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Eine kurze Fußnote zum Thema Ordnungsliebe

Eine kurze Fußnote zum Thema Ordnungsliebe

Ich bin von Ihren Reaktionen auf meine Bücherregale genau so fasziniert wie Sie es von meinen Büchern und Geschichten sind. Es sieht so aus, als wären die Meinungen etwa 20 zu 1 geteilt in: „O mein Gott, das sieht ja aus wie bei mir! Ich finde es toll!“ und: „Was für ein Chaos! / Wie FINDEN Sie denn da irgendetwas? / Lassen Sie mich da mal ran, ich organisiere das für Sie!“
Ich kann beide Sichtweisen nachvollziehen — und ich bedanke mich bei den guten Seelen, die der Meinung sind, ich wäre (auf undefinierte Weise) besser dran, wenn meine Bücher alphabetisch organisiert, nach Farben sortiert, der Größe nach oder generell in einer (für sie) visuell angenehmen Formation angeordnet wären, die nichts damit zu tun hat, was tatsächlich IN den Büchern steht.
Abgesehen von meiner eigenen Meinung bezüglich einer Geisteshaltung, die Ordnung über alles schätzt, gibt es zwei Aspekte, die die Ordnung als Tugend empfehlenswert erscheinen lassen: Ästhetik und Funktionalität.
Zum Thema Ästhetik möchte ich nur anmerken, dass es Leute gibt, die Gustav Klimt mögen und Leute, die Mondrian mögen … und es dabei belassen. Ästhetik hat etwas mit der Wahrnehmung von Mustern zu tun, und Muster gibt es auch im totalen Chaos (das ist die Basis der Chaostheorie). Manche Leute mögen einfache Muster und manche mögen komplexere, und das ist ganz in Ordnung so.
Nun, Funktionalität. Also die „Wie FINDEN Sie denn da irgendetwas?“-Fraktion, die davon ausgeht, dass ich tatsächlich nichts finden kann, wenn meine Bücher nicht nach einem willkürlichen System gelagert sind, das der Beobachter ästhetisch ansprechend findet. Zugegeben, hier mische ich die beiden „Tugend“-Aspekte der Ordnung, die ja nicht unbedingt miteinander korrelieren.
Damit ein alphabetisches System nützlich und brauchbar ist, muss der Benutzer wissen, von welchem Autor das Buch stammt, das er gerade sucht. Das heißt wiederum, dass er jedes einzelne Wort in jedem verfügbaren Buch gelesen haben muss (um zu wissen, was sie beinhalten), und dass er im Kopf haben muss, welcher Autor sich mit welchen Themen befasst. Wenn ich zwanzig Bücher hätte, könnte ich es so handhaben, allerdings wäre es dann auch quasi überflüssig.
Da ich mehr als zwanzig Bücher habe, möchte ich kurz beschreiben, wie ich arbeite und wie ich Quellentexte benutze. (Das auf dem Foto ist übrigens der Kern meiner Quellensammlung. Die Bücher, die ich zum Vergnügen lese — größtenteils Romane — sind hauptsächlich alphabetisch nach Autoren sortiert, weil ich hier normalerweise nach einem bestimmten Autor suche, nicht nach einem bestimmten Inhalt. Sie sind aber anderswo gelagert, nicht in diesen Regalen.)
Wenn ich mich an einen neuen Roman herantaste (einen, den ich schreibe), fange ich an, mir bestimmte Bücher zurechtzulegen — aus der bestehenden Sammlung, aber auch neue Errungenschaften –, die vielleicht als Hintergrundwissen oder als spezifische Referenzen für das Projekt nützlich sein könnten. Diese Texte bekommen ihr eigenes Regal, dem ich gelegentlich Bücher hinzufüge, wenn mir neue Ideen kommen oder mir ein neues relevantes Buch in die Hände fällt. Ein Buch, das während der letzten Jamie-und-Claire-Bücher in diesem Regal gestanden hat, ist THE ALMANAC OF THE AMERICAN REVOLUTION. Diese hilfreiche Quelle beschreibt und listet chronologisch eine riesige Vielfalt an großen und kleinen Ereignissen auf, die während der amerikanischen Revolution stattfanden.
Ich benutze den ALMANAC nicht nur, um Daten nachzuschlagen, sondern auch, um historische Ereignisse auszusuchen, die entweder a) historisch interessant oder wichtig sind oder b) wichtig für die Personen in meiner Geschichte sind oder c) plausibel in die Geographie oder Chronologie des Buches passen.
Am Ende von „Echo der Hoffnung“ befinden sich alle Figuren des achtzehnten Jahrhunderts in Philadelphia, und es ist Mitte Juli 1778. Zwar haben 1778 viele interessante historische Ereignisse stattgefunden, viele davon allerdings entweder viel später oder nicht annähernd in der Nähe von Philadelphia. Ich könnte das neue Buch wesentlich später anfangen lassen als das vorherige aufhörte, aber durch den spektakulären dreifachen Cliffhanger am Ende von „Echo“ bin ich ziemlich darauf festgenagelt, diese Cliffhanger im nächsten Buch erst einmal aufzulösen. Also muss es da anfangen, wo „Echo“ aufgehört hat.
Was ist also Mitte Juli 1778 in und um Philadelphia passiert? Dem ALMANAC zufolge drei sehr interessante Dinge: 1) Am 15. Juli beginnen die britischen Besatzungstruppen mit dem Rückzug aus Philadelphia. 2) Am 18. Juli wird Benedict Arnold Kommandeur der Kontinentalarmee. 3) Am 28. Juli findet die Schlacht von Monmouth in der Nähe von Philadelphia statt (jedenfalls nicht weit weg).
Diese Ereignisse kann ich alle für meine Zwecke nutzen. Ich muss also für die Arbeit ein paar Dinge wissen. Ich muss wissen, wer der Oberbefehlshaber der britischen Streitkräfte in Philadelphia war, muss seinen Charakter und Werdegang kennen und (sofern möglich) wissen, wie er aussah. Ich muss wissen, ob Benedict Arnold noch im politischen Aufstieg oder schon im Abstieg begriffen war. Und über die Schlacht von Monmouth muss ich Folgendes wissen: Wie sah die Gefechtsordnung aus, welche wichtigen historischen Persönlichkeiten waren anwesend, und wie ist die Schlacht ausgegangen?
Beginnen wir mit der Schlacht. Eins meiner Recherche-Regale enthält ein Buch mit gelbem Einband, auf dem deutlich lesbar „BATTLES“ steht. Ich weiß nicht, wer dieses Buch geschrieben hat, das ist auch unwichtig. Wichtig ist, dass es sich um eine Enzyklopädie historischer Schlachten handelt. Es ist außerdem wichtig, dass sie bei fünf weiteren Schlacht-Enzyklopädien steht. Und sie steht in DIESEM Regal, weil ich dort meine allgemeine Militärliteratur aufbewahre — Schlacht-Enzyklopädien, Abhandlungen über Waffen und Artillerie-Techniken, „Men at War“-Bücher, die die Geschichte und Ausrüstung wichtiger Regimenter beschreiben, einen Roman über die Belagerung von Havanna, zwei Bücher über Duelle, und THE MILITARY EXPERIENCE IN THE AGE OF REASON (eine Übersicht über militärische Strukturen und Operationen in ganz Europa im achtzehnten Jahrhundert). Wenn ich also allgemeine Informationen über eine Schlacht brauche (wo sie war, was passiert ist, wer gekämpft und wer gewonnen hat), gehe ich an dieses Regal.
Ich habe auch Bücher, die sich genauer mit der amerikanischen Revolution befassen, und ich habe ein paar sehr detaillierte Bücher mit Karten und umfangreichen Beschreibungen der Schlacht von Monmouth, aber es bringt nichts, sie alle zu lesen, solange ich nicht beschließe, diese Schlacht tatsächlich zu benutzen. Also beginne ich mit allgemeineren Quellen, die mir unter anderem sagen dass General Washington die amerikanischen Truppen befehligte. Wie cool! Noch sind Jamie und Claire George Washington nicht begegnet, aber das könnte eine gute Gelegenheit sein.
Falls also sagen wir … Jamie George Washington treffen soll, was muss ich (als seine Amanuensis) über George Washington wissen? Ich muss wissen, wie er aussieht, was er für ein Mensch ist und wie er redet. Wo finde ich diese Informationen? Nun, seine Augenfarbe habe ich herausgefunden, indem ich sie gegoogelt habe, aber andere, genauere Informationen stehen in „ANGEL IN THE WHIRLWIND“, einer hervorragenden Biografie von George Washington … von einem Autor, dessen Namen ich nicht kenne und auch nicht kennen muss, weil ich genau weiß wo dieses Buch steht.

Vide: (Auszug aus Buch Acht)
Jamie folgte Dan geduckt durch die Tür und fand sich in einem dunklen, schäbigen Zimmer wieder, in dem es beißend nach Kohlbrühe, Schmutz und Urin roch. Es hatte ein Fenster, dessen Läden offen standen, um Luft einzulassen, und das einfallende Sonnenlicht umriss den kurz geschorenen Kopf eines kräftigen Mannes, der am Tisch saß und den Kopf hob, als sich die Tür öffnete.
„General Morgan“, sagte er mit leiser Stimme, in der ein Hauch von Virginia-Akzent mitschwang. „Bringt Ihr gute Nachrichten mit?“
„So ist es“, sagte der alte Dan und schob Jamie vor sich her auf den Tisch zu. „Diesen Gauner hier habe ich unterwegs getroffen und ihn gebeten mitzukommen. Das ist Oberst Fraser, von dem ich Euch erzählt habe. Gerade zurück aus Schottland und genau der Mann, den Ihr braucht.“
Der kräftige Mann hatte sich vom Tisch erhoben und streckte lächelnd die Hand aus – obwohl er mit fest aufeinander gepressten Lippen lächelte, als hätte er Angst, dass etwas entweichen könnte. Der Mann war genau so groß wie Jamie, und dieser sah sich scharfen grauen Augen gegenüber, die ihn genau so schnell eingeschätzt hatten wie der Händedruck dauerte.
„George Washington“, sagte der Mann. „Euer Diener, Sir.“
„James Fraser“, sagte Jamie hinreichend verblüfft. „Euer … gehorsamster Diener. Sir.“
„Setzt Euch zu mir, Oberst Fraser.“ Der Mann aus Virginia wies auf eine der grob gezimmerten Bänke am Tisch. „Mein Pferd ist lahm geworden, und mein Sklave ist unterwegs, um mir ein anderes zu suchen. Keine Ahnung, wie lange es dauern wird, weil ich ein kräftiges Tier brauche, das mein Gewicht tragen kann, und davon gibt es dieser Tage nicht viele.“ Er betrachtete Jamie unverblümt von Kopf bis Fuß; sie hatten dieselbe Körpergröße. „Ihr habt nicht zufällig ein anständiges Pferd dabei, Sir?“

OK. Zurück zur ursprünglichen Frage. Es führt kein Weg daran vorbei, dass ich genau herausfinde, wie es um Benedict Arnold bestellt war, als er den Posten des militärischen Befehlshabers von Philadelphia annahm. Gut. Im „Kern“-Regal steht BENEDICT ARNOLD, eine sehr detaillierte, hervorragende Biografie, deren Autor ich herausfinden könnte, indem ich auf dem Einband nachsehe, aber mir ist egal, wer sie geschrieben hat, solange ich es nur finden kann, wenn ich es brauche.

Vide: (Auszug aus Buch Acht)
Ich dachte, ich würde es ungestört bis zum Stall schaffen, doch an der Ecke der Market und der Seventh Street rief mich eine vertraute Stimme aus einem Kutschenfenster an.
„Mrs. Fraser? Oh, Mrs. Fraser!“
Ich blickte verblüfft auf und sah Benedict Arnolds hakennasiges Gesicht auf mich herunter lächeln. Seine normalerweise wohlgenährten Gesichtszüge waren eingefallen und zerfurcht, und seine rosige Gesichtsfarbe war der Blässe eines Stubenhockers gewichen, doch er war es unverkennbar.
„Oh!“, sagte ich mit einer hastigen Verneigung. „Wie schön Euch zu sehen, General!“
Mein Herz schlug schneller. Ich hatte von Denny Hunter gehört, dass man Arnold zum Militärgouverneur von Philadelphia ernannt hatte, doch ich hatte nicht damit gerechnet, ihn so schnell zu Gesicht zu bekommen – falls überhaupt.
Ich hätte es dabei belassen sollen, doch ich musste einfach fragen: „Wie geht es dem Bein?“ Ich wusste, dass er in Saratoga schwer verwundet worden war – ein Schuss in das Bein, das erst vor Kurzem verletzt und dann übel zugerichtet worden war, als sein Pferd bei der Erstürmung von Breymanns Schanze gemeinsam mit ihm gestürzt war –, doch ich hatte ihn dort nicht gesehen. Die Armeeärzte hatten sich um ihn gekümmert, und nach allem, was ich über ihre Arbeitsweise wusste, überraschte es mich sehr, dass er nicht nur überlebt hatte, sondern auch noch zwei Beine besaß. Ein Schatten überzog sein Gesicht, doch er lächelte weiter.
„Immer noch an Ort und Stelle, Mrs. Fraser. Wenn auch zwei Zoll kürzer als das andere. Wohin des Weges?“ Er blickte automatisch hinter mich und registrierte zwar, dass ich ohne Dienstmagd oder sonstige Begleiter unterwegs war, doch er wusste – und schätzte –, wer und was ich war. Ich wusste auch, was er war – und was er werden würde.
Das Dumme daran war, dass ich den Mann mochte.

Und so ist es kein Zufall, dass sowohl der ALMANAC als auch ANGEL IN THE WHIRLWIND und BENEDICT ARNOLD berichten, dass General Clinton zum Zeitpunkt des Rückzugs das Kommando über die Britischen Truppen in Philadelphia übernommen hatte, sondern es liegt in der Tatsache begündet, dass sich historische Ereignisse nun einmal zu logischen Zusammenhängen fügen, wenn man im Nachhinein darüber schreibt. In der guten Wikipedia finde ich ein Porträt Clintons und sein Geburtsdatum (also weiß ich, wie alt er 1778 war. Er war 48, falls Sie es wissen möchten. Alt genug um Claire höchst charmant zu finden).
Wenn also Claire — aus logistischen Gründen muss es Claire sein — mit General Clinton sprechen soll, muss ich noch ein paar andere Dinge wissen. Zum Beispiel was sie anhaben und wie sie den Weg zurücklegen würde. Die untere Ebene meiner zweiten Regal-“Bucht“ beinhaltet die großen, bebilderten Bücher über historische Kleidung, während sich DRESS IN 18th CENTURY EUROPE bei den allgemeinen Büchern über Gesellschaft und Kultur in England/Europa befindet, die wiederum direkt rechts den Schlachten-Enzyklopädien stehen.

Vide: (Auszug aus Buch Acht)
Bis wir mein Haar einigermaßen zur Ordnung gebracht, in ein Netz gezwängt und anständig unter einem breitkrempigen Stohhut festgesteckt hatten, hatte ich zumindest eine grobe Ahnung, was ich General Clinton erzählen würde. Immer so dicht wie möglich bei der Wahrheit bleiben. Das war das erste Prinzip der erfolgreichen Lüge, auch wenn es schon einige Zeit her war, dass ich es zuletzt hatte anwenden müssen.
Nun denn. Es war ein Bote für Lord John gekommen – das stimmte – und hatte einen Brief überbracht – ditto. Ich hatte keine Ahnung, was in dem Brief stand – die reine Wahrheit. Daraufhin hatte Lord John mit dem Boten das Haus verlassen, ohne mir jedoch zu sagen, wohin sie wollten. Im Prinzip ebenfalls wahr, abgesehen von der einen Abweichung, dass es ein anderer Bote gewesen war. Nein, ich hatte nicht gesehen, in welche Richtung sie gegangen waren; nein, ich wusste nicht, ob sie zu Fuß gegangen oder geritten waren – Lord Johns Pferd war in Davison’s Mietstall an der Walnut Street einquartiert, zwei Häuserblocks entfernt.
Das klang gut. Falls General Clinton Erkundigungen einholte, war ich mir hinreichend sicher, dass er das Pferd in seinem Stall vorfinden und daraus schließen würde, dass sich Lord John irgendwo in der Stadt aufhielt. Außerdem würde er wahrscheinlich das Interesse an mir als Informationsquelle verlieren und Soldaten zu den Orten schicken, die ein Mann wie Lord John vermutlich aufsuchen mochte.
Und mit einem winzigen bisschen Glück würde Lord John wieder da sein, wenn der General die Möglichkeiten erschöpft hatte, die sich in Philadelphia boten, und dann konnte er seine verdammten Fragen selbst beantworten.

Begreifen Sie allmählich, wie es funktioniert? Für mich jedenfalls. Ich vermute, die ordnungsbegabteren Verfasser historischer Romane verbringen Jahre damit, sich durch ihre Quellen zu wühlen und Informationsfitzel auf Karteikarten zu schreiben (oder in ein elektronisches Äquivalent einzugeben), damit sie jederzeit „Frauenkleidung“, „Schlachten der Revolution“, „George Washington, Erscheinung“ und Ähnliches nachschlagen können.
Wenn das zu ihrer Arbeitsweise passt, super. Alles was hilft, Worte zu Papier zu bringen, ist genau das, was man tun sollte. Und SO mache ich es nun einmal.