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Buch Neun wünscht ein frohes neues Jahr!

Buch Neun wünscht ein frohes neues Jahr!

Dieser Gedanke war zu viel. William stand auf und ließ seine Decke fallen. Dutzende kleiner weißer Motten stiegen aufgeschreckt aus dem Gras auf und huschten ihm neugierig um das Gesicht. Er ignorierte sie, zog sich die Schuhe an und ging los.
Es kümmerte ihn nicht, wohin er ging. Seine Gliedmaßen fühlten sich an, als hätte er die ganze Nacht in einem Fass geklemmt und sein ganzer Körper kribbelte jetzt, so sehr lechzte er nach Bewegung. Unter der großen Eiche glommen und flackerten die qualmenden Feuer, und der würzige Fleischgeruch ließ ihm den Magen knurren. Einer der Indianer schlief in eine Decke gerollt am Feuer; er konnte nicht sagen, wer es war.
Er wandte sich vom Feuer ab und hielt auf die Felder zu, die hinter dem Haus lagen. Als er vor Jahren hier gelebt hatte, war auf Mount Josiah nur auf einer kleinen Fläche Tabak angebaut worden; wurde das Land jetzt überhaupt noch kultiviert?
Zu seiner großen Überraschung war das der Fall. Die Halme waren schon abgeerntet, doch der Boden war mit verstreuten Blättern und Bruchstücken übersät; der harzige Geruch nach unbehandeltem Tabak lag wie Weihrauch über der Nacht. Der Duft tröstete ihn, und er bahnte sich langsam den Weg über das Feld auf den schwarzen Umriss der Tabakscheune zu. Wurde sie noch benutzt?
Ja. Obwohl sie sie der Höflichkeit halber als Scheune bezeichneten, war sie kaum mehr als ein großer Schuppen, doch die Rückseite war ein großer, luftiger Raum, wo die Büschel aufgehängt wurden, um sie zu entblättern – jetzt hingen nur eine wenige an den Deckenbalken, kaum sichtbar im schwachen Sternenschein, der durch die breiten Lücken zwischen den Brettern drang. Sein Eintreten brachte raschelnde Bewegung in die getrockneten, aufeinander gestapelten Blätter auf der breiten Kühlbank an der Wand, als nähme der Schuppen von ihm Notiz. Es war eine seltsame Vorstellung, die aber nicht verstörend war – er nickte der Dunkelheit zu und hatte das vage Gefühl, dass er willkommen geheißen wurde.
Er stieß mit etwas zusammen, das mit einem hohlen Geräusch zurückwich – ein leeres Fass. Er tastete umher und zählte mehr als zwanzig; manche schon gefüllt, andere warteten noch. Manche alt, ein paar neu, dem Geruch frischen Holzes nach, dessen strenges Aroma das Seine zum Parfum des Schuppens beitrug.
Irgendjemand bewirtschaftete die Plantage – und es war nicht Manoke. Der Indianer rauchte zwar hin und wieder gerne Tabak, aber William hatte noch nie gesehen, dass er sich am Anbau oder der Ernte beteiligte. Und er roch auch nicht danach. Es war unmöglich, grünen Tabak zu berühren, ohne dass einem eine Art schwarzer, klebriger Teer an den Händen haften blieb, und vom Geruch eines reifen Tabakfeldes wurde selbst erwachsenen Männern schwindelig.
Als er mit Lord John hier gelebt hatte – der Name löste einen leisen Stich aus, den er jedoch ignorierte –, hatte sein Vater Arbeiter vom Nachbar-Anwesen flussaufwärts angeheuert, einer großen Plantage namens Bobwhite, die Mount Josiahs bescheidene Ernte problemlos zusätzlich zu ihrer eigenen, gewaltigen Produktion bewältigen konnte. Vielleicht galt diese Absprache immer noch?
Der Gedanke, dass die Plantage noch arbeitete, wenn auch in dieser geisterhaften Form, ermutigte ihn ein wenig; er hatte gedacht, sie sei völlig verlassen, als er die Ruine des Hauses sah. Neugierig tastete er sich wieder aus dem Schuppen ins Freie und wandte sich nach Westen. Er trampelte durch die zerhackten Reste der Tabakpflanzen auf die höher gelegenen Felder zu, die für weniger wertvolle Feldfrüchte benutzt wurden. Ja, sie waren ebenfalls bepflanzt und abgeerntet worden; im blassen Licht eines aufgehendes Halbmonds sah er Maisgarben wie kleine, zerlumpte Männer in Reih und Glied stehen. Er schlug einen Bogen um den Mais und stieg zu den Feldern am Fluss hinunter – in einem Jahr hatten sie versucht; Reis anzubauen, aber er war nicht angegangen; er erinnerte sich nicht mehr,, warum … ein langer Streifen Brachland, dicht mit Wildpflanzen und trocknendem Gras bewachsen, dann wandte er dem Fluss den Rücken zu und fand sich auf knisternden, trockenen Stoppeln wieder, die unter seinen Schritten einen kräftigen, vertrauen Geruch ausströmten … was … oh, Flachs. Natürlich.
Er lächelte bei der Erinnerung daran, wie er beim Flachsdreschen helfen durfte; sie hatten die trockenen Bündel in grobe Stoffbeutel gesteckt und sie auf das kleine Podest aus Ziegeln gelegt, und dann waren er und Papa und Manoke und Jim und Peter – ja, Jim und Peter, richtig, die beiden schwarzen Bediensteten – darauf herumgehüpft und kreuz und quer darauf herumgestampft, bis sie schließlich eine wilde Quadrille auf den Beuteln mit den schmutzigen Fußabdrücken getanzt hatten. Es war ziemlich viel Bier getrunken worden; er konnte die Dämpfe von Hefe und Alkohol in seiner Kehle schmecken und einen Hauch von Leinöl, der ihn jedesmal an Gemälde denken ließ.
Eine dunkle Gestalt ragte plötzlich vor ihm in der Dunkelheit auf, und er warf sich mit einem Schreckenslaut zur Seite. Hastig rappelte er sich auf alle Viere auf, tastete wild nach einem Stock, einem Stein, einem …
„Tabernac, bist du das? Gillaume? Ich meine …“
„Ich bin’s“, sagte William knapp und ließ die Handvoll Kies und Laub fallen, die er gepackt hatte. Einen Moment verharrte er keuchend auf Händen und Knien, ehe er hinzufügte: „Ich dachte, du wärst ein Bär.“
Sein Ton war völlig ernst, doch Cinnamon stieß ein kleines, belustigtes Prusten aus.
„Wenn es im Umkreis von zehn Meilen einen Bären gäbe, wäre er längst zu uns zum Abendessen gekommen“, sagte er. „Ich dachte aber, ich hätte etwas Raffinierteres gehört, vielleicht eine Katze, also bin ich nachsehen gekommen. “ Dann räusperte er sich und schien ein wenig in die Nacht zurückzuweichen. „Es tut mir leid“, sagte er, förmlicher jetzt. „Ich wollte dich nicht … stören.“
„Das tust du nicht“, sagte William, immer noch knapp, aber nicht unfreundlich. Nichts von alldem war Cinnamons Schuld – und er hatte den Mann sehr gemocht, als sie jenen Winter gemeinsam auf der Jagd verbrachten. Langsam meilenweit über den Schnee stapften, auf den sperrigen Schuhen aus Korbgeflecht, die verhinderten, dass sie durch die Kruste sanken.
Er erschauerte ein wenig bei der Erinnerung daran, obwohl die Nacht nicht sehr kalt war. Wie ihm der Rotz aus der Nase gelaufen und an den Haaren in seinem Gesicht festgefroren war, die Luft in seinen Lungen wie Messer und Nadeln. Und das Feuer bei Nacht, die Geräusche von brennendem Holz, tropfendem Wasser, tropfendem Blut des erlegten Wilds, sein eigenes Blut, das heiß und brennend zurück in seine Finger und Zehen strömte, als die lange weiße Trance des Tages durch des Schock des heißen Essens gebrochen wurde. Und dann ihre Gespräche.
„Das tust du nicht“, wiederholte er entschlossener. „Eine Katze sagst du? Groß?“
Seine Augen hatten sich inzwischen so an die Dunkerlheit gewöhnt, dass er Cinnamons Nicken problemlos ausmachen konnte. William blickte hinter sich, dachte hastig an seinem Weg zurück; hatte er irgendetwas halb gehört, etwas gerochen …? Nichts bewegte sich außer den Weiden am Fluss, deren Laub im Luftzug raschelte. Eher spürte als sah er, wie sich Cinnamon zur Seite drehte und das Kinn hob, um die Witterung zu prüfen. Sie erstarrten beide im selben Moment..
Aus der Richtung des Hauses. Ein beißender Gestank, so schwach, dass man ihn möglicherweise nicht bemerkt hätte, hätte ein freundlicher Wind ihn einem nicht genau in die Nase geschoben. William nickte Cinnamon zu. Katze.
Dann sah er den Baum an, wo Manoke nach wie vor im Schein des Feuers lag, in eine einfache Wolldecke mit breiten roten und gelben Streifen gehüllt. Cinnamons Hand schloss sich um seinen Unterarm, und er spürte das Kopfschütteln des Indianers. Wieder nickte er und tastete nach Cinnamons Hüfte – war er bewaffnet? Ein Atemzug voll Selbstverachtung – nein. William genauso wenig, und er teilte die Meinung seines Freundes; was hatte er sich nur dabei gedacht, im Dunklen über offenes Gelände zu laufen, ohne auch nur ein Taschenmesser dabei zu haben!
Er wies mit einem Ruck seines Kopfes zum Haus, und Cinnamon nickte.

© Diana Gabaldon & Barbara Schnell. Bitte achtet das Urheberrecht und verlinkt auf diesen Beitrag, aber kopiert ihn nicht.