchern kennengelernt. In einem exzellenten Übergang, der sichtbar macht, wogegen sie zu kämpfen hat, bereitet sich Claire auf einen wichtigen gesellschaftlichen Anlass mit Franks Fakultätsleitung vor. Flankiert von identischen Lampen und symmetrischen Fenstern sitzt sie vor ihrer Kommode und soll sich „für den Boss hübsch machen“, während das nächste Bild die antike, verschnörkelte Architektur des Aufenthaltsraums in Harvard zeigt, wo Claire im übertragenen wie im wörtlichen Sinn das festgefahrene Wertesystem der Verwaltung erlebt. Diesem trotzt sie, indem sie weitermacht, indem sie die Hoheit über ihre eigene Identität und die Art übernimmt, wie man sie bezeichnet – Mutter, Ehefrau, Ärztin –, während die Gelehrten, von denen sie doch lernen sollte, den Fortschritt verhöhnen.
So lassen das Produktionsteam und die Drehbuchautoren Claire und Jamie die Geschlechterrollen tauschen, was nicht nur zur Folge hat, dass man ihr Schicksal noch intensiver mitempfinden kann, sondern auch, dass die Aktionen und Reaktionen der Schauspieler Caitriona Balfe und Sam Heughan um so größere Wucht entfalten. Caitrionas Claire mit ihren strengen Kostümen, ihren eng anliegenden Pullis und den geraden Hosenbeinen ist in dieser dritten Staffel eine Kreuzung aus Patricia Neal und Jackie O: stilvoll, würdevoll und selbstbewusst. Um ohne Jamie zu überleben, entwickelt Claire einen Kern aus eisigem Stahl, der sich äußerlich in der konzentrierten Intensität manifestiert, mit der sie sich ihrer Arbeit widmet. Diese nimmt mehr und mehr von ihrer Zeit in Anspruch, je älter Brianna wird. Nicht, dass sie ihr Kind vernachlässigen würde, doch es ist Frank, der sich hauptsächlich um sie kümmert – er und Brianna gehen eine enge Verbindung ein, vermutlich, weil sie sich beide wie Nebenfiguren in Claires Leben fühlen.
Es gibt eine Schlüsselszene, die für mich bis jetzt zu Balfes besten in dieser Staffel zählt und in der Claire eine Entschuldigung hätte vortäuschen, ihre Liebe erklären und um Verzeihung hätte bitten können, doch sie tut es nicht. Es wäre nicht aufrichtig, und es wäre nicht echt, doch ihre tatsächliche Reaktion geht nicht weniger zu Herzen und zeigt, mit welcher Sorgfalt sie die Schutzmauer rings um ihr gebrochenes Herz konstruiert hat – eine Mauer, die sie isoliert, so dass sie sich auf den einen Bereich ihres Lebens konzentrieren kann, der ihr echtes Mitgefühl, Engagement und Hingabe gestattet. Mir gefällt auch, dass sie keine perfekte Mutter ist (und Frank kein perfekter Vater), dass ihre Entscheidungen (positive oder negative) Folgen für die Menschen in ihrer Nähe haben und dass sie sich die Distanz zwischen ihr und ihrer erwachsenen Tochter eingesteht und daran arbeiten will. Balfes kunstvolles Porträt zeigt Claire als Figur mit Tunnelblick, die die einzige ist, die die Risse in der lächelnden Fassade und der äußerlichen Stabilität ihrer Ehe nicht wahrnimmt – eine Ehe, in der sie verharrt, um Brianna die Beständigkeit zu geben, die sie selbst als Kind nie hatte. Selbst Frank sagt zu seiner Frau: „Du bist gar keine so gute Schauspielerin wie du glaubst.“
Tobias Menzies spielt Frank Randall so schmerzhaft eindrucksvoll, dass man sich mit einem Kloß im Hals eingestehen muss, dass hier ein eigentlich guter Mensch den Kürzeren gezogen hat. Er möchte seiner Frau nah sein, körperlich und emotional, möchte, dass sie wieder „die alte Claire“ wird, doch es gelingt ihm nicht. Er kämpft wie ein Schattenboxer mit einem Geist. Und er lebt mit einer Frau zusammen, die nicht um seinetwillen zurückgekommen ist, sondern um ihres Kindes willen. Er erinnert an eine Mischung aus dem „Mann im grauen Flanell“ und einem Antihelden von John le Carré; was er tut und will, bleibt rätselhaft (und seine Dialoge scheinen immer einen Hauch von Zwielicht an sich zu haben), doch seiner Arbeit und seiner Tochter ist er treu ergeben. Ich glaube, mit Claire als Hausfrau wäre Frank glücklicher gewesen; er hindert sie zwar nicht an der Berufstätigkeit, doch er ist auch nicht begeistert davon. Er begehrt das, was Claire für ihn darstellt, doch das Herz im Inneren ihres Schutzwalls kennt er nicht.
Jamie kennt es.
Zwar sind Balfe und Menzies fantastisch in ihren Rollen als Frau, die in ihrer eigentlichen Zeit nicht mehr zu Hause ist, und als Mann, der in seiner Familie fehl am Platze ist, doch dies ist definitiv Sam Heughans Staffel. Jamie Fraser trägt zwar schon viele Namen, doch „Hiob“ hätte auch noch gut gepasst. Heughan wirkt zutiefst bewegend als Mann, dem alles genommen wurde, was ihn einmal ausgemacht hat, der anstelle der eisernen Entschlossenenheit seiner Frau eine beinahe hypersensible Gefühlstiefe an den Tag legt und dafür leiden muss. Jamie ist der geborene Anführer, was ihm zwar den Respekt der Highlander und der Rotröcke gleichermaßen sichert, doch die Isolation, die er erdulden muss, wirkt bisweilen geradezu lähmend. Von der ersten Szene in der ersten Folge an spielt Heughan Jamie als Menschen, der sich der überwältigenden Sinneseindrücke auf dem Schlachtfeld nicht erwehren kann, und während der jahrelangen Erniedrigung und Unterdrückung durch die britischen Besatzer hilft ihm die Schärfe seiner Wahrnehmung dabei, sich für andere einzusetzen. Während wir Claire oft im unterkühlten Inneren ihres Bostoner Hauses sehen, agiert Jamie häufig bei Kerzenschein, und Heughans Körpergröße und Präsenz lassen die Räume, in denen er sich aufhält, intimer erscheinen. Dazu kommen die Szenen, in denen die Figur jenen ausgeliefert ist, die sein Leben in der Hand haben: Ob er sich bückt, um mit einem Kind zu sprechen, oder ob er mit dem Gefängnisverwalter Schach spielt, jeder Blick, jedes Zucken seines Kinns ist von solcher Intensität, dass das innere Feuer hindurchscheint, das die Menschen zu ihm hinzieht, sei es aus Not, aus Opportunismus, aus Begehren oder Verständnis. Manche Namen machen ihn zum Objekt; andere benutzt und beherrscht er. Er erkennt, welchen Vorteil Decknamen und Legenden haben, ganz gleich, ob sie von Dauer sind oder sich im Lauf der Geschichte verlieren.
Auf seine Weise ist Jamie in seiner Zeit genauso ein Fremder wie Claire es in der ihren ist: Vom Schlachtfeld kehrt er in ein Haus zurück, das ihm nicht mehr gehört, eine Kultur, die systematisch ausgelöscht wird; als unfreiwillige Berühmtheit bringt er die eigene Familie in Gefahr, und er muss mit dem Verlust des einzigen Menschen leben, bei dem er ganz und gar er selbst sein konnte. Sowohl er als auch Claire scheinen in den Schatten vergangener Welten zu leben: Er, indem er von einem realen oder virtuellen Käfig in den nächsten wandert, sie, indem sie eine kunstvolle Fassade der Häuslichkeit errichtet. Schließlich macht sich Jamie zum Herrn über die Namen, die man ihm gibt, nimmt sein Schicksal in die Hand und verschafft sich wieder eine Waffe. Ähnlich macht sich auch Claire ihr Wissen aus der vergangenen Welt in der folgenden zunutze; sie ist mit der Gabe gesegnet und verflucht, gesellschaftliche Zusammenhänge zu durchschauen, und kann sich diese so zurechtbiegen, dass sich ihr Wunsch, „Teil von etwas Größerem zu sein“, erfüllt.
Glücklicherweise finden beide in den Jahren der Trennung einen wichtigen Freund, einen Menschen, der ebenfalls „anders“ ist, weil sein Geschlecht, seine Rasse, seine Sexualität oder sein Charakter ihn dazu machen. Claire schließt Freundschaft mit Joe Abernathy (Wil Johnson), den sie während ihrer Ausbildung kennenlernt und der später in der Klinik ihr Kollege wird. So wie Claire die einzige Frau im Ärztekollegium ist, ist Joe der einzige Afro-Amerikaner, und seine Bemühungen stoßen auf noch größere Feindseligkeit als die ihren. Jamie wird im Gefängnis von Ardsmuir der inoffizielle Sprecher der Gefangenen gegenüber dem neuen Verwalter, einem jungen, gut aussehenden, kompetenten Mann namens John William Grey (David Berry), dem er vor Jahren schon einmal begegnet ist. Wie Jamie muss auch Grey in einem Käfig leben (auch wenn dieser unsichtbar ist), der es ihm unmöglich macht, offen zu lieben und sein Leben ganz auszuleben. Zwar ist er eine tragische Figur, deren Liebe unerwidert bleibt, doch weil sie beide wissen, was Aufopferung bedeutet, finden er und Jamie zu Aufrichtigkeit und Vertrauen.
Doch was ist mit dem Wiedersehen? Manche fragen sich vielleicht, warum es nicht am Anfang steht und die Jahre der Trennung später in Rückblenden erzählt werden? Ich lege Ihnen ans Herz, sich den Anfang von „Die Abrechnung“ anzuschauen (Folge 9 der ersten Staffel). Hier hören wir Jamie sagen: „Jeder Mensch entscheidet sich täglich zwischen richtig und falsch, zwischen Liebe und Hass, manchmal zwischen Leben und Tod, und die Summe dieser Entscheidungen wird sein Leben.“ Jamie und Claire haben einander zu besseren Menschen gemacht, die besten Eigenschaften des anderen ans Licht geholt, und der Einfluss des jeweils anderen ist spürbar in der Art, wie sie andere Menschen behandeln, wie sie trauern und lieben, aufbegehren und kämpfen. Es gibt keinen Namen für diese Präsenz; sie ist das, was sie empfinden, wenn sie zusammen sind und was sich nicht in Worte fassen lässt. Das ist der Grund, warum diese zwanzig Jahre keine verlorenen Jahre sind: All diese Entscheidungen, die sie getroffen haben, haben sie wieder zueinander geführt.


„So viele Jahre“, sagte er, „so lange Zeit bin ich so vieles gewesen, so viele unterschiedliche Männer.“ Ich spürte, wie er schluckte, und er legte sich vorsichtig anders hin, so dass das gestärkte Leinen seines Nachthemds raschelte.
„Ich war der Onkel für Jennys Kinder, der Bruder für sie und Ian. ‚Milord‘ für Fergus und ‚Sir‘ für meine Pächter. ‚Mac Dubh‘ für die Männer in Ardsmuir und ‚MacKenzie‘ für die anderen Dienstboten in Helwater. Dann wiederum ‚Malcolm, der Drucker‘ und ‚Jamie Roy‘ auf den Docks.“ Die Hand strich mir langsam über das Haar, und es flüsterte leise wie der Wind im Freien. „Aber hier“, sagte er so leise, dass ich ihn kaum hören konnte, „hier bei dir in der Dunkelheit … habe ich keinen Namen.“

– Diana Gabaldon, „Ferne Ufer“, Kapitel 37, „Was ist ein Name“

(c) 2017 Brooke Corso & Barbara Schnell. Bitte verlinkt auf diesen Text, aber kopiert ihn nicht.