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Liebe Leser,

gerade hat die Website die 100.000-Klick-Marke überschritten (und das sind nur die direkten Aufrufe über die Startseite) — eine stolze Zahl, die ich gemeinsam mit Ihnen mit einer weiteren Szerne aus „Ein Schatten von Verrat und Liebe“ feiern möchte.

Vielen Dank für das Interesse und die Treue — und viel Freude beim Lesen!
–Diana

Kriegsbemalung

Er öffnete den Weidenrindenbehälter mit dem Hirschtalg und salbte sich Gesicht, Brust und Schultern damit, langsam, konzentriert. Normalerweise sprach er dabei mit den Geistern der Erde und dann mit seinen persönlichen Heiligen, Michael und Bride. Doch er sah weder Michael noch Bride; Brianna war immer noch nicht ganz fort, doch vor allem hatte er das deutliche Gefühl, sein Vater sei da, was verwirrend war.
Es erschien ihm respektlos, seinen eigenen Vater fortzuschicken. Er hielt inne mit dem, was er tat, und schloss stattdessen die Augen, um abzuwarten, ob ihm Pa vielleicht etwas zu sagen hatte.
„Ich hoffe, du willst mir nicht meinen Tod verkünden, aye?“, sagte er laut. „Weil ich nicht vorhabe zu sterben, bevor ich nicht wenigstens mit Rachel geschlafen habe.“
„Das ist natürlich ein hehres Ziel.“ Die trockene Stimme gehörte Onkel Jamie, und Ians Augen öffneten sich abrupt. Sein Onkel stand zwischen den zu Boden hängenden Wedeln einer Flussweide, nur mit seinem Hemd bekleidet.
„Ohne Uniform, Onkel Jamie?“, sagte er, obwohl das Herz in seiner Brust einen Satz gemacht hatte wie eine aufgeschreckte Maus. „Das wird General Washington aber gar nicht gern sehen.“ General Washington legte extremen Wert auf korrekte Uniform. Offiziere mussten zu jeder Zeit angemessen gekleidet sein; er sagte, man könnte die Kontinentalen ja nicht als Armee ernst nehmen, wenn sie das Feld wie ein bewaffneter Pöbel betraten und sich auch so aufführten.
„Tut mir Leid, wenn ich dich unterbrochen habe, Ian“, sagte Onkel Jamie und trat unter dem Baum hervor. Der Mond war fast verschwunden; er war nicht mehr als ein Geist mit bloßen Beinen, von seinem Hemd umweht. „Aber mit wem hast du denn gesprochen?“
„Oh. Mit meinem Pa. Er war einfach … auf einmal da. Ich meine, ich denke oft an ihn, aber ich habe nicht so oft das Gefühl, dass er bei mir ist. Also habe ich mich gefragt, ob er wohl da war, um mir zu sagen, dass ich heute sterben würde.“
Jamie nickte, ohne dass ihn Ians Worte zu beunruhigen schienen.
„Das bezweifle ich“, sagte er. „Du legst deine Bemalung an, aye? Bereitest dich vor, meine ich.“
„Aye, das hatte ich gerade vor. Möchtest du auch?“ Es war nur halb gescherzt, und Jamie verstand es auch so.
„Das würde ich gern tun, Ian. Aber ich glaube, General Washington würde mich an den Daumen aufknüpfen und auspeitschen lassen, wenn ich ihm mit meinen Männern in Kriegsbemalung vor die Augen käme.“
Ian stieß einen kleinen Laut der Belustigung aus, tauchte zwei Finger in das Gefäß mit dem roten Ocker und begann, sich die Farbe auf die Brust zu reiben.
„Und was machst du dann nur im Hemd hier draußen?“
„Mich waschen“, sagte Jamie, jedoch in einem Ton, der darauf hindeutete, dass das nicht alles war. „Und … mit meinen eigenen Toten reden.“
„Mmpfm. Irgendjemand Besonderes?“ „Mein Onkel Dougal, und Murtagh, der mein Patenonkel war. Das sind die beiden, die ich mir im Kampf am meisten an meiner Seite wünsche.“
Das fand Ian interessant; er hatte zwar keinen der beiden Männer kennengelernt, denn sie waren beide in Culloden gestorben, aber er hatte viel von ihnen gehört.
„Geborene Kämpfer“, sagte er. „Hast du meinen Pa auch gefragt? Ob er mit dir geht, meine ich. Vielleicht ist er ja deswegen hier.“
Überrascht wandte Jamie Ian den Kopf zu. Dann entspannte er sich und schüttelte den Kopf.
„Ich brauchte Ian Mòr noch nie zu fragen“, sagte er leise. „Er ist immer … einfach nur an meiner Seite.“ Er wies mit einer knappen Geste in die Dunkelheit zu seiner Rechten. Ians Augen brannten, und seine Kehle schnürte sich zu. Doch es war ja dunkel; es spielte keine Rolle.
Er räusperte sich und streckte die Hand mit einem der kleinen Gefäße aus. „Hilfst du mir, Onkel Jamie?“
„Oh? Aye, sicher. Wie hättest du es denn gern?“
„Rot auf der Stirn – das kann ich selbst. Aber Schwarz von den Pünktchen bis zum Kinn.“ Er fuhr mit dem Finger über die tätowierten Punkte, die sich über seine Wangen schwangen. „Schwarz steht für Kraft, aye? Damit tut man kund, dass man Krieger ist. Und Gelb bedeutet, dass man keine Angst vorm Sterben hat.“
„Och, aye. Möchtest du heute Gelb?“
„Nein.“ Er legte ein Lächeln in seine Stimme, und Jamie lachte.
„Mmpfm.“ Jamie tupfte die Farbe mit der Kaninchenpfote auf, die als Pinsel diente, dann verteilte er sie gleichmäßig mit dem Daumen. Ian schloss die Augen und spürte, wie die Berührung ihm Kraft schenkte.
„Machst du das normalerweise allein, Ian? Ohne Spiegel scheint mir das schwierig zu sein.“
„Meistens. Oder wir haben es manchmal gemeinsam getan, und ein Clansbruder hat mich bemalt. Wenn es wichtig ist – ein großer Kriegszug – hat uns der Medizinmann bemalt und dazu gesungen.“
„Sag nicht, du möchtest, dass ich singe, Ian“, murmelte sein Onkel. „Ich meine, ich würde es versuchen, aber …“
„Es geht schon, danke.“
Schwarz für die untere Gesichtshälfte, Rot für die Stirn und ein malachitgrüner Streifen, der den Tätowierungen folgte, von einem Ohr zum anderen, über seinen Nasenrücken. Ian blickte auf die kleinen Pigmentschälchen; das Weiß war leicht zu erkennen, und er zeigte darauf.
„Kannst du mir vielleicht einen kleinen Pfeil malen, Onkel Jamie? Auf die Stirn.“ Er fuhr mit dem Finger von links nach rechts, um zu zeigen, wo.
„Aye, das kann ich.“ Jamies Kopf war über die Farbschälchen gebeugt, und seine Hand zögerte. „Aber hast du mir nicht einmal erzählt, dass Weiß für Frieden steht?“
„Aye, wenn man zu einer Verhandlung aufbricht, benutzt man viel Weiß. Aber es steht auch für Trauer – wenn man auszieht, um jemanden zu rächen, würde man vielleicht auch Weiß tragen.“ Jetzt hob sich Jamies Kopf und starrte ihn an.
„Der Pfeil hat nichts mit Rache zu tun“, sagte Ian. „Er ist für Fliegender Pfeil. Den Toten, dessen Stelle ich eingenommen habe, als ich adoptiert wurde.“ Er sagte es, so beiläufig er konnte, doch er spürte, wie sein Onkel erstarrte und zu Boden blickte. Keiner von ihnen würde diesen Tag des Abschieds je vergessen, an dem er zu den Kahnyen’kehaka gegangen war und sie beide gedacht hatten, es wäre für immer. Er beugte sich vor und legte Jamie die Hand auf den Arm.
„An diesem Tag hast du ‚cuimnich‘ zu mir gesagt, Onkel Jamie. Und das habe ich getan.“ Sich erinnert.
„So wie ich, Ian“, sagte Jamie leise und malte ihm den Pfeil auf die Stirn, die Berührung wie ein Priester am Aschermittwoch, der ihn mit dem Zeichen des Kreuzes markierte. „So wie wir alle.“ Ian berührte vorsichtig den grünen Streifen, um sich zu vergewissern, dass er trocken genug war.
„Aye, ich glaube schon. Weißt du, dass Brianna mir die Farben gemacht hat? Ich habe auch an sie gedacht, dann aber gedacht, ich sollte sie vielleicht nicht mitnehmen, nicht so.“ Er spürte Jamies Atem auf seiner Haut, als sein Onkel leise prustete und sich dann zurücklehnte.
„Du nimmst deine Frauen immer mit in die Schlacht, Ian Òg. Aus ihnen entspringt deine Kraft, Mann.“

(c) Diana Gabaldon & Barbara Schnell