dianagabaldon.com dianagabaldon.com

Der zweite Advent: Rorate Caeli

Der zweite Advent: Rorate Caeli

Aus „Outlander – Feuer und Stein“, Kapitel 25, „Die Hexen sollt ihr nicht am Leben lassen“

Lange hielten wir uns einfach nur fest, ohne etwas zu sagen. Schließlich murmelte er „Warum?“ und hielt seinen Mund in meinem Haar vergraben.
Ich küsste seine Wange, feucht und salzig. Ich konnte sein Herz an meine Rippen schlagen spüren und wünschte mir nichts mehr als immer dort zu bleiben, reglos, ohne uns zu liebkosen, einfach nur dieselbe Luft zu atmen.
„Ich konnte nicht anders“, sagte ich. Ich lachte ein bisschen wackelig. „Du hast ja keine Ahnung, wie knapp es war. Die heiße Badewanne hätte fast gewonnen.“ Und dann weinte ich und zitterte ein wenig, weil die Entscheidung noch so frisch war, und weil sich mein Glück über den Mann, den ich in meinen Armen hielt, mit dem brennenden Schmerz um den Mann vermisste, den ich nie wiedersehen würde.
Jamie hielt mich mit seinem ganzen Gewicht fest, als wollte er mich beschützen, mich davor behüten, vom brüllenden Sog des Steinkreises fortgerissen zu werden. Irgendwann hatte ich all meine Tränen vergossen, und ich lag erschöpft mit dem Kopf an seiner Brust, die mir Sicherheit gab. Inzwischen war es völlig dunkel, doch er hielt mich immer noch fest und murmelte leise auf mich ein, als hätte ich Angst vor der Dunkelheit. Wir klammerten uns aneinander, und keiner wollte den anderen auch nur so lange loslassen, wie es gedauert hätte, eine Kerze anzuzünden oder Feuer zu machen.
Schließlich erhob sich Jamie und trug mich zur Kaminbank, wo er sich hinsetzte und mich auf dem Schoß hielt. Die Tür der Kate stand immer noch offen, und wir konnten sehen, wie die Sterne über dem Tal zu brennen begannen.
„Wusstest du“, sagte ich schläfrig, „dass es Tausende und Abertausende von Jahren dauert, bis uns das Licht der Sterne erreicht? Es kann sogar sein, dass einige der Sterne, die wir sehen, längst tot sind, wir es aber nicht wissen, weil wir ihr Licht noch sehen.“
„Ist das so?“, antwortete er und streichelte meinen Rücken. „Das wusste ich nicht.“ Ich muss mit dem Kopf an seiner Schulter eingeschlafen sein, erwachte aber kurz, als er mich sanft auf den Boden legte, auf ein Bett aus Decken, die das Pferd am Sattel trug. Er legte sich neben mich und zog mich wieder an sich.
„Leg den Kopf an mich, mein Herz“, flüsterte er. „Morgen gehen wir heim.“

Aus „Ein Schatten von Verrat und Liebe“, Kapitel 118, „Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik“

„Nicht der Tod“, sagte ich schließlich und schniefte. „Sinnlosigkeit. Nutzlosigkeit. Verdammte Entropie. Der Tod zählt, zumindest manchmal.“
„Das weiß ich“, sagte Jamie leise und nahm meine Hände in die seinen; sie waren groß und vom Leben gezeichnet, narbig und verstümmelt. „Das ist der Grund, warum ein Krieger den Tod nicht fürchtet, nicht so sehr – er hat die Hoffnung, dass sein Tod etwas bedeuten wird. Manchmal sogar die Gewissheit.“
Was mit mir geschieht, zwischen dieser Stunde und jener, bedeutet niemandem etwas.
Diese Worte kamen aus dem Nichts angeschwebt und trafen mich mit solcher Wucht in die Magengrube, dass ich kaum atmen konnte. Er hatte das zu mir gesagt, am Boden der Verzweiflung, im Kerkerverlies von Wentworth, vor einer Ewigkeit. Er hatte damals um mein Leben gefeilscht, mit dem, was er noch hatte – nicht mit seinem Leben, das bereits verwirkt war, sondern seiner Seele.
Mir bedeutet es etwas!, hatte ich zu ihm gesagt – und hatte das Unwahrscheinliche vollbracht, seine Seele ausgelöst und ihn zurück geholt.
Und dann war sie erneut gekommen, die nackte, düstere Notwendigkeit, und er hatte sein Leben ohne Zögern aufgegeben, für seine Männer und für das Kind, das ich trug. Und diesmal war ich diejenige gewesen, die ihre Seele geopfert hatte. Und es hatte etwas bedeutet, für mich und für ihn.
Es bedeutete immer noch etwas. Und die Schale aus Angst barst wie ein Ei, und alles in mir floss heraus wie Blut und Wasser, und ich schluchzte an seiner Brust, bis ich keine Tränen und keinen Atem mehr hatte. Ich lehnte mich an ihn, erschlafft wie ein Wischtuch, und sah zu, wie im Osten der Sichelmond aufging.
„Was hast du gesagt?“, sagte ich, als ich mich nach langer Zeit aufraffte. Ich fühlte mich erschöpft und desorientiert, aber friedvoll.
„Ich habe gefragt, was Entropie ist?“
„Oh“, sagte ich, im ersten Moment verdutzt. Wann war die Idee der Entropie entstanden? Jetzt offenbar noch nicht … „Es ist … äh … das Fehlen einer Ordnung, das Fehlen jeder Vorhersehbarkeit, so dass ein System nicht funktionieren kann.“
„Was denn für ein System?“
„Tja, jetzt hast du mich erwischt“, gab ich zu. Ich setzte mich auf und wischte mir die Nase ab. „Einfach nur ein ideales System, dem durch Hitze Energie zugefügt wird. Der Zweite Hauptsatz der Thermodynamik besagt mehr oder weniger, dass die Entropie in einem isolierten System – das heißt einem System, das keine Energie von außen zugeführt bekommt – ständig zunehmen wird. Ich denke, es ist nur eine wissenschaftliche Formulierung dafür, dass alles unentwegt vor die Hunde geht.“
Er lachte, und trotz meiner Erschütterung lachte ich mit.
„Aye, nun ja, wer bin ich, dass ich dem Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik widersprechen würde“, sagte er. „Bestimmt ist er richtig. Wann hast du zuletzt etwas gegessen, Sassenach?“
„Ich weiß es nicht“, sagte ich. „Ich habe keinen Hunger.“ Am liebsten hätte ich nichts anderes getan als neben ihm still zu sitzen.
„Siehst du den Himmel?“, sagte er ein wenig später. Am Horizont war er tief violett, das über uns in schwarzblaue Unermesslichkeit überging, und die ersten Sterne brannten wie ferne Lampen.
„Schwer zu übersehen“, sagte ich.
„Aye.“ Er saß da, den Kopf in den Nacken gelegt, und blickte auf, und ich bewunderte die klare Linie seiner langen, geraden Nase, seinen sanften breiten Mund und den langen Hals, als sähe ich sie zum ersten Mal.
„Herrscht dort oben nicht Leere?“, sagte er leise, ohne den Blick zu senken. „Und doch fürchten wir uns nicht, hinauf zu schauen.“
„Dort sind Lichter“, sagte ich. „Das ist etwas anderes.“ Meine Stimme war heiser, und ich schluckte. „Obwohl dem Zweiten Hauptsatz zufolge vermutlich auch die Sterne dabei sind auszubrennen.“
„Mmpfm. Nun, die Menschen können Sätze erfinden, wie sie mögen“, sagte er, „doch Gott hat die Hoffnung gemacht. Die Sterne werden nicht ausbrennen.“ Er wandte sich mir zu, umfasste mein Kinn und küsste mich sanft. „Und wir auch nicht.“

© 2014 Diana Gabaldon, Barbara Schnell / Droemer Knaur Verlag, Blanvalet Verlag. Bitte verlinkt auf diesen Beitrag, aber kopiert ihn nicht. Danke!