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Noch 15 Tage / Daily Lines

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Himmel, es war die reine Seuche. Er hatte das Gespräch während der Suppe auf das Thema Lyrik gebracht, weil er Harry necken wollte, doch dies hatte zunächst zu einer Deklamation eines Gedichtes aus Brockes‘ „Irdisches Vergnügen in Gott“ geführt, das Frobisher hingerissen auf Deutsch vortrug, und dann zu einer erhitzten Diskussion zwischen von Namtzen und Frobisher, ein bestimmtes deutsches Versmaß betreffend und die Frage, ob dies der Ursprung des englischen Sonetts war.
Als man Harry nach seiner Meinung fragte, grinste er Grey über seinen Suppenlöffel hinweg an
„Ich?“, sagte er ausdruckslos. „Oh, ich bin doch gewiss nicht qualifiziert, mich dazu zu äußern. Weiter als bis ‚Mary hatt‘ ein kleines Lamm‘ kenne ich mit damit nicht aus. Aber Grey, er ist der Mann fürs Gereimte; am besten fragt Ihr ihn.“
Grey hatte eiligst jegliche derartigen Kenntnisse geleugnet, was jedoch wiederum dazu geführt hatte, dass der ganze Tisch „Reime suchen“ zu spielen begann, wobei sie sich der Reihe nach abwechselten, bis der jeweilige Kandidat kein weiteres Reimwort mehr finden konnte, woraufhin der nächste dann ein neues Wort wählte. Sie waren von einfachen Dingen wie „Sohn/Lohn/Mohn/Patron/Baron“ bis zu der komplexeren Frage gekommen, ob man „Champagner “ auf „oranger“ reimen durfte, wobei Letzteres wohl nur bedingt als existierendes Wort zu betrachten war. Das Schlimmste daran war, dass ihn die Unterhaltung – gepaart mit dem Anblick von Namtzens, der ihm gegenüber saß, das breite Gesicht durch die Wortspiele ein wenig erheitert, das helle Haar sanft um die Ränder seiner Ohren geringelt – dazu verleitete, insgeheim selbst mit dem Reimen anzufangen. Zunächst nur simple Wörter, doch dann hatte ein kleiner Paarreim – er hoffte, dass das die richtige Bezeichnung war – in seinem Kopf zu summen begonnen.
Es verblüffte ihn. War das die Art, wie Harry es machte? Ließ er die Worte einfach auftauchen und selbst etwas beginnen?
Die Worte, die in seinem eigenen Kopf aufgetaucht waren, hatten sich zu einem irritierenden kleinen Küchenreim zusammengefügt: Kannst nicht sein der Meister mein/doch soll ich dein Meister sein?
Das brachte ihn aus der Fassung, denn sein Verhältnis – oder seine Gefühle – gegenüber von Namtzen hatten nichts an sich, worauf sich das anwenden ließ, und er begriff sehr wohl, dass es mit Jamie Frasers Anwesenheit in Argus House zusammenhing.
Wirst du wohl verschwinden, zum Kuckuck?, dachte er aufgebracht. Ich bin noch nicht so weit.
Das Zimmer kam ihm furchtbar warm vor, und an seinem Haaransatz sammelte sich der Schweiß. Glücklicherweise lenkten die Ankunft der Vorspeisen und das Durcheinander, unter dem sie serviert wurden, die Tischgesellschaft vom Reimen ab, und er verlor sich dankbar in der Glorie des Blätterteigs und den köstlichen Säften von Wild, Ente und Trüffeln.

(„Die Fackeln der Freiheit“, copyright Diana Gabaldon und Barbara Schnell)