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Im Interwiew mit der Krimi-Autorin Barbara Rogan

Im Interwiew mit der Krimi-Autorin Barbara Rogan

Barbara Rogan: Ich kenne Diana, seit wir uns vor etwa fünfzehn Jahren im CompuServe Books Forum begegnet sind. Ein paarmal waren wir beide Referentinnen bei der Surrey International Writers Conference und hatten dabei die Gelegenheit, auch im „richtigen Leben“ Zeit miteinander zu verbringen. Jeder, der ihr Werk gelesen hat, weiß, dass Diana eine fesselnde Erzählerin ist. Was man vielleicht nicht weiß, wenn man ihr noch nicht begegnet ist, ist, dass sie als Mensch genau so wunderbar ist wie als Schriftstellerin. Sie tut viel für andere, ohne dass je darüber gesprochen oder berichtet wird, und ich möchte hier ja nicht zu viel preisgeben, aber ich möchte sagen, dass sie die unterstützt, die es am meisten brauchen, und dass ihr keine Mühe zu groß ist, wenn es darum geht, andere Schriftsteller zu fördern, was ich auch schon persönlich erleben durfte.
Dieses Interview, das ich in mehreren Teilen veröffentlichen werde, hat sie mir für meinen Blog „In Cold Ink“ gegeben, der ihr seinen Namen verdankt. Im ersten Teil geht es um Dianas schriftstellerische Anfänge, ihre verschiedenen Charaktertypen und um ihre Arbeitsweise. Ganz am Rande räumt sie mit ein paar Missverständnissen auf.

Frage: Hast du als Kind viel gelesen? Was waren deine Lieblingsbücher?
Antwort: Ja. Meine Mutter hat mir das Lesen beigebracht, als ich drei war; ich kann mich gar nicht an eine Zeit erinnern, in der ich nicht lesen konnte. Allerdings weiß ich noch genau, wie ich an meinen ersten Kindergartentag ein Bilderbuch durchgeblättert und es mit der Bemerkung auf den Boden geworfen habe: „Das ist ein doofes Buch. Gibt es auch etwas anderes zu lesen?“ (Ich war kein taktvolles Kind.)
Ich habe immer schon mehr oder weniger alles gelesen. Im dritten Schuljahr hatte ich die komplette Kinderabteilung der Bücherei in Flagstaff durch und bin dann zu den Erwachsenenbüchern übergegangen (nachdem meine Mutter der Bibliothekarin, die das mit großer Skepsis sah, versichert hatte, dass ich mir ausleihen konnte, was immer ich wollte). Zu den Büchern, die ich mehrfach gelesen habe, zählten „Alice im Wunderland“, „Die Schweizer Familie Robinson“, die Oz-Bücher, Andrew Langs Märchensammlungen, eine komplette Reihe für Kinder geschriebener Biographien berühmter Persönlichkeiten und jeder Walt-Disney-Comic, den ich in die Finger bekam.

Frage: Kannst du dich an einen bestimmten Moment erinnern, als dir klar wurde, dass du gern selbst Geschichten schreiben würdest?
Antwort: Ja. Ich war ungefähr acht, und wir waren mit dem Auto auf dem Rückweg von einem Familienausflug zu den Vulkankegeln in der Nähe von Flagstaff (bei schönem Wetter sind wir Sonntags oft dort hingefahren). Es war Sommer, und über uns braute sich das tägliche Gewitter zusammen. Ich weiß noch, wie ich zu den Wolken aufgeschaut und mit Gott gesprochen – ich habe nicht gebetet, sondern einfach nur zu ihm gesprochen – und gesagt habe: „Ich will Bücher schreiben. Ich glaube, ich soll einmal Bücher schreiben.“ Nicht falsch verstehen – EIN BUCH ZU SCHREIBEN war zu diesem Zeitpunkt das Abwegigste, Unmöglichste, was ich mir vorstellen konnte. Ich hätte genau so gut sagen können: „Ich glaube, ich will zum Mars fliegen.“
Ich hatte nicht die geringste Ahnung, wie man Bücher schreibt, ganz zu schweigen davon, wie sie in den Literaturregalen landen (ich wusste ja auch nicht, dass man dafür bezahlt wird, Bücher zu schreiben; als ich das herausgefunden habe, kam es mir wie das Sahnehäubchen vor).
Sei’s drum, Gott hat gesagt (mehr oder weniger): „Ja, das stimmt. Das solltest du.“

Frage: Erstlingsromane sind meistens irgendwie autobiographisch. Du hast keinen Tropfen schottisches Blut in dir, du warst nie Krankenschwester, und du hast (so weit ich weiß) noch nie eine Zeitreise unternommen. Gibt es denn irgendetwas in FEUER UND STEIN, das auf deinem eigenen Leben und/oder deinen Leidenschaften basiert?
Antwort: Wenn man ein aufrichtiges Buch schreibt, basiert es zum Großteil auf der eigenen Person, ganz gleich, wo und wann es spielt oder unter welchen Bedingungen die Figuren leben. Und die idiotische Annahme, dass man nur über seine eigenen Erlebnisse schreiben kann, ist zwar weit verbreitet, aber sie hätte die Entstehung der meisten bedeutenden Bücher der Welt verhindert. (Was bitteschön nicht heißen soll, dass du eine Idiotin bist.) Es ist einfach nur so, dass dieses dumme „Schreib über das, womit du dich auskennst“ so sehr als ehernes Gesetz verbreitet worden ist, dass die Leute gar nicht mehr darüber nachdenken und daher auch gar nicht begreifen, dass es falsch herum ist. Es ist nicht so, dass man sich darauf beschränken sollte, das eigene Leben als Material zu benutzen; es ist so, dass man nicht über etwas schreiben sollte, womit man sich NICHT auskennt – aber das kann man ja alles herausfinden. Außerdem gibt es da dieses kleine Etwas namens „Fantasie“, das heutzutage erstaunlich wenig Wertschätzung erfährt. Als Romanautorin kann ich sein, wer ich will. Zu jeder Zeit, an jedem Ort, in jeder körperlichen Verfassung und in jedem Geisteszustand. Warum sollte ich da nur ich sein? Wie langweilig.
(Ich enthalte mich hier jeden Kommentars über die nicht minder vorherrschende Einstellung, dass ein Schriftsteller aus irgendeinem Grund das starke Bedürfnis verspüren sollte, über seinen kulturellen Hintergrund zu schreiben – aber nur, wenn er oder sie keine Weiße ist. Die Leute bedrängen mich ständig, über „meine Kultur“ zu schreiben, womit sie meine hispanische Herkunft meinen. Warum bedrängt mich eigentlich niemand, über die englische oder deutsche Seite zu schreiben, immer vorausgesetzt, ich wollte überhaupt über meine Herkunft schreiben, was nicht der Fall ist?)
Um aber noch einmal auf deine eigentliche Frage zurückzukommen: Klar. Einer Reihe akademischer Zufälle habe ich es zu verdanken, dass ich an verschiedenen Instituten Kurse in menschlicher Anatomie und Physiologie gegeben habe, darunter auch die Pflegeschule der Temple University. Das hatte nun wirklich nichts mit meinen eigenen wissenschaftlichen Interessen, meinem akademischen Hintergrund oder meinen Forschungsvorlieben zu tun – man hat mich einfach nur dafür bezahlt. Aber ich kann nicht leugnen, dass der Stoff interessant war – und dieser Tatsache verdanke ich mein Allgemeinwissen in klinischer Medizin, das die Basis für Claires Tätigkeit als Heilerin und Ärztin bildet.
Allerdings habe ich tatsächlich eine Zeitlang Feldforschung als Ökologin betrieben. Was bedeutet, dass ich ganz selbstverständlich im Blick habe, was um mich herum vorgeht, wenn ich im Freien bin. Ich kenne die grundlegenden Eigenschaften der verschiedenen Ökosysteme – ob ich also die schottischen Highlands oder die Berge von North Carolina vor mir habe, ich weiß, dass es Vogelarten mit diesem Verhalten gibt und Pflanzensorten, die in jene Nische passen, und so weiter. Darüber hinaus reicht es, die jeweiligen Pflanzen und Tiere nachzuschlagen, und das ist simple Recherchearbeit.
Ich bin einundsechzig. Ich liebe einen Mann, bin verheiratet, habe Kinder und weiß, wie es ist, wenn Verwandte sterben. Natürlich sickern Bruchstücke all dieser Erfahrungen in die Bücher durch, die ich schreibe. Wäre ja auch seltsam, wenn nicht, oder?

Frage: Viele deiner Leser fühlen sich mit deinen Büchern sehr eng verbunden und betrachten die Figuren wie persönliche Freunde. Lassen wir einmal die Bescheidenheit – was meinst du, warum die Leser eine solche Verbindung mit deinen Figuren empfinden?
Antwort: Ich schreibe aufrichtige Bücher, so weit das in meiner Macht liegt. Die Leute erkennen wirklichkeitsnahe Figuren, Situationen, Gefühle, wenn sie sie sehen, und es ist ganz natürlich, mit Leuten mitzufühlen, die man als echt empfindet.
(Die ‚Washington Post‘ hat mich kürzlich gebeten, mit „ein paar Sätzen“ zu beschreiben, was ich am Valentinstag gemacht habe, für eine Kolumne, in der etwa ein Dutzend Autorinnen zitiert wurden. Die meisten anderen Teilnehmerinnen sind mit ihren Männern romantisch essen gegangen und haben mit Champagner angestoßen oder … nun ja … das hier zum Beispiel:
„Ich bin begeistert von den leuchtenden Bergen praller, dunkelroter Rosen in voller Blüte, von den Arrangements mit rosa Champagner und den Pralinenschachteln, die überall in London auftauchen, und hoffe, dass ein himmlischer Strauß seinen Weg zu mir findet. Und doch, wenn ich an diesem Tag einem Mann Rosen schenken würde (und warum nicht, denn alle sinnlichen Männer lieben Rosen), würde ich flammendes Orange kaufen, leuchtendes Gelb oder cremiges Weiß mit einem Hauch von Pink, und dabei so tun – weil ich altmodisch bin –, dass es einfach nur aus Lebensfreude ist oder Überschwang oder aus purem Zufall …“ Und dann war da das, was ich gesagt habe – die absolute, ungeschönte Wahrheit: „Im Moment werden bei uns die Terracottafliesen neu versiegelt. Das heißt, dass wir alle Möbel aus dem Weg räumen müssen, die Hunde zu meinem Sohn ausquartieren und zwei Tage auf Socken herumlaufen. Unser Bett ist zerlegt und in der Kammer verstaut, also schlafe ich im Zimmer einer meiner Töchter, und mein Mann hat sein Nest irgendwo im Wohnzimmer aufgeschlagen, wo die ganzen Möbel sind. Trotzdem ist die Romantik nicht ganz tot; er hat mir einen Bademantel und eine Karte mit einem singenden Käfer geschenkt und ich ihm ein Glas mit weißen Sardellenfilets und eine Tube Wasabipaste.“
Klar würde man manchmal gern flüchten und in Gedanken an zufällige Rosen schwelgen … aber was glauben Sie, auf der Grundlage dieser kleinen Schnipsel, mit welcher Autorin Sie sich stärker verbunden fühlen würden?)

Frage: Es ist schwierig für die Leser, sich Charaktere, die wir ja nur als ausgewachsene, komplizierte menschliche Wesen erleben, im Embryonenstadium vorzustellen. Aber so kommen sie ja nicht zur Welt. Kannst du uns etwas darüber erzählen, wie du deine Charaktere aus Streichholzfiguren in Menschen verwandelst?
Antwort: Aber das tue ich doch gar nicht. Ich weiß, dass es eine Menge weit verbreiteteter Vermutungen darüber gibt, wie Schriftsteller arbeiten, und die Vorstellung, dass man beschließt, eine bestimmte Figur zu brauchen, sie (oder ihn) mit einem Namen ausstattet und dann loslegt, Bilder von Schauspielern zu sammeln und Karteikarten mit der Lieblings-Erdnussbutter der Figur anzulegen, gehört mit Sicherheit dazu. Es ist ja auch möglich, dass manche Schriftsteller tatsächlich so arbeiten, und möge Gott ihnen beistehen, wenn es so ist – jedem das Seine, nicht wahr?
Für mich entwickeln sich die Charaktere ziemlich organisch. Ich denke mir keine Geschichte aus und füge Figuren ein; die Geschichte existiert überhaupt nur, weil genau diese Menschen ihre Bedürfnisse, Sehnsüchte und Beweggründe haben und weil sie reagieren, wenn sie sich in einer bestimmten Situation wiederfinden.
Man hört immer wieder vom Gegensatz zwischen „handlungsbetonten“ und „charakterbetonten“ Geschichten (und wieso überhaupt Gegensatz? Handlung und Charakter haben doch nichts Anthithetisches an sich.) — dabei ist die Handlung doch einfach nur das, was die Figuren TUN. Natürlich tun sie das zum Teil aufgrund der Situationen und der Umstände, in denen sie sich wiederfinden – vor allem aber tun sie das, was sie tun, weil sie die sind, die sie sind.
Für mich fallen Charaktere in eine von drei Hauptkategorien: Pilze, Zwiebeln und harte Nüsse. (Das ist übrigens keine Beschreibung ihrer Persönlichkeiten, sondern der Art und Weise, wie ich mit ihnen arbeite und sie mit mir.)
Pilze sind die sympathischen Gestalten, die unerwartet zum Leben erwachen und die Szene an sich reißen, in der sie auftauchen. Lord John Grey ist ein Pilz, genau wie Mr. Willoghby, der chinesische Dichter mit dem Fußfetisch, und Mrs. Figg, Lord Johns respekteinflößende Haushälterin. Sie reden ganz ungehemmt mit mir, und ich brauche niemals innezuhalten und mich zu fragen, was sie in einer bestimmten Situation tun würden – sie tun es einfach.
Zwiebeln sind die, deren Kern sich mir augenblicklich erschließt – doch je länger ich mit ihnen arbeite, desto vielschichtiger und damit abgerundeter und prägnanter werden sie. Jamie Fraser und Claire Randall sind beide Zwiebeln.
Harte Nüsse sind ziemlich genau das, wonach es klingt. Das sind die Menschen, die eine Geschichte „mitbringen“, statt sich organisch aus dem mentalen Kompost zu entwickeln. Historische Figuren zum Beispiel, die notwendigerweise da waren und jetzt auf zufriedenstellende Weise mit Leben erfüllt werden müssen, oder Figuren, die nur deshalb existieren, weil eine andere Figure schwanger war und mich jetzt mit einem unbekannten Kind konfrontiert. Über die historischen Figuren recherchiere ich, mit den Unbekannten lebe ich, und allmählich entwickle ich ein Gespür für sie. Doch genau wie alle anderen entwickeln sie sich erst „richtig“ im Kontext ihrer eigenen Lebensumstände.

ENDE DES ERSTEN TEILS