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Ein Wort spricht Bände – über die Themen der „Outlander“-Bücher

Ein Wort spricht Bände – über die Themen der „Outlander“-Bücher

 

Bücher schreiben sich nicht von allein, wie Ihnen jeder sagen kann, der schon einmal versucht hat, eins zu schreiben. Und wenn es ein Geheimnis beim Schreiben gibt – ganz gleich, ob Romane, Sachbücher, Drehbücher, Grußkarten, Gedichte, Grabinschriften –, ist es dies: Die einzige Art zu schreiben ist, ein Wort an das andere zu reihen. Das ist entweder beruhigend oder absolut grauenerregend, je nachdem, wie man es betrachtet, aber es ist die Wahrheit.

Doch wie Ihnen jeder, der Bücher schreibt, darüber hinaus sagen kann, haben Bücher ihren eigenen Willen und ihre eigene Stimme. Und man hat dann ein gelungenes Buch, wenn es mit dem Leser spricht.

Das Interessante ist, dass sie auch mit dem Autoren sprechen. (Manche Schriftsteller sind der irrigen Meinung, dass sie das Heft in der Hand haben. Vielleicht wissen sie ja mehr als ich.)

Wenn Sie in der Schule Deutsch hatten, hat man Sie dort bestimmt auch gezwungen, das Thema eines Romans zu erkennen und zu erläutern. Das ist zwar furchtbar langweilig, möglicherweise aber hilfreich für Menschen, die noch nie von einem Thema gehört haben. (Ich bin ehrlich gesagt der Meinung, dass Sie es, wenn Sie viel lesen, von selber erkennen werden, und dass sich, wenn Sie ohnehin nicht gern lesen, an Ihrer Aversion vermutlich auch dann nichts ändern wird, wenn man Sie zwingt, nach den Themen von Büchern zu suchen, die Sie sowieso nicht mögen.)

Für einen Schriftsteller ist die allgemeine Idee eines Themas allerdings bisweilen hilfreich, weil sie sowohl den Inhalt als auch die Anordnung der Geschichte beeinflusst. Nicht immer – oder noch nicht einmal häufig – bewusst, aber sie ist da. Und wenn Sie Ihr Buch weitgehend fertig haben, sollten Sie wirklich imstande sein, zu erklären, was sein Thema ist, wenn jemand Sie danach fragt.

Ich habe mir eigentlich lange keine Gedanken über die Themen meiner Bücher gemacht, doch dann wurde ich in einem Interview für NPR (National Public Radio, ähnlich den Öffentlich Rechtlichen in Deutschland) gefragt, ob ich das Buch, von dem gerade die Rede war, mit einem Satz zusammenfassen könnte – und mir wurde klar, dass ich das Thema jedes Buches sogar mit einem einzigen Wort ausdrücken konnte.

Und zwar:

 

Feuer und Stein – Liebe

Meine Bücher werden zwar oft (von Lesern, die keine Worte dafür finden, wie sie sie nennen sollen) als Liebesromane bezeichnet, aber das sind sie nicht. Tatsächlich ist Feuer und Stein das einzige Buch, das zumindest die nötige Struktur hat, um als Liebesroman durchzugehen. Das heißt, im Kern erzählt es davon, wie sich zwei Menschen zu einer (theoretisch) dauerhaften Bindung zusammenfinden. Doch auch darüber hinaus befasst es sich auf diversen Ebenen und in diversen Zusammenhängen mit der Natur der Liebe.

Da ist Claires Konflikt, weil sie zwei Männer liebt (und zwar aufrichtig). Da ist Jamies Liebe zu seinem Vater, seiner Schwester, dem Ort, an dem er aufgewachsen ist, und Murtaghs Liebe zu seinem Patensohn. Da ist die konflikterfüllte Liebe zwischen den MacKenzie-Brüdern. Da ist die Liebe der Clanmitglieder zueinander, zu ihrem Anführer und ihrer Heimat. Da ist Jack Randalls außerordentlich komplizierte Gefühlswelt – ob das jedoch auch Liebe ist oder pure Besessenheit, muss der Leser selbst entscheiden. Und da ist die Liebe Gottes, auf die Claire in der tiefsten Verzweiflung mehr oder minder zufällig stößt. Doch so gut wie sämtliche Beziehungen in diesem Buch beruhen auf Liebe, und die gesamte Geschichte ist ein Zeugnis für die Macht der Liebe.

 

Die geliehene Zeit – Ehe

Dieses Buch folgt zwar vor allem der Entwicklung einer bestimmten Ehe – zwischen Jamie und Claire –, doch es nimmt dabei auch diverse andere Beziehungen und Arrangements in Augenschein, die diesen Begriff weiter untersuchen. Da ist die arrangierte Ehe zwischen Mary Hawkins und dem betagten, unansehnlichen Vicomte Marigny. Da sind die lieblosen, aber pragmatischen Ehen zwischen Klasse und persönlichem Vorteil am französischen Hof und die beiläufigen, egoistischen Affären, die in solch großem Kontrast zu der Hingabe und Selbstlosigkeit stehen, die der Kern einer guten Ehe sind. Später sehen wir die hoffnungslose Liebe zwischen Mary und Alex Randall – und die pragmatische Ehe zwischen ihr und Jack Randall (deren Grundlage Jacks Liebe zu seinem Bruder ist, nicht zu Mary). Wir sehen die Schuldgefühle einer zusammengeflickten Ehe, als Claire ihre Ehe mit Frank fortsetzt, und den Frieden einer dauerhaften, von tiefer Hingabe erfüllten Ehe zwischen Jenny und Ian in Lallybroch – und wir erkennen die zahlreichen Bedrohungen, denen diese Beziehungen ausgesetzt sind, und sehen, wie Menschen eine Ehe aufrechterhalten – oder auch nicht.

 

Ferne Ufer – Identität

„Ferne Ufer“ ist voller Abenteuer, voller wechselnder Schauplätze und Zeitebenen, voller Figuren, die nach ihrer Bestimmung suchen, und so weiter. Doch das grundlegende Thema ist die Suche der Figuren nach der eigenen Identität, die Frage, was sie ausmacht, in ihren eigenen Augen, in den Augen des anderen oder denen der Gesellschaft. Was macht sie aus – ihre Ehe, ihr Beruf, ihre Berufung oder ihr inneres, essentielles Wesen? Darauf geht Jamies und Claires Geschichte natürlich am deutlichsten ein – zunächst, als sie nach dem Ehemann sucht, den sie verloren und nach dem sie sich gesehnt hat, dann während ihrer gemeinsamen Suche nach einem Ort, an dem sie sicher vor Anker gehen und miteinander überleben können.

Die fortlaufende Metapher dafür sind ihre Namen: Jamie hat fünf Stück zur Auswahl, plus diverse Spitznamen, und er lebt im Verlauf des Buches unter einer ganzen Reihe von Decknamen, je nachdem, welche Rolle er gerade spielt und wer hinter ihm her ist. Claire hat natürlich von Beauchamp zu Randall zu Fraser zu Randall gewechselt und ist jetzt erneut im Begriff, Mrs. Fraser zu werden – oder ist es Mrs. Malcolm? Oder vielleicht Madame Etienne Marcel de Provac Alexandre? (Ein Symbol dafür, dass ihr Schicksal mit Jamies verschmilzt, aye?) Wie Jamie im Verlauf des Buches zu Claire sagt:

„So viele Jahre“, sagte er, „so lange Zeit bin ich so vieles gewesen, so viele unterschiedliche Männer.“ Ich spürte, wie er schluckte, und er legte sich vorsichtig anders hin, so dass das gestärkte Leinen seines Nachthemds raschelte.

„Ich war der Onkel für Jennys Kinder, der Bruder für sie und Ian. ‚Milord‘ für Fergus und ‚Sir‘ für meine Pächter. ‚Mac Dubh‘ für die Männer in Ardsmuir und ‚MacKenzie‘ für die anderen Dienstboten in Helwater. Dann wiederum ‚Malcolm, der Drucker‘ und ‚Jamie Roy‘ auf den Docks.“ Die Hand strich mir langsam über das Haar, und es flüsterte leise wie der Wind im Freien. „Aber hier“, sagte er so leise, dass ich ihn kaum hören konnte, „hier bei dir in der Dunkelheit … habe ich keinen Namen.“

Eine Rolle nach der anderen nehmen die beiden an und legen sie wieder ab, während es sie von einem Bordell in Edinburgh nach Lallybroch, in die Karibik und schließlich als Schiffbrüchige infolge eines Hurrikans an die Gestade Amerikas verschlägt. Dort sind sie aller Attribute beraubt und haben nur noch einander, und endlich nimmt Jamie seine eigene Identität wieder an und gibt sie auch bekannt, als er sich einem Retter vorstellt: „Mein Name ist Jamie Fraser … Und dies ist Claire … meine Frau.“

 

Der Ruf der Trommel – Familie

So wie es in „Die geliehene Zeit“ um den Beginn und die weitere Entwicklung einer Ehe geht, so geht es in Der Ruf der Trommel um den Begriff der Familie und ihre Bedeutung für das Leben der Menschen. Dabei ist einer der wichtigsten Gedanken – der sich durch alle Bücher zieht –, dass eine Familie nicht nur aus Menschen besteht, die dieselbe DNA haben und dass eine Familie auch dann nicht an Bedeutung verliert, wenn ihre Mitglieder voneinander getrennt werden oder sterben.  Als sich Jamie und Claire in North Carolina niederlassen, zählen Fergus und Marsali zu ihrer Familie, deren Sohn Germain und Jamies Neffe Ian – aber genauso auch Brianna, die Tochter, der Jamie noch nie begegnet ist.

Unterdessen bringt der Schock, die Wahrheit über ihre Abstammung zu erfahren, besagte Tochter dazu, ihre Familie zu suchen und alles zu riskieren, um sie zu retten, während Roger MacKenzie Wakefield (ein geborener MacKenzie, der von seinem Großonkel adoptiert wurde) alles für sie riskiert – und ebenfalls ein Teil ihrer Familie wird, gemeinsam mit ihrem Kind Jeremiah (vielleicht Rogers Sohn, vielleicht auch nicht, doch Roger erklärt ihn unbeirrt dazu.)

Wie Brianna in ihrem Brief an Roger schreibt, den sie ihrem Familiensilber, den Fotos und Erinnerungsstücken beifügt: „Jeder braucht eine Geschichte … Dies ist meine …“

 

Das flammende Kreuz – Gemeinschaft

„Das flammende Kreuz“ baut weiter auf dem Fundament der anderen Bücher auf, von der Liebesgeschichte zur dauerhaften Ehe zur Familie und jetzt zur Gründung eines sozialen Gefüges, als Jamie seine Bestimmung als Anführer wieder aufnimmt, als Ernährer und Beschützer einer Gemeinschaft. Wir haben schon gesehen, wie er diese Rolle in Lallybroch (kurze Zeit) ausgefüllt hat und dann in den Jahren nach der Schlacht von Culloden, als er der Anführer der Gefangenen in Ardsmuir war und sie (weitgehend) seelisch und körperlich gesund erhalten hat, indem er sie zu einer Gemeinschaft zusammenschweißte. Jamie wird von Anfang an (sich selbst und dem Leser gegenüber) durch sein großes Verantwortungsgefühl definiert. Und dieses sehen wir hier in voller Entfaltung, als er mit Hilfe der (und manchmal unter haarsträubender Behinderung durch die) Zeitreisenden in seiner Familie auf seinem Land in Fraser’s Ridge Pächter um sich sammelt.

Wie in jeder lesenswerten Geschichte ist die Selbstfindung eines Protagonisten (ob dies eine einzelne Person ist oder eine Gruppe) ein Prozess der Entdeckung und der Konflikte. Stolpersteine, Gegner und Gefahren sind die Werkzeuge, mit deren Hilfe die Natur eine faszinierende Persönlichkeit aus dem ursprünglichen Stein meißelt. Und so sehen wir nicht nur die Entstehung der Gemeinschaft von Fraser’s Ridge (als Parallele und Mikrokosmos der Entstehung Amerikas), sondern auch, wie Jamie, Claire, Brianna, Roger und andere persönlich darum ringen, in ihrer sich verändernden Umgebung zurechtzukommen und dabei ihre Identität zu wahren und ihre Berufung zu finden.

 

Ein Hauch von Schnee und Asche – Loyalität

Ich bin ja versucht zu sagen, dass das thematische Wort für dieses Buch „Überleben“ ist, aber die Mittel und Methoden, mit denen so viele Menschen die Launen einer Welt überleben, die rasant aus den Angeln gerät, sind, glaube ich, eigentlich ein besseres Thema. In diesem Fall geht es vor allem um Claires und Jamies tiefe Loyalität zueinander und zu ihrer Familie. Doch darüber hinaus ist die Loyalität zu Idealen und Ideen zu diesem Zeitpunkt ein wichtiges Thema in der Geschichte Amerikas, und der Konflikt zwischen diesen Loyalitäten ist paradoxerweise sowohl der Grund der gesellschaftlichen Brüche als auch der Überlebensmechanismus, wenn die Welt aus den Fugen gerät.

Wir stoßen aber auch auf andere Formen der Loyalität – die Loyalität der Gier und der Selbsterhaltung in Browns Bande und unter Hodgepiles Marodeuren; die Loyalität zu Traditionen und Anführern unter den Cherokee, die Loyalität zu König, Vaterland und Regiment, die John Greys Charakter prägt – und die Loyalität der Freundschaft zwischen Lord John und Jamie.

Und schließlich sehen wir die Loyalität und Liebe von Eltern, die um ihrer Kinder und der Zukunft willen jedes Opfer bringen.

 

Echo der Hoffnung – Nexus

Das Symbol auf der amerikanischen (und der deutschen) Originalausgabe dieses Buches ist ein Krähenfuß – eine Militärwaffe, die bis in die Römerzeit zurückdatiert. Die Grafik auf der englischen Ausgabe ist ein wunderschönes Blattskelett – was einerseits die Überlegenheit der Grafik-Abteilung bei Orion gegenüber meinen eigenen künstlerischen Instinkten beweist, andererseits aber dasselbe Konzept illustriert: Die komplexen, zerbrechlichen Verbindungen zwischen den Menschen, den Zeiten und den Umständen.

Das Buch folgt vier hauptsächlichen Handlungsfäden, die mal auf bedeutende, mal auf weniger bedeutende Weise miteinander verbunden sind und – je nachdem, welches Titelbild Sie bevorzugen – die Bedeutung und Widerstandskraft solcher Verbindungen in Zeiten des Krieges und persönlicher Konflikte demonstrieren oder die nährenden, stützenden Adern zwischen den Menschen zeigen, die diese allen Unbilden zum Trotz an Körper und Seele gesund erhalten.

Wie bei Ein Hauch von Schnee und Asche habe ich auch hier ein anderes Themenwort in Betracht gezogen – in diesem Fall „Sterblichkeit“. Nicht den Tod als solchen, sondern die Erkenntnis, dass das Leben endlich ist, und wie diese Erkenntnis auf die Menschen wirkt. Allerdings wäre es deutlich schwieriger gewesen, dies als Cover-Illustration umzusetzen.

 

Ein Schatten von Verrat und Liebe – Vergebung

Da das Wort für Echo „Nexus“ ist, rechnet der aufmerksame Leser jetzt vermutlich damit, dass das Wort für dieses Buch „Spaghetti“ ist – oder vielleicht auch „Oktopus“. So ist es aber nicht; das Wort ist „Vergebung“ – und zwar sowohl, wenn dieser Balsam gewährt, als auch wenn er verweigert wird – und wie diese Gabe oder ihre Verweigerung jeweils auf den Gebenden und den Empfänger wirkt.

Alle Hauptfiguren bekommen damit zu tun – vor allem in Form von Williams Reaktion auf die Enthüllung, wer sein wahrer Vater ist, und von Claires Bemühungen, die Begegnung mit dem Mann zu verarbeiten, der sie vergewaltigt hat, sowie ihrer Reaktion auf das, was Jamie in dieser Sache unternimmt. Wir sehen es aber auch in weniger zentralen Passagen, in denen es um Nebenfiguren geht: Mrs. Bradshaw und die Sklavin Sophronia zum Beispiel. Mrs. Bradshaw demonstriert tapfere Entschlossenheit, dem Mädchen zu helfen (und ihr damit zu vergeben, was eine weniger großmütige Frau als Komplizentum beim Ehebruch ihres Mannes betrachten könnte), obwohl sie nicht imstande ist, ihrem Mann zu vergeben (was ja auch kein Wunder ist!), und es ist nicht zu übersehen, was für einen inneren Kampf ihr diese Situation abverlangt.

Rachel vergibt Ian auf der Stelle, als er ihr gesteht, dass er schon einmal verheiratet gewesen ist und dass er Angst hat, ihr möglicherweise keine Kinder schenken zu können.

Jamie vergibt es Claire und – widerstrebend – Lord John, dass sie miteinander geschlafen haben, als sie ihn für tot hielten. Doch er kann sich nicht dazu durchringen, Lord John das unverblümte Eingeständnis zu vergeben, dass er Jamie begehrt.

Claire vergibt Jenny, der Schwägerin, die sie einst innig geliebt hat, auf der Stelle. Jenny weigert sich standhaft, Hal zu vergeben, dem Kommandeur der Männer, die ihrer Familie Leid zugefügt und zum Tod ihres Mannes beigetragen haben. Doch sie ist für Claire da, als diese begreifen muss, dass ihr Vergewaltiger noch lebt – und sie erzählt ihr von den Erlebnissen ihrer Tochter.

Buck MacKenzie kann sich selbst die Art nicht vergeben, wie er seine Frau im Stich gelassen hat. Roger vergibt ihm ausdrücklich dafür, dass er geholfen hat, Roger an den Galgen zu bringen – doch er erlebt auch den Bumerang-Effekt der Vergebung, als das Gefühl der Verletzung zurückkehrt und erneut verarbeitet werden muss.

Fanny vergibt William und Jamie, denen es nicht gelungen ist, Jane zu retten. Doch es ist nicht zu übersehen, dass sie selbst es sich nicht vergeben und noch lange mit den Nachwirkungen leben werden.

Vermutlich ist „Spaghetti“ doch das richtige Wort …

 

P.S. Bitte verlinkt auf diesen Text, aber kopiert ihn nicht. Wenn er Euch gefallen hat: Er stammt aus dem Begleitbuch „Die Welt von Outlander“, das als wunderschönes Hardcover im Knaur Verlag erschienen ist – und wo er komplett mit zahlreichen Fußnoten abgedruckt ist 🙂