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Der vierte Advent: Ein Kind ist uns geboren

Der vierte Advent: Ein Kind ist uns geboren

Aus: ECHO DER HOFFNUNG, Kapitel 11, Schräglage

Jetzt konnten wir nur noch abwarten und sehen, was zuerst herauskam. Ich rollte mein Bündel auseinander, und nachdem ich die Drahtschlaufe hastig unter ein Paket mit Tüchern geschoben hatte, breitete ich das Wachstuch aus und hievte Lizzie mit Tante Monikas Hilfe hinauf.
Monika blinzelte und warf einen Blick auf die Wiege, in der Klein-Rodney schnarchte, als Lizzie erneut einen dieser gespenstischen Heullaute ausstieß. Sie sah mich an, um sich zu vergewissern, dass alles seine Ordnung hatte, dann nahm sie Lizzies Hände und murmelte ihr leise auf Deutsch zu, während Lizzie stöhnte und keuchte.
Die Tür knarrte leise, und als ich mich umdrehte, sah ich einen der Beardsleys mit einer Miene zwischen Angst und Hoffnung ins die Hütte spähen.
“Ist es schon da?”, flüsterte er heiser.
“NEIN!”, brüllte Lizzie und setzte sich kerzengerade hin. ”Verschwinde bloß, sonst reiße ich dir die Eier ab! Alle vier!”
Die Tür schloss sich prompt, und Lizzie sank schnaufend in sich zusammen.
“Ich hasse sie”, sagte sie mit zusammengebissenen Zähnen. “Ich will, dass sie sterben!”
“Mm-hm”, sagte ich mitfühlend. “Nun, mit Sicherheit leiden sie gerade sehr.”
“Gut.” Ihre Wut verwandelte sich im Bruchteil einer Sekunde in Pathos, und Tränen stiegen ihr in die Augen. “Werde ich sterben?”
“Nein”, sagte ich so beruhigend wie möglich.
“EEEAAAAARRRRRRGGGGG!”
“Großer Gott”, sagte Tante Monika und bekreuzigte sich. “Ist das normal?”
“Ja”, sagte ich immer noch beruhigend “Es gibt hier nicht zufällig eine Schere?”
“Oh, doch”, erwiderte sie und griff nach ihrer Tasche. Sie holte eine winzige, abgenutzte, einst jedoch vergoldete Handarbeitsschere hervor. “Könnt Ihr die brauchen?”
“Danke.”
“BLOOOOOORRRRRGGGG!”
Monika und ich sahen Lizzie gleichzeitig an.
“Übertreib es nicht”, sagte ich. “Sie haben zwar Angst, aber sie sind keine Idioten. Außerdem machst du deinem Vater Angst. Und Rodney”, fügte ich mit einem Blick auf den kleinen Bettwäscheberg in der Wiege hinzu.
Sie sank keuchend in sich zusammen, brachte jedoch ein Kopfnicken und den Hauch eines Lächelns zuwege.
Danach ging alles ziemlich schnell. Ich überprüfte ihren Pulsschlag, dann ihren Muttermund und spürte, wie sich mein eigener Herzschlag verdoppelte, als mein Finger etwas berührte, das eindeutig ein winziger Fuß auf dem Weg ins Freie war. Konnte ich den anderen zu fassen bekommen?
Ich warf einen Blick auf Monika, um ihre Größe und Körperkraft zu beurteilen. Ich wusste, dass sie zäh wie Schuhleder war, aber sie war nicht sehr groß. Lizzie dagegen hatte die Ausmaße eines – nun, Ian hatte nicht übertrieben, als er gedacht hatte, es wären vielleicht Zwillinge.
Der schleichende Gedanke, dass es vielleicht doch Zwillinge waren, ließ mir trotz der Schwüle in der Hütte die Nackenhaare zu Berge stehen.
Nein, sagte ich entschlossen zu mir selbst. Es sind keine, du weißt, dass es keine sind. Eins ist schon schlimm genug.
“Wir brauchen einen der Männer, um ihre Schultern festzuhalten”, sagte ich zu Monika. “Holt einen der Zwillinge, ja?”
“Beide”, keuchte Lizzie, als sich Monika zur Tür wandte.
“Einer reicht –”
“Beide. Nnnnnnggggg …”
“Beide”, sagte ich zu Monika, die ungerührt nickte.
Die Zwillinge brachten einen kalten Lufthauch mit in die Hütte, und ihre Gesichter waren identische rote Masken der Angst und Aufregung. Ohne dass ich etwas zu ihnen gesagt hätte, gingen sie auf der Stelle zu Lizzie hinüber wie zwei Eisenspäne zu einem Magneten. Sie hatte sich zum Sitzen hochgekämpft, und einer von ihnen kniete sich hinter sie, um ihr mit den Händen sanft die Schultern zu kneten, die sich gerade von der letzten Wehe entspannten. Sein Bruder setzte sich neben sie und legte ihr den Arm um das, was einmal ihre Taille gewesen war. Mit der anderen Hand strich er ihr das schweißnasse Haar aus der Stirn.
Ich versuchte, den Quilt um sie zu legen, über ihren Kugelbauch, doch sie schob ihn verschwitzt und gereizt von sich. Der dampfende Kessel und der Schweiß der Anstrengung erfüllten die Hütte mit feuchter Hitze. Nun, den Zwillingen war ihre Anatomie wahrscheinlich vertrauter als mir, dachte ich und reichte Tante Monika den zusammengeballten Quilt. Bei einer Geburt war kein Platz für Schamgefühle.
Ich kniete mich mit der Schere vor sie, legte blitzschnell einen Dammschnitt an und spürte, wie mir etwas Blut warm auf die Hand sprühte. Bei einer normalen Geburt brauchte ich dies nur selten zu tun, doch hier würde ich Platz zum Manövrieren brauchen. Ich drückte eins meiner sauberen Tücher auf den Schnitt, doch er blutete kaum, und die Innenseiten ihrer Oberschenkel waren ohnehin mit den blutigen Überresten des Schleimpfropfs verschmiert.
Es war ein Fuß; ich konnte die Zehen sehen, lang wie Froschzehen, und richtete den Blick automatisch auf Lizzies nackte Füße, die rechts und links von mir fest auf dem Boden standen. Nein, ihre waren kurz und kompakt; es musste der Einfluss der Zwillinge sein.
Der feuchtwarme Sumpfgeruch nach Fruchtwasser, Schweiß und Blut stieg von Lizzies Körper auf wie eine Nebelwolke, und ich spürte, wie auch mir der Schweiß an den Seiten herunterlief. Ich tastete mich aufwärts, legte einen Finger um die Ferse und zog das Füßchen zu mir. Ich spürte das Leben im Körper des Kindes, obwohl es sich nicht bewegte, hilflos in der Umklammerung der Geburt.
Den anderen, ich brauchte den anderen. Während ich zwischen zwei Wehen hastig mit der einen Hand Lizzies Bauchwand abtastete, glitt ich mit der anderen an dem ausgetretenen Beinchen entlang, fand die winzige Rundung der Pobacke. Wechselte schnell die Hände und fand mit geschlossenen Augen den Umriss des angewinkelten Oberschenkels. Verdammt, anscheinend hatte es das Knie unter dem Kinn stecken … spürte die nachgiebige Härte winziger Knorpelknochen, fest inmitten der flüssigen Umgebung, der kleinen Muskeln … bekam einen Finger, zwei Finger um den anderen Knöchel gelegt, fauchte: “Festhalten! Haltet sie fest!”, als sich Lizzie aufbäumte und auf mich zurutschte, und zog das zweite Füßchen herunter.
Ich setzte mich zurück. Ich hatte jetzt die Augen offen und atmete schwer, obwohl es körperlich nicht anstrengend gewesen war. Das Kind kam mit dem Gesicht nach oben. Nicht ideal. Die kleinen Froschfüße zuckten, dann erschlafften sie, und mit der nächsten Presswehe kamen die Beine in Sicht.
“Einmal noch, Kleine”, flüsterte ich, eine Hand auf Lizzies angespanntem Oberschenkel. “Mach es noch einmal so.”
Ein Heulen aus den Tiefen der Erde, als Lizzie jenen Punkt erreichte, an dem es eine Frau nicht länger kümmert, ob sie am Leben bleibt, ob sie stirbt oder ob es sie entzweireißt, und dann glitt der Unterkörper des Kindes heraus. Die Nabelschnur wand sich wie ein pulsierender lila Wurm um seinen Bauch. Mein Blick war fest darauf geheftet, und ich dachte, Gott sei Dank, Gott sei Dank, als ich merkte, dass mir Tante Monika gebannt über die Schulter blickte.
“Sind das Hoden?”, sagte sie fragend und zeigte auf die Genitalien des Kindes.
Ich hatte mir noch nicht die Zeit genommen, einen Blick darauf zu werfen, da ich mich so auf die Nabelschnur konzentriert hatte, doch jetzt sah ich hin und lächelte.
“Nein. Es ist ein Mädchen”, sagte ich. Das Geschlecht des Babys war angeschwollen; mit seiner Klitoris, die zwischen dicken Labien hervorlugte, sah es tatsächlich aus wie ein Junge, doch es war keiner.
“Was? Was ist es?”, fragte einer der Beardsleys und beugte sich vor, um nachzusehen.
“Ihr habt ein kleines Mädchen”, sagte Tante Monika zu ihm und blickte strahlend auf.
“Ein Mädchen?”, sagte der andere Zwilling mit offenem Mund. “Lizzie, wir haben eine Tochter!”
“Wirst du wohl die Klappe halten, verdammt?!?”, fauchte Lizzie. “NNNNNNNGGGGG!”
In diesem Moment wurde Rodney wach und setzte sich mit offenem Mund und großen Augen kerzengerade hin. Tante Monika war augenblicklich auf den Beinen und hob ihn aus der Wiege, bevor er anfangen konnte zu schreien.
Rodneys Schwester schob sich zentimeterweise in die Welt, von jeder Wehe weiter vorwärts gedrückt. Ich zählte im Kopf die Sekunden, ein Hippopotamus, zwei Hippopotamus … Vom Auftauchen der Nabelschnur bis zur erfolgreichen Entbindung des Mundes und dem ersten Atemzug konnten wir uns nicht mehr als vier Minuten leisten, bevor es durch den Sauerstoffmangel zu Hirnschäden kam. Aber ich konnte auch nicht ziehen und es riskieren, das Genick oder den Kopf zu verletzen.
“Pressen, Liebes”, sagte ich ruhig und stützte beide Hände auf Lizzies Knie. “Fest, jetzt.”
Vierunddreißig Hippopotamus, fünfunddreißig …
Alles, was wir jetzt noch brauchten, war, dass das Kinn am Beckenknochen hängenblieb. Als die Wehe nachließ, ließ ich meine Finger hastig über das Gesicht des Babys gleiten und konnte zwei Finger über den Kieferknochen schieben. Ich spürte das Kommen der nächsten Wehe und biss die Zähne zusammen, weil ihre Wucht mir zwischen den Beckenknochen und dem Schädel des Babys die Finger quetschte, doch ich zog sie nicht zurück, weil ich Angst hatte, meinen Zugpunkt zu verlieren.
Zweiundsechzig Hippopotamus …
Entspannung, und ich zog, langsam, langsam, bis das Kinn am Rand des Beckens vorüberglitt.
Neunundachtzig Hippopotamus, neunzig Hippopotamus …
Das Kind hing aus Lizzies Körper, blutig-blau und glänzend im Feuerschein, und es schwankte im Schatten ihrer Oberschenkel wie der Schlegel einer Glocke – oder ein Mensch am Galgen, und ich schob diesen Gedanken von mir …
“Sollten wir sie nicht nehmen …?”, flüsterte mir Tante Monika zu, Rodney an ihre Brust gedrückt.
Einhundert.
“Nein”, sagte ich. “Nicht berühren. Noch nicht.” Die Schwerkraft half langsam bei der Geburt. Jeder Zug würde das Genick verletzen, und wenn der Kopf steckenblieb …
Einhundertzehn Hippo … das war eine ziemliche Menge Hippopotami, dachte ich und malte mir geistesabwesend aus, wie eine ganze Herde von Flusspferden zum Wasserloch marschierte, um sich dort genüsslich im Schlamm zu suhlen …
“Jetzt”, sagte ich und hielt mich bereit, um Mund und Nase zu säubern, sobald sie zum Vorschein kamen – doch Lizzie hatte nicht auf mein Kommando gewartet, und mit einem langgezogenen, tiefen Seufzer und einem hörbaren Plop! trat der ganze Kopf auf einmal aus, und das Baby fiel mir in die Hände wie eine reife Frucht.

© 2014 Diana Gabaldon, Barbara Schnell / Blanvalet Verlag. Bitte verlinkt auf diesen Beitrag, aber kopiert ihn nicht. Danke!