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Kurzer Auszug aus Band Neun: Ian und Brianna

Kurzer Auszug aus Band Neun: Ian und Brianna

© Diana Gabaldon/Barbara Schnell. Aus: Band Neun der Highland Saga. Bitte verlinkt auf diesen Beitrag, aber kopiert ihn nicht.

„Oh, aye“, sagte Ian und lächelte, doch sein Blick war auf ihre Hände gerichtet. „Wie lange ist es her, dass du zuletzt ein Gewehr abgefeuert hast, Kusinchen?“
„Gar nicht so lange“, sagte sie knapp. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass es wieder so über sie herfallen würde. „Sechs, sieben Monate vielleicht.“
„Was hast du denn gejagt?“, fragte er und legte den Kopf schief.
Sie warf ihm einen Blick zu, fasste ihren Entschluss, und während sie den Ladestock sorgfältig in den Lauf drückte, wandte sie sich ihm zu. „Eine Bande von Männern, die sich in meinem Haus versteckt hatten und auf der Lauer lagen, um mich umzubringen und meine Kinder zu entführen“, sagte sie. Seine feinen Augenbrauen fuhren in die Höhe.
„Hast du sie erwischt?“ Er klang so interessiert, dass sie trotz der Erinnerungen lachte. Er hätte genauso gut fragen können, ob sie einen großen Fisch gefangen hatte.
„Leider nicht. Ich habe einen Reifen an ihrem Wagen zerschossen und ein Fenster in meinem eigenen Haus. Ich habe sie nicht erwischt. Allerdings“, fügte sie mit gespielter Beiläufigkeit hinzu, „haben sie mich und die Kinder auch nicht erwischt.“
Er akzeptierte das, was sie gesagt hatte, kopfnickend und derart schnell, dass es sie erstaunt hätte – wäre er irgendein anderer gewesen.
„Das ist dann wohl der Grund, warum ihr hier seid, aye?“ Er sah sich um, völlig unbewusst, als suchte er den Wald nach möglichen Feinden ab, und ganz plötzlich fragte sie sich, wie es wohl sein musste, mit Ian zusammenzuleben und nie zu wissen, ob man mit dem Schotten oder dem Mohawk sprach – und jetzt war sie wirklich neugierig auf Rachel.
„Hauptsächlich, ja“, antwortete sie ein wenig widerstrebend. Er bemerkte ihren Ton und sah sie scharf an, nickte dann aber erneut.
„Dann wirst du zurückgehen, um sie zu töten?“ Seine Frage war ernst, und nur mit Mühe unterdrückte sie die Wut, die sie brennend durchfuhr, wann immer sie an Rob Cameron und seine verdammten Komplizen dachte. Es war weder Angst noch Trauma, was ihre Hände jetzt zittern ließ; es war die Erinnerung an die überwältigende Entschlossenheit zu töten, die von ihr Besitz ergriffen hatte, als sie den Abzug berührte.
„Zu gern“, sagte sie nur und schob das alles mit einer Handbewegung von sich. „Ich erzähle es dir später; wir sind gestern Abend erst gekommen.“ Als hätte sie das an den langen, harten Aufstieg durch die Bergpässe erinnert, gähnte sie plötzlich herzhaft.
Ian lachte, und sie schüttelte blinzelnd den Kopf.
„Habe ich es richtig im Kopf, dass Pa gesagt hat, du hast ein Baby?“, fragte sie und wechselte entschlossen das Thema.
Das breite Grinsen kehrte zurück.
„Ja“, sagte er, und sein Gesicht leuchtete so sehr vor Glück, dass sie ebenfalls lächelte. „Ich habe einen kleinen Sohn. Er hat seinen richtigen Namen noch nicht, aber wir nennen ihn Oggy. Für Oglethorpe“, erklärte er, als er sah, wie ihr Lächeln bei diesem Namen breiter wurde. „Wir waren in Savannah, als man anfing, ihn zu sehen. Ich kann es gar nicht abwarten, dass du ihm begegnest!“
„Ich auch nicht“, sagte sie, obwohl ihr der Zusammenhang zwischen Savannah und dem Namen Oglethorpe nicht klar war. „Sollen wir …“
Ein Geräusch in der Ferne schnitt ihr das Wort ab, und Ian war sofort auf den Beinen und sah sich um.
„War das Pa?“, fragte sie.
„Ich glaube ja.“ Ian gab ihr die Hand und zog sie hoch, während er beinahe gleichzeitig seinen Bogen aufhob. „Komm mit!“
Sie packte die frisch geladene Büchse und rannte los, ohne auf Büsche, Steine, Äste öder Bäche zu achten. Ian glitt durch den Wald wie eine eilige Schlange; sie boxte sich hinter ihm durch, brach Zweige ab und wischte sich mit dem Ärmel über das Gesicht, um den Blick frei zu bekommen.
Zweimal blieb Ian abrupt stehen und packte ihren Arm, als sie auf ihn zugestürzt kam. Gemeinsam standen sie da und lauschten, versuchten, ihre hämmernden Herzen und ihren keuchenden Atem so lange zu beruhigen, dass sie im Singsang des Waldes etwas hören konnten.
Beim ersten Mal fingen sie nach scheinbar quälend endlosen Minuten eine Art kreischendes Geräusch auf, das den Wind übertönte und zu einem Grunzen verhallte.
„Schwein?“, fragte sie, während sie nach Luft schnappte. Es war Herbst; im Wald würden Wildschweinrotten sein, die in der Kastanienmast wühlten. Einige der Tiere waren groß und sehr gefährlich.
Ian schüttelte den Kopf.
„Bär“, brachte er heraus. Er ergriff ihre Hand und zog sie im Rennen hinter sich her.
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